Seit 1500 Jahren werden rund um die Rottenburger Sülchenkirche Menschen beerdigt. Unter dem Kirchenschiff schufen Crukowicz Nachbaur Architekten unlängst eine mystisch wirkende Bischofsgrablege – aus Stampflehm, der direkt vor Ort gewonnen wurde.
Wer die Bischofsgrablege in der Rottenburger Sülchenkirche besucht, sollte sich warm anziehen. Denn in den unterirdischen Räumen herrschen Temperaturen zwischen 8 und 16 °C. Seit 1869 werden hier die Bischöfe des Bistums Rottenburg-Stuttgart beigesetzt, doch die Friedhofskirche blickt auf eine viel längere Geschichte zurück: Bereits seit dem 15. Jahrhundert erhebt sich der gotische Bau über den Resten einer ottonischen Basilika. Als nun eine Sanierung der Krypta anstand und der Boden unter dem Gotteshaus ausgehoben wurde, entdeckte man sogar Gräber, die bis in die Zeit um 550 zurückreichen. Seit rund 1 500 Jahren werden hier also Menschen bestattet – eine Sepulchraltradition von solcher Kontinuität ist eine Seltenheit. Wahrlich ein Ort mit Geschichte!
So entstand der Wunsch, die freigelegten Grundmauern der Vorgängerkirche ebenso zu zeigen wie die Grabbeigaben, die von den Archäologen gesichert wurden. Daher liegt heute ein kleiner Ausstellungsbereich neben der neu gestalteten letzten Ruhestätte für die Bischöfe. Crukrowicz Nachbaur Architekten haben das Ganze zu einer Raumfolge mit mystischer Ausstrahlung verdichtet. Aus dem Kirchenschiff taucht man über eine einläufige Treppe in die Unterwelt ein. Sämtliche neuen Wände und Böden bestehen hier aus Stampflehm; mit seiner typischen horizontalen Struktur wirkt das Material, als habe man einen Schnitt durch die archäologischen Erdschichten unter der Kirche gelegt. Tatsächlich wurde ein Teil des Aushubs geborgen, für den Wandaufbau verwendet und damit dem Ort zurückgegeben. So finden sich immer wieder kleine Holzsplitter u. Ä. als Einschlüsse. Am Boden wurde der Stampflehm angeschliffen und gewachst.
Vom Zwischenpodest, das den Ausstellungsbereich erschließt, führen zwei Treppen weiter nach unten. Ihr flaches Steigungsmaß verlangsamt den Schritt, wenn man auf die Bischofsgrablege zugeht. Durch ein hohes Portal gelangt man in einen Raum, der mit dem monolithischen Charakter aller seiner Oberflächen Assoziationen an frühzeitliche Felsengräber weckt. Wie durch eine Gesteinsspalte fällt Licht aus einer eingelassenen Deckenleuchte und setzt den Altar in Szene, einen schweren kubischen Block aus regionalem Travertin. Er wirkt als Reflektor, von ihm scheint alles Licht auszugehen. Die Gräber sind in zwei übereinanderliegenden Reihen in die Seitenwände eingelassen und mit Schiefertafeln geschlossen. Einziges weiteres Element ist ein frei stehendes schlankes Kreuz aus patiniertem Messing. Mit einfachsten Mitteln haben die Architekten hier einen Raum von beeindruckender Atmosphäre geschaffen, dessen Besuch man so schnell nicht vergisst.
~Christian Schönwetter
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