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Wohn- und Geschäftshaus in Zürich, Caruso St John Architects

Wohn- und Geschäftshaus in Zürich
Fifteen Shades of Grey

Privilegierten Wohnraum haben Caruso St John Architects unweit des Zürcher Stadtzentrums geschaffen. Die Aufstockung in eigenwilliger Geometrie, mit Einbaumöbeln höchst individuell gestaltet, setzt auf Grau in vielen Schattierungen.

Architektur: Caruso St John Architects
Tragwerksplanung: Timbatec Holzbauingenieure Schweiz

Text: Falk Jaeger
Fotos: Philip Heckhausen

Der Blick streift hinauf zum Dachrand. Über den drei Geschossen eines schlichten Gewerbebaus eine Glasfront, daneben ein Balkon, der sich an die grüne Woge eines Baums schmiegt. Dort oben wohnen? Verlockend! Mitten in der Zürcher Innenstadt beim Bahnhof Wiedikon, dennoch in ruhiger Hoflage.

In den 40er Jahren im damals schmucklosen Stil der Zeit als Lagerhaus erbaut, fällt das Haus durch seine größeren Fenster und Stockwerkshöhen auf. Es steht zwar in einer Quartiererhaltungszone, ist aber als Einzelgebäude nicht denkmalgeschützt. Der namhafte Verlag Die Arche, 1944 von Peter Schifferli gegründet und 2022 in der Atrium Verlag AG aufgegangen, nutzte es anfänglich als Lagerhaus und Depot. Ein Fitness-Studio, ein Ökoladen und ein Fahrradhändler waren spätere Nutzer. Nun standen eine Sanierung und Neuorientierung an. Die Bauherrschaft, Besitzer in der dritten Generation, bewohnte zuletzt das 2. OG.

Beim Wunsch nach mehr Wohnfläche rückte das flach geneigte Dach in den Fokus. Erste Pläne für eine traditionelle Aufstockung im Stil des Hauses mit Kniestock und Satteldach fanden bei der Bauherrschaft keine Zustimmung: »zu konventionell!«. Caruso St John Architects kamen ins Spiel und gingen das Projekt gänzlich anders an, indem sie das Bestandsgebäude geradezu denkmalpflegerisch restaurierten und dazu kontrastierend ein formal und stilistisch völlig neues DG aufbauten.

Axonometrie (Bild: Caruso St John)

Die Fassaden des Betongebäudes, bis auf das mittelgraue EG hell verputzt, wurden restauriert, die Doppelfenster aufgearbeitet und mit Zweischeibengläsern versehen und alle Installationen erneuert. Die Raumstrukturen von EG und 1. OG blieben im Wesentlichen erhalten. Das 1. OG erhielt eine vom Treppenhaus zugängliche Nasszelle mit Teeküche und WC. Ein Lastenaufzug wurde aus Kostengründen stillgelegt, der Schacht jedoch für den späteren Einbau eines neuen Lifts beibehalten, eine Option, die den Wert des Anwesens erhöht. In das EG ist anstelle des Fahrradladens ein Grafikatelier eingezogen, das 1. OG dient als gemeinsamer Arbeitsraum aller Nutzer des Hauses.

Oben wird gewohnt

Das zuvor in Loft-Manier genutzte 2. OG wurde in zwei Schlafzimmer, einen Wohnraum sowie Bad mit Badewanne am Schlafzimmer und WC mit Dusche am Treppenhaus unterteilt und bildet nun die untere Etage einer Maisonettewohnung. Deren Eingangstür liegt platzsparend eine halbe Etage tiefer auf dem Treppenpodest.

Die Aufstockung in Form eines neuen Dachkörpers steigt von der straßenseitigen Traufe zum Hof steil an und ist zum Nachbarhaus hin nochmals abgefaltet. »Bis an die Grenzen des baurechtlich Zulässigen« nutzt die Aufstockung laut Aussage der Architekt:innen die vorgegebenen Abstandsflächen aus. Die Hoffassade, nach SSO orientiert, ist auf ganzer Breite verglast und lässt sich zum Balkon hin zur Hälfte aufschieben.

Für die Aufstockung kam aus statischen Gründen, wegen der polygonalen Geometrie des Dachkörpers und der raschen Montage nur eine Holzkonstruktion infrage. Der vorfabrizierte Aufbau war einschließlich Abbau des alten Daches in fünf Tagen montiert. Die Dachfläche ist mit naturfarben eloxiertem Aluminium gedeckt. Photovoltaik hat man nicht vorgesehen.

Im Innern bestehen alle neuen Bauteile, die raumteilenden Schränke im 2. OG und die Decken und Einbauten der Wohnküche im DG aus Sperrholz bzw. sind mit Holz bekleidet, das mit einer Silberpigmentfarbe beschichtet wurde.

Grundrisse und Schnitt (Bild: Caruso St John)

Das DG ist in seiner Raumwirkung dominant von der gefalteten Dachfläche geprägt, die durch ihre silbergraue Beschichtung der Anmutung von Sichtbeton nahekommt. Im Zusammenwirken mit den Kunststoffböden in wechselnden Grautönen, grau gestreiften Vorhängen und grauen Möbeln ergibt sich eine dezent zurückhaltende Farbpalette aller Flächen. Fifty sind es wohl nicht, aber vielleicht fifteen shades of grey, die nicht eintönig wirken, sondern durch einzelne, bewusst gesetzte Farbpointen akzentuiert werden. Türblätter der rahmenlosen Türen tragen unterschiedliche, gedeckte Lasuren – Türkis, Taubenblau, Walnussbraun. Stählerne Treppengeländer des Bestandsbaus sind türkis gestrichen, während die Innenseiten der Einbaumöbel, der Regale und Schränke in fünf verschiedenen Farben intensiv leuchten.

Seltene Leichtigkeit

Möbel sind im DG kaum vonnöten, sodass der Raum mit der freien Aussicht seine Wirkung entfalten kann. Stauraum gibt es dennoch reichlich in den beiden Giebelseiten, die komplett mit Schrankwänden geschlossen sind. Darin verbergen sich auch Installationen. Am Ostgiebel sind die Küchenmöbel samt Geschirrspüler, Kühlschrank, Backofen und Mikrowelle in der Wand integriert. Gekocht und von Hand gespült wird jedoch nicht vor der Wand, sondern immer mit der Aussicht über die Dächer vor Augen. Denn die Arbeitsfläche, die Spüle und die Kochplatten und selbst der Kochfeldabzug, der über ein Dunstrohr nach außen entlüftet, sind in einer nur 25 cm starken, über 4 m langen Tafel integriert, die einerseits an der Wand angedockt ist und am anderen Ende auf einem dünnen Stahlrohr balanciert. Sie schwebt gewissermaßen im Raum vor der Fensterfront. Das Stahlrohr verlängert sich nach oben und trägt einen schwenkbaren Leuchtenausleger, der wahlweise die Küchenzeile oder den Esstisch erhellt. In ähnlicher Weise bietet die schwenkbare Kegelleuchte am Tragrohr des Regals neben der offenen Treppe bei Bedarf eine Lichtinsel für den Lesesessel.

Durch die Aufstockung hat die Wohnung im OG enorm gewonnen. Zu den intimeren Räumen im zweiten Stock, die freilich durch die ungewöhnlich großen Fenster angenehm hell sind, kommt das offene DG hinzu. Wer die Treppe erklimmt, geht hinauf ins Licht und erfährt durch den Ausblick und die hohe Decke ein befreiendes Raumerlebnis. Gleichwohl vermittelt der niedrigere, rückwärtige Bereich das Gefühl der Geborgenheit. Die Option, den Raum durch das breite Schiebefenster zur Hälfte zu öffnen und der große Balkon wiederum ermöglichen Kontakte in die Nachbarschaft und den Naturbezug zum Wipfel des großen Ahornbaums im Hof. Arbeiten und Wohnen mit allen Annehmlichkeiten vereint in einem betriebsamen Innenstadtquartier, dieses Privileg wäre noch an vielen anderen Orten durch Aufstockungen erreichbar. Doch oftmals stehen dem Ausschöpfen dieses Potenzials (inzwischen überholte) Vorschriften, unflexible Baupolitiker und hartleibige Genehmigungsbehörden entgegen. Denen sei das Zürcher Beispiel ein Anstoß zum Umdenken.


  • Standort: Erikastrasse 11, CH-8003 Zürich
    Bauherr: privat
    Architektur: Caruso St John Architects, Zürich
    Tragwerksplanung/Brandschutzplanung: Timbatec Holzbauingenieure Schweiz, Thun (CH)
    Elektroplanung/Akustik: EK Energiekonzepte, Zürich
    TGA-Planung: Reu, Langnau (CH)
    Holzbauplanung:
    Strabag AG, Schlieren (CH)
    Bauleitung:
    WT Partner, Zürich
    BGF: 565 m²
    BRI: 1 357 m³
    Baukosten: 1,8 Mio. SFr
  • Beteiligte Firmen:
    Metallbauarbeiten: Blaser Metallbau, www.blasermetallbau.ch
    Blech- und Flachdacharbeiten: H. Kreiner, www.hkreiner.ch
    Innenausbau: B4 Möbel, Thomas Braithwaite & Eva Schäfer, www.b4-moebel.ch

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