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Testflächen am Dach der Multihalle Mannheim

Testflächen am Dach der Multihalle Mannheim
Pionierarbeit für einen Pionierbau

So experimentell wie die Holzgitterschale, die Frei Otto 1975 schuf, ist heute das Vorgehen beim Retten der Multihalle Mannheim. Zunächst wurden nur drei kleine Teilflächen testweise instandgesetzt. Welche Erkenntnisse hat man dabei gewonnen?

Die Multihalle Mannheim, eines der bedeutendsten Bauwerke des Leichtbaus, beeindruckt durch ihre filigrane Konstruktion, durch ihre freie Form und ihre große Spannweite. Das sogenannte »Wunder von Mannheim« ist die weltgrößte freitragende Gitterschale über amorphem Grundriss. Ursprünglich nur als temporäres Bauwerk für die Bundesgartenschau 1975 geplant, steht die Halle heute unter Denkmalschutz. Entworfen wurde sie vom Mannheimer Architekten Manfred Mutschler in Zusammenarbeit mit Pritzker-Preisträger Frei Otto. Um das Zeugnis der Ingenieurbaukunst zu erhalten, müssen mehrere Einzelmaßnahmen ineinandergreifen und es sind diverse Partner und Fördermittelgeber beteiligt. Als wichtiger Zwischenschritt ist jetzt das probeweise Instandsetzen von Teilen des Hallendaches im Vorfeld der eigentlichen Sanierung erfolgreich abgeschlossen.

Die Hauptakteure

Die Stadt Mannheim als Bauherrin und das Ingenieurbüro Fast + Epp als Planer haben sich gemeinsam mit der Wüstenrot Stiftung für einen Weg entschieden, der weit über die üblichen Schritte im Hochbau hinausgeht. Planerische Sanierungs-, Verstärkungs- und Reparaturideen wurden im Rahmen einer probeweisen Instandsetzung in der Multihalle geprüft, um ein geeignetes Sanierungskonzept zu entwickeln. Insgesamt haben Fast + Epp dafür drei repräsentative Testflächen in der Multihalle angelegt. Die Wüstenrot Stiftung machte das Projekt nicht nur durch eine Fördersumme in Höhe von 2 Mio. Euro möglich, sondern leistete auch durch ihren wissenschaftlichen Beirat und ihre operative Unterstützung einen wesentlichen Beitrag.

»Mit den durch die Testflächen gewonnenen Erkenntnissen kann der Sanierungsumfang realistisch festgelegt und ein optimaler Bauablauf ermittelt werden. So lassen sich auch die Kosten in einem angemessenen Rahmen halten«, sagt der für das Projekt verantwortliche Mannheimer Baubürgermeister Ralf Eisenhauer. Für Fast + Epp betont Geschäftsführer Dr. Jochen Stahl: »Mit Experimentierfreude im Geiste der ursprünglichen Planer erbringen wir mit der Sanierung eine Pionierleistung in der Anwendung experimenteller Methoden«. Und Prof. Philip Kurz, Geschäftsführer der Wüstenrot Stiftung, ergänzt: »Der Bau der Multihalle Mannheim war ein wegweisendes Experiment für den Schalenbau weltweit. Gleiches gilt für die Sanierung. Das öffentliche Vergaberecht lässt jedoch nicht viel Raum für exploratives Vorgehen. Die Wüstenrot Stiftung hat dies durch die Finanzierung und Organisation der Testflächen ermöglicht. Wir sind stolz auf diesen Beitrag, bei dem explizit auch Fehler erlaubt waren und durch den möglichst große Sicherheit für die Ausschreibung und Sanierung des Hallendachs geschaffen wurde«.

Multihalle Mannheim Dachfläche
(Bild: Daniel Lukac)

Das Hauptanliegen bei der Sanierung der Multihalle liegt im Erhalt der ursprünglichen Tragstruktur des Daches, die durch die filigrane Gitterschale aus Holz und die Transluzenz der Dachmembran gekennzeichnet ist. Allerdings muss auch eine Anpassung an heutige baurechtliche Anforderungen erfolgen, v. a. im Hinblick auf Brandschutz und Standsicherheit, während gleichzeitig die historische Substanz und der Charakter des Originals unverfälscht erhalten bleiben sollen.

Testfläche 1: Holzverstärkungen

Das Holzgitter der Multihalle besteht aus westamerikanischer Hemlocktanne. Die Erbauer legten seinerzeit insgesamt 72 km Latten mit einem Querschnitt von 5 x 5 cm zunächst am Boden aus und verbanden sie mit Bolzen zu einem beweglichen Gitter mit einer Maschenweite von 50 cm. Die zusammengesetzten Holzlatten sind nur an den Bolzen miteinander verbunden und konnten sich beim Aufrichten der Schale durch Langlöcher gegenseitig zueinander verschieben. Anschließend zogen die Zimmerleute die Bolzen an, fixierten damit die Form und koppelten die zusammengesetzten Latten miteinander.

Bei der ersten Testfläche untersuchte man nun Möglichkeiten der Holzverstärkung. Durch Gespräche mit ausführenden Firmen zeigte sich, dass die Verstärkungslatten auf der Innenseite montiert werden sollten, um die Bestandsmembran möglichst lange als Witterungsschutz verwenden zu können und diese Arbeiten nicht mit Industriekletterern von außen auf der Schale durchführen zu müssen. Zunächst tauschte man schadhafte Latten aus. Nach Beendigung der Reparaturarbeiten wurden zusätzliche Lagen aus Weißtanne angebracht. Zuvor hatte man auch den Einsatz von Hemlocktanne wie im Bestand diskutiert. Doch die knappe Verfügbarkeit und Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Sortierung des importierten Holzes in die europäischen Festigkeitsklassen führten zur Entscheidung, für die Multihalle Mannheim eine heimische Holzsorte zu verwenden. Die 5 bzw. 10 m langen neuen Holzstränge verband man dann durch Stoßen und Einkleben eines Gewindestabs miteinander. Weiterhin wurden Schubverbinder entsprechend den statischen Erfordernissen eingebaut. Das Einbringen der bis zu 10 m langen Latten hat gut funktioniert. Längere Abmessungen erwiesen sich beim Einbau dagegen als unhandlich.

Testfläche 2: Wiederherstellen der Geometrie

Bei der zweiten Testfläche wurde eine der insgesamt neun Beulen in der Schale untersucht, um herauszufinden, ob sich das Gitter schadfrei in seine ursprüngliche Position zurückdrücken lässt. Dafür wählten die Ingenieure den Bereich mit der stärksten Verformung – die Differenz zur ursprünglichen Planung betrug hier 71 cm. Mit Gerüst und Sprießen drückte man die Holzkonstruktion schrittweise nach oben, Schäden traten dabei nicht auf. Durch eine Vermessung ließ sich zugleich überwachen, ob die Schale nach Entfernen der temporären Stützung in der geplanten Geometrie verbleibt. Ergebnis: Sie senkte sich erwartungsgemäß wieder etwas ab, verharrt aber seither bei ca. 70% des hochgedrückten Werts. Ob sie sich überhaupt je in der geplanten Idealposition befunden hat, ist unklar, weil aus den 70er Jahren keine Vermessung der tatsächlich realisierten Schale vorliegt.

Multihalle Mannheim bei Nacht
(Bild: Daniel Lukac)

Testfläche 3: Austausch der Randträger

Die Randträger bestehen jeweils aus zwei Hälften, die Latten der Gitterschale laufen dabei in den Zwischenraum der Trägerteile ein. Durch den Eintritt von Wasser sind die Randträger stark durchfeuchtet, zudem sind die meisten in sich verdrillt und waren daher mittig mit Notstützen gesichert worden. Getestet wurde nun ein Austausch der Träger mit einer unverdrillten und einer verdrillten Variante. In beiden Fällen gab es keine Probleme beim Einbau.

Zum Austausch mussten jedoch die Bolzen im Gitter auf einem angrenzenden Streifen gelöst werden. Hierbei zeigte sich, dass die Bolzen an dieser Stelle in einem wesentlich schlechteren Zustand als in der Testfläche 1 waren. Eine Überprüfung an weiteren Stellen im Außenbereich ergab dann, dass Bolzen dort deutlich mehr korrodiert sind und sich infolgedessen auch schwerer austauschen lassen. Bei der Sanierung werden daher alle Bolzen ersetzt. Hierbei kommt ein neues Beschichtungssystem zum Einsatz, das den Salzen aus der Imprägnierung des Holzes besser standhält.

Weitere Schritte bei der Multihalle Mannheim

Für diese Art der Sanierung existieren keine anerkannten Regeln der Technik. Die probeweise Instandsetzung mit Hilfe der Testflächen liefert nun ein tiefgreifendes Verständnis für das Tragverhalten der Konstruktion und Erkenntnisse für die Instandsetzung. Aus den Bautagebüchern der Testflächen und den zusammengetragenen Erfahrungen der ausführenden Firmen wurden Aufwandswerte ermittelt, mit deren Hilfe Fast + Epp die voraussichtliche Bauzeit hochrechnen und die Kostenberechnung aktualisieren konnten. In einem Logistik-Workshop diskutierte man abschließend mit den Projektbeteiligten die Themen Einrüstungs- und Montagekonzept, Bauablauf und Koordination der Gewerke.

Mit der innovativen Herangehensweise leisten die Stadt Mannheim, Fast + Epp und die Wüstenrot Stiftung Pionierarbeit in der Denkmalsanierung. Auch der Bund erachtet die Multihalle als herausragend und fördert das Projekt mit 5 Mio. Euro aus dem Bundesprogramm »Nationale Projekte des Städtebaus«. Ebenso das Landesamt für Denkmalpflege, das das Projekt mit 500.000 Euro fördert. Die Sanierung der Multihalle Mannheim soll voraussichtlich 2027 vollständig abgeschlossen sein.

Den ausführlichen Originalbericht finden sie hier.

Ergebnisse des Ideenwettbewerbs von 2019 für die Umnutzung der Multihalle haben wir hier vorgestellt.


Ebenfalls sehenswert in Mannheim:

Erlebniszentrum Luisenpark von bez+kock
Kunsthalle Mannheim von gmp Architekten
Studienzentrum von schneider+schumacher

 

 

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