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Monitoring an Massivbauten: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Monitoring an historischen Massivbauten
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

War der Riss schon gestern da? Bewegt sich das Gebäude? Häufig ist es ratsam, ein Bauwerk zunächst über einen längeren Zeitraum genau zu überwachen. Welche Methoden bieten sich dafür an und welche Vor- und Nachteile gehen damit einher?

Auch bei gründlicher Anamnese lassen sich Risse und andere Bauschäden an alter Bausubstanz nicht immer mit abschließender Sicherheit beurteilen. Bevor eine gegebenenfalls teure Instandsetzung vorgenommen wird, kann es deshalb empfehlenswert sein, zunächst abzuwarten und den möglichen Schadensfortschritt mit einem präzisen, auf das jeweilige Schadensbild abgestimmten Monitoringprogramm zu überwachen. Hierfür stehen unterschiedliche technische Möglichkeiten zur Verfügung, von nahezu kostenneutralem »Lowtech« bis zur aufwendigen digitalen Messvorrichtung.

Grundlagen

Unabhängig von Anwendung und Methode – einige wesentliche Prinzipien sind für den Erfolg jedes Monitoringprogramms ausschlaggebend. Zunächst einmal: Der Beginn der Messreihe muss festgehalten werden, mindestens mit einer Bleistiftnotiz am Objekt. Nur die präzise Zuordnung einer Formänderung zu einem Datum ermöglicht, den Verlauf des Schadens zu bewerten: Kommt die Verformung langsam zur Ruhe? Oder nimmt sie über die Zeit progressiv zu?

Ebenso ist zu berücksichtigen, dass jedes Gebäude im Jahreslauf »arbeitet«, also bereits natürliche Temperaturschwankungen zu Relativbewegungen führen. Risse können sich also zyklisch öffnen, ohne dass dies einen tatsächlichen Schadensfortschritt bedeutet (Abb. 2). Spannend wird es allerdings, wenn sich die Formänderung nach einem Jahres-Messzyklus nicht wieder auf den Ausgangswert zurückstellt … Vergleichbar sind ausschließlich Messwerte, die unter ähnlichen Randbedingungen aufgenommen wurden. Für eine präzise Analyse sollten damit z. B. auch die Umgebungstemperatur und – je nach Schadensbild – die Luftfeuchtigkeit aufgenommen werden.

Externe Messsysteme für das Monitoring an Massivbauten

Grundsätzlich lassen sich extern referenzierte Messsysteme sowie lokale Messsysteme unterscheiden. Bei Ersteren wird der Bezug zu einem vom überwachten Objekt unabhängigen Element gesetzt. Im einfachsten Fall ist dies die Erdanziehung: Ein verkippter Pfeiler lässt sich in einem windstillen Innenraum mit einem aufgehängten Lot überwachen. Wie bei jedem anderen Monitoringverfahren wird auch in diesem Fall bei der Montage der »Messvorrichtung« die Nullmessung, also die ursprüngliche Lage/Projektion der Lothängung markiert.

Eine »moderne« Variante des Lotes ist die Installation eines digitalen Inklinometers (Abb. 1), also eines Neigungsmessers, der auch im Außenbereich und bei Wind nutzbar ist. Da der Anbringungsort häufig, etwa an Kirchtürmen, nicht einfach zugänglich ist, muss das Messgerät entweder mit einem langen Kabel oder einer kabellosen Online-Verbindung ausgestattet sein. Auf diese Weise lässt sich eine nahezu beliebig dichte Folge von Messwerten generieren.

Alternativ und ergänzend zur Messung der Neigung ist eine messtechnische Überwachung bestimmter Fixpunkte über eine externe Messreihe möglich. Dies erfolgt meist ganz traditionell, indem in regelmäßigen Intervallen ein Vermessungsingenieur die Messpunkte mit einem Tachymeter erfasst. Erfahrungsgemäß wird die Messgenauigkeit dabei allerdings häufig durch die mühsame, mehrfache Neueinrichtung des Messvorgangs reduziert.



Für eine exakte und engmaschige Überwachung bieten sich heute digitale Abstandsmesser an, die sowohl von einem externen Fixpunkt an das Objekt messen wie auch Relativmaße in einem Bauwerk aufnehmen können. Entsprechende Vorrichtungen wurden bereits vor einem Jahrhundert konzipiert: Aus den 1920er Jahren sind etwa raffinierte Konzepte zur Überwachung der Augsburger Domgewölbe überliefert, bei denen entweder ein aufwendiges Hebelsystem eingebaut oder wahlweise der Lichtstrahl einer elektrischen Lampe über einen Spiegel auf eine Messskala umgeleitet werden sollte. Zur Umsetzung kam es freilich nicht, der technische Aufwand stand offenbar in keinem Verhältnis zur erreichbaren Genauigkeit.

Heute bietet die kontaktlose Messung mit digitaler Datenerfassung ein effizientes Werkzeug für das Monitoring an Massivbauten. So lassen sich, beispielsweise um die Aufweitung von Gewölbebasen zu erfassen, Laser-Distanzmessungen in festgelegten Intervallen durchführen. Mit den nahezu grenzenlosen Speicherkapazitäten können engmaschige Datenreihen erzeugt werden, die tatsächlich das »Leben« eines komplexen Baugefüges im Jahreslauf nachvollziehbar machen (Abb. 1).

Rissüberwachung – Blick zurück

Häufig konzentriert sich das Interesse auf den einzelnen Riss und dessen Entwicklung – dazu benötigt man nicht unbedingt ein aufwendiges Gebäudemonitoring-System, sondern kann sich auch mit »Lowtech«-Lösungen helfen. Im einfachsten Fall wird die Rissbreite in regelmäßigen Abständen an vorab definierten Stellen mit einer geeigneten Schablone überprüft
(Abb. 3). Eine weitergehende Bestandsanalyse ermöglicht dabei bereits gewisse Aussagen über den zeitlichen Verlauf einer Bewegung in der Vergangenheit. Gut möglich ist dies etwa bei Objekten, bei denen die letzte Neufassung der Raumschale, also der Wandanstriche, datierbar ist. Bei der Untersuchung wird zunächst die relative Breite des Risses in der aktuellen Fassung gemessen. Sie bezeichnet, da bei Malerarbeiten »alte« Risse normalerweise zugeputzt werden, die seit diesem Zeitpunkt aufgetretene Formänderung. Anschließend wirft man einen Blick auf das dahinterliegende Mauerwerk. Dazu kann restauratorisch (oder an einem Putzausbruch) die Gesamtbreite des Risses (»absolute« Rissbreite) im bauzeitlichen Bestand freigelegt und gemessen werden. Beträgt die absolute Rissbreite bei einem Gewölbe aus der Zeit um 1300 z. B. 7 cm und ist die letzte, vor 150 Jahren aufgebrachte Raumfassung um 1,5 cm aufgerissen (Abb. 4), bedeutet dies, dass in den davorliegenden 550 Jahren der Riss auf 5,5 cm gewachsen war. Daraus lässt sich eine lineare, kontinuierliche Bewegung ohne Progression mit einer Geschwindigkeit von 1 cm/Jahrhundert ableiten.

Rissüberwachung – Blick nach vorne

Für das »zukunftsorientierte« Monitoring an Massivbauten stehen gleichermaßen einfache und kostengünstige Methoden bereit, etwa indem der »Startpunkt« des Risses mit einem (datierten) Bleistiftstrich auf der Wandfläche markiert wird. So effektiv wie effizient ist schließlich die Rissüberwachung mit Gipsmarken (Abb. 5). Hierbei wird mit Modelliergips ein Streifen quer über den Riss gezogen. Beide »Endstücke« an den Rissufern werden, damit sie sich nicht vom Grund lösen, breit ausgestrichen. In der Mitte verbleibt ein dünner Steg über dem Riss, die Gipsmarke hat also im Idealfall die Form der früher beliebten Schokoladenspezialität »Katzenzungen«. Schon bei geringen Bewegungen bricht das spröde Material an der dünnsten Stelle und ermöglicht damit die Überwachung der Rissaktivität – bei der Auswertung ist allerdings eine gewisse analytische Vorsicht geboten, denn bei klaffenden Rissen an größeren Bauwerken kommt es im Jahresverlauf unweigerlich zu Relativverschiebungen – auch ganz ohne eigentlichen Schadensfortschritt.

Früher wurden als Alternative zu den nicht witterungsbeständigen Gipsmarken auch oft dünne Glasscheiben über dem Riss eingemörtelt, bei denen sich an den scharfen Bruchkanten des Materials die Rissentwicklung ablesen ließ (Abb. 6). Das Verfahren hat sich über die Zeit jedoch nicht bewährt: Häufig brach nicht die Glasplatte, sondern es löste sich einseitig die Befestigung des Messobjektes im Putz.

Etwas aufwendiger sind fest installierte Referenzpunkte an beiden Rissufern, die dann auch langjährige Überwachungen ermöglichen. An verschiedenen Großbauten, etwa am Ulmer Münsterturm, finden sich mitunter jahrhundertealte Messmarken, teils als eingetriebene Metallstifte (Abb. 7), teils auch als steinmetzmäßig eingearbeitete Referenzmarken. Werden an den Rissufern nicht nur zwei, sondern drei Referenzpunkte gesetzt (Abb. 8), können die Abstände zwischen den Referenzpunkten jeweils mit einer präzisen Schieblehre gemessen und so neben der Riss-Aufweitung auch eine Parallelverschiebung der Rissufer erfasst werden – dies kann wiederum für die Analyse der Schadensursachen relevant sein.



Etwas einfacher sind über dem Riss aufgesetzte »Riss-Spione« (Abb. 9). Dieses gleichermaßen erschwingliche Werkzeug besteht aus zwei transparenten, übereinander geschobenen Elementen, die wiederum jeweils an beiden Rissufern befestigt werden. Auf einem Element ist ein Fadenkreuz aufgedruckt, auf dem Gegenstück ein Raster-Gitter. Wird das Messobjekt präzise, mit guter Überlagerung beider Teilstücke bzw. einer Markierung der Initialposition installiert, kann man auf der Verschiebung der beiden Teilstücke zueinander die Relativbewegung ablesen.

Schließlich lassen sich Risse auch mit aufwendigen – damit kostenintensiven – digitalen Messverfahren kontrollieren. Über die Rissufer wird ein Messelement mit Bewegungsaufnehmern gespannt (Abb. 10); zu der damit möglichen engmaschigen Kontrolle der Bewegungen können ergänzend Werte wie Raumtemperatur etc. aufgenommen werden. In der weiteren Auswertung wird so der Einfluss der Temperaturverformungen über den Jahresverlauf quantifizierbar und im Modell eliminiert.

Ein wesentlicher Vorteil: Wird das System an ein digitales Netzwerk angeschlossen, lassen sich vorab relevante Grenzwerte festlegen, bei denen eine automatische Benachrichtigung – letztlich ein Alarm – an die betreuende Stelle ausgegeben wird. Auf diese Weise kann zeitnah auf deutliche Bauteilbewegungen reagiert werden. Glücklicherweise handelt es sich bei den meisten Notfällen mit spontanen Ausschlägen der Messkurven um Marderschäden an der Apparatur!


Christian Kayser

Architekturstudium an der TU München und der University of Bath, Schwerpunkt Bauforschung und historische Baukonstruktionen. Seit 2004 Mitarbeit im Ingenieurbüro Barthel & Maus, heute Geschäftsführer von Kayser + Böttges, Barthel + Maus. 2008-11 wissenschaftliche Mitarbeit an der TU München, Dissertation. Lehraufträge an TU und LMU München.


Mark Böttges

Architekturstudium an der RWTH Aachen. Aufbaustudium Baudenkmalpflege an der FH Trier. Mitarbeit bei HLG, Luxemburg. Seit 2006 Mitarbeit bei Barthel & Maus, seit 2012 Geschäftsführer, seit 2020 geschäftlicher Gesellschafter bei Kayser + Böttges | Barthel + Maus.

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