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Kornversuchsspeicher in Berlin, AFF ARCHITEKTEN

Kornversuchsspeicher in Berlin
Frische Körnung

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Als einziges altes Bauwerk in der Berliner Europacity ist ein Silo erhalten geblieben. Heute dient es als Büro und potenzielle Veranstaltungsfläche. Eine raffinierte Aufstockung stärkt die Präsenz des identitätsstiftenden Gebäudes im Quartier.

Architektur: AFF ARCHITEKTEN
Tragwerksplanung: ISKP Ingenieure

Text: Jürgen Tietz
Fotos: Tjark Spille

Die sogenannte »Europacity«, die seit Jahren auf dem langgestreckten Areal eines ehemaligen Güterbahnhofs entsteht, gehört zu den zentralen Berliner Neubau- und Transformationsprojekten. Wo einst per Schiene geliefert und geladen wurde, wird nun gewohnt und gearbeitet. Städtebaulich ist das Ergebnis sehr blockig, architektonisch ist es vornehmlich rechteckig und in der Belanglosigkeit seines Investorenallerleis könnte es so ziemlich überall in der nördlichen Hemisphäre stehen. Aber gut, das ist offenbar das, was derzeit für »urban« gehalten wird und als »marktgängig« gilt.

Doch hier geht es nicht um die nachhaltig gebaute Zukunft, um lustvoll durchgrünte Quartiere, in denen sich die Wege im Sinne Camillo Sittes schlängeln, sondern ich besuche ein altes Haus: den in mehreren Bauphasen entstandenen »Kornversuchsspeicher«. Nach Entwurf der Berliner AFF Architekten wurde das denkmalgeschützte Bauwerk nun aufwendig saniert, umgebaut und aufgestockt. Unweit des Nordhafens gelegen, markiert der backsteinrote Speicher das andere Ende des neuen Stadtquartiers, das am Berliner Hauptbahnhof beginnt.

Unschwer lassen sich die drei wichtigsten Bauphasen des Gebäudes ablesen. Der Ursprungsbau entstand 1898/99 in der für Berlin-Brandenburg damals üblichen historisierenden märkischen Backsteinarchitektur mit massiver doppelstöckiger Sockelzone und zwei durch Lisenen und Geschossbänder gegliederten Doppeletagen samt abschließendem Rundbogenfries. Dem traditionellen Äußeren stand seine innovative Funktion gegenüber. Der von der Landwirtschaftlichen Hauptgenossenschaft beauftragte Speicher, den die Baufirma Hermann Streubel ausführte, sollte der Erforschung einer optimierten Getreidelagerung dienen, um die Versorgung der schnell wachsenden Bevölkerung der Metropole Berlin zu gewährleisten. Eine erste Erweiterung erfolgte bereits um 1912 durch ein seitlich angebautes Maschinenhaus. Wohl 1915/16 kam ein zweiter Speicherteil hinzu, der sich deutlich vom ersten Bauteil abhebt. Seine außenliegende Rahmenkonstruktion aus Sichtbeton ist von einer für die Zeit überraschenden Modernität in Erscheinungsbild und Material. Die zu den oberen Geschossen immer dünner ausgeführten Betonpfeiler wurden so verputzt, dass man zumindest an der Fassade von diesem Kniff zur Materialersparnis nichts sieht. Als Herausforderung für die Sanierung erwies sich die unzureichende Betonüberdeckung der Eisenbewehrung, die an etlichen Stellen frei lag und korrodierte.

Etagen belichtet, Betonprobleme gemeistert

Als dritte prägende Bauphase zeigt sich die aktuelle Ergänzung durch AFF. Mit ihr erhielt das Haus einen neuen, gemauerten Dachabschluss als Aufstockung, der die beiden unterschiedlichen Bauteile klug skulptural bekrönend zusammenbindet. Wie selbstverständlich schieben sich Balkone und große gläserne Öffnungen in den zuvor komplett geschlossenen Bauteil 2. Da fügen sich alt und neu so frisch und fein zueinander, als wären sie ein Wurf aus der Hand der Gegenwart.

Die neuen Fassadenöffnungen weisen bereits darauf hin, wo neben der Betonsanierung die größte Aufgabe beim Umbau von Bauteil 2 lag. Ein Speicher benötigt im Innern kein natürliches Licht. Eine Nachnutzung als Büro hingegen schon, nachdem seitens der Denkmalpflege frühzeitig der Einbau von Wohnungen verworfen worden war. Eine weitere Herausforderung waren die niedrigen Geschosshöhen des Speichers. Geschickt ist es AFF gelungen, dennoch interessante neue Räume zu schaffen. Dafür mussten teils Pfeiler und Geschossdecken entfernt werden. Eine statische Herausforderung. Neu hinzugekommen sind stählerne Galerien mit Holzböden, so dass am verwendeten Material die Zeitschichten erkennbar bleiben. Die teilweise zu sparsam eingelegte historische Bewehrung des Betons wurde an den herausgeschnittenen Betonteilen durchtrennt. Wie ein zufälliges Kunst-am-Bau-Projekt zeichnen sich nun die dunklen Punkte des Eisens im geschnittenen Beton ab und ziehen sich als Leitmotiv durch den Bau. Ohnehin fügen sich die Geometrien der Betonbauteile und die rau belassenen neuen Betonoberflächen zu einem schönen Gesamteindruck, der in seiner freundlichen Ruppigkeit durchaus typisch für die Arbeit von AFF ist. Eine solche Raumkonstellation jenseits des gerasterten Bürostandards angemessen zu nutzen, fordert einen kreativen Geist. Den vorausgesetzt, kann das Arbeiten hier künftig zu einem faszinierenden Erlebnis werden.

Bei den historischen Stützen im EG des Bauteils 2 lassen sich alt und neu nicht ganz so offensichtlich voneinander unterscheiden. Dafür sorgt eine neue, 2 cm dicke Schicht Spritzbeton, mit der sie ertüchtigt wurden. Zwischen den Pfeilern blieben die nach unten zulaufenden, pyramidenartigen Schüttöffnungen der Deckenfelder erhalten und wurden mit Einbauleuchten bestückt. Die historischen Fenster machten bis auf einen Beleg Platz für neue. Die alte Sackrutsche wurde zwar noch einmal aufgestellt, besitzt aber ohne Deckendurchbruch zwischen den Geschossen nur skulpturalen Objektcharakter, der auf die ehemalige Nutzung verweist. Diese Etage bietet sich als Veranstaltungs- oder Gastronomiefläche geradezu an.

Aufstockung im Ziegelkleid

Über die in Sichtbeton ausgeführte neue Erschließungsspange zwischen den Bauteilen des Speichers geht es empor. Da die Betonstützen von Stockwerk zu Stockwerk schlanker werden, verändert sich das Raumerlebnis, werden die Etagen stetig lichter, bis man im neuen DG ankommt. Von der Aufstockung ließ sich die Denkmalpflege überzeugen, weil auf historischen Fotos ein Laternendach zu sehen ist, das nicht mehr erhalten war. Der neue Aufbau knüpft also an die ursprüngliche Gebäudeform an und greift die frühere Firsthöhe wieder auf.

Mit ihrem Entwurf unterstreichen AFF einmal mehr, dass sie nicht nur in Beton, sondern auch in Ziegel zu denken und zu bauen vermögen. Die vorhandenen Kubaturen der Bauteile des Hauses werden ungeachtet ihrer unterschiedlichen Gestaltung nach oben weitergeführt und durch das neue Ziegelgeschoss zu einer abschließenden Einheit zusammengebunden. In ihrer Materialität bezieht sich die Fassade des DGs auf den Bestand und formuliert durch eine Binnenstruktur aus vor- und rückspringenden Ziegellagen zugleich etwas Neues. So entsteht eine Hauskrone in den fast schon archaisch anmutenden Formen eines Satteldachs. Statisch unbedenklich, angesichts der ehedem notwendigen Ertüchtigung, schafft die Aufstockung flexibel nutzbare neue Räume. Begleitet wird das DG auf beiden Längsseiten durch großzügige Dachterrassen. Anstatt sich bei deren Absturzsicherung in einem Materialallerlei zu verlieren, führen AFF mit schönen Ziegelbrüstungen ihr Materialkonzept konsequent fort. Damit gelingt es ihnen, dass das DG in der Gesamtansicht als Einheit wahrgenommen wird – ein großer Gewinn für das Erscheinungsbild des heterogenen Baudenkmals.

Die Nutzer sind zu beneiden, bietet sich von den großzügigen Terrassen doch ein weiter Blick über die Stadt. Statt auf die Europacity schaue ich lieber auf den Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal und die angrenzende Berliner Bauwelt, mit dem Schering-Gebäude im einstigen Westen und der neuen BND-Zentrale in Mitte, die beispielhaft für die in Berlin öfters anzutreffende aktuelle Adipositas-Architektur steht, fette Häuser am falschen Ort.

Den Kornversuchsspeicher zu erhalten und ihm durch Sanierung, Umbau und Aufstockung eine Zukunft zu ermöglichen, war eine gute Tat. Im Gespräch mit Ulrike Dix von AFF Architekten wird einmal mehr deutlich, wie wichtig dafür ein verständiger Aushandlungsprozess zwischen Planenden und Denkmalpflege über mögliche und unmögliche Eingriffe in ein Baudenkmal ist. Wie auch immer das alte Haus in Zukunft genutzt wird, für den Stadtraum besitzt es eine Signalwirkung, an der es den meisten seiner Nachbarbauten in der Europacity mangelt.


  • Standort: Hedwig-Porschütz-Straße 20, 10557 Berlin
    Bauherr: Adler Group
    Architektur: AFF Architekten, Berlin
    Tragwerksplanung: ISKP Ingenieure, Berlin
    TGA-Planung: Passau Ingenieure, Berlin
    Landschaftsplanung: capattistaubach urbane landschaften, Berlin
    BGF: 3 588 m²
    BRI: 12 520 m³
    Baukosten: 14,75 Mio. Euro
  • Beteiligte Firmen:
    Dach: Wienerberger, www.wienerberger.de
    Belag Dachterrasse: NATURinFORM, www.naturinform.de
    Fassade/Außenwand: CERASAGA Baukeramik, www.cerasaga.com
    Fenster/Türen Fassade: Hueck System, www.hueck.de
    Schiebetüren Fassade DG/EG: Solarlux, www.solarlux.com
    Fenster innen EG: Aluflam Brandschutzelemente, www.aluflam.de
    Fliesen im Sanitär: Mosa, www.mosa.com
    Beleuchtung Betonschütten: XAL, www.xal.com
    Beleuchtung Bestandstreppenhaus: Zumtobel, www.zumtobel.de
    Bodenbeläge allgemeine Flächen: Chemotechnik, www.chemotechnik.de
    Bodenbeläge Empfang/Café: Terrazzo-SIV, www.sibland.pt
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