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Egon Eiermann - zum 50. Todestag
Die Selbstgewissheit der Moderne

1970 starb Egon Eiermann unerwartet, einige Bauten wie die Stuttgarter IBM-Zentrale und die Frankfurter Olivetti-Türme konnte er nicht mehr selbst vollenden. Wie kaum ein anderer Architekt hatte er die Baukunst der jungen Bundesrepublik geprägt.

Egon Eiermanns Schaffen war von einer großen Zuversicht getragen: dem Glauben an die moderne Architektur. Eiermann vertrat eine humane, in die Erfahrungswelt der Menschen vermittelnde und zugleich rationale Moderne. Mit dieser Haltung steht er exemplarisch für die Architektur der frühen Bundesrepublik Deutschland, die er nicht nur mit seinen Bauten maßgeblich prägte, sondern auch als in die nächste Generation hineinwirkender charismatischer Lehrer an der TH Karlsruhe. Eiermann ist sein Leben lang für moderne Architekturformen eingestanden: in der erfolgreichsten Phase seines Lebens getragen von einem breiten Konsens, vor 1945 unter widrigen Umständen. Am 19. Juli 2020 jährt sich der Todestag des Architekten, der sich am Ende seines Lebens lieber zum alten Eisen als zum neuen Blech zählen lassen wollte, zum 50. Mal.

Egon EiermannStadthaus Krefeld
Jahrelang hat sie am Unterhalt gespart und ihren Verwaltungsbau von Eiermann herunterkommen lassen. Nun kehrt die Stadt Krefeld dem Gebäude endgültig den Rücken, statt es denkmalgerecht instandzusetzen – eine kultur- und finanzpolitische Farce.

Bild: Steffen Schmitz, Wikimedia Commons

Auf einen guten Weg gebracht wurde Egon Eiermann von Hans Poelzig. Der berühmte Architekt unterrichtete seit 1923 an der TH Berlin-Charlottenburg, wo Eiermann, der 1904 in Babelsberg geboren und dort aufgewachsen war, 1922 sein Architekturstudium begonnen hatte. Eiermann fand in Poelzig einen der Moderne gegenüber aufgeschlossenen, undogmatischen Lehrer. Dieser schätzte seinen talentierten Studenten und nahm ihn als Meisterschüler in sein Atelier an der Akademie der Künste auf. 1926 gründete Eiermann zusammen mit anderen Poelzig-Schülern die »Gruppe junger Architekten«. Mit dieser vertrat er eine architektonische Haltung, die ihre Werte aus dem Metier selbst schöpft: sinnliche Qualitäten, die aus dem – mal handwerklich, mal industriell verarbeiteten – Material gewonnen werden; Formen und Texturen, deren ästhetischer Reiz in der Ablesbarkeit ihrer Entstehungsprozesse liegt. Solche Qualitäten zeichnen Eiermanns erste Bauten aus: das kleine Umspannwerk (1929/30), das Heinz Johannes 1931 in den Führer Neues Bauen in Berlin aufnahm; das Haus Hesse (1931/32), einen flachen Sichtbacksteinbau in Berlin-Steglitz, dessen Besichtigung Mies van der Rohe seinen Studentinnen und Studenten am Berliner Bauhaus ans Herz legte.

Eiermann im Nationalsozialismus

Das Umspannwerk hatte Eiermann als angestellter Architekt der Berliner Elektrizitätswerke entworfen. 1930 machte er sich zusammen mit seinem Studienfreund Fritz Jaenecke selbständig. Die beiden führten das Büro bis 1934 gemeinsam; 1937 emigrierte Jaenecke mit seiner »halbjüdischen« Frau nach Schweden. Die in den 30er Jahren entstandenen Wohnhäuser haben – meist flach geneigte – Satteldächer, sind aber weit entfernt von nationalsozialistischer Blut und Boden-Ästhetik. Das bemerkenswerteste Wohnhaus aus dieser Zeit ist das erst 1942, mitten im Krieg, fertiggestellte Haus Vollberg: ein in alle Richtungen ausgreifender mehrflügeliger Flachbau mit weit überstehendem Welleternit-Dach, unter dem die Außenwände teils komplett in Glas aufgelöst sind (Abb. 1). Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Eiermann bereits erfolgreich im Industriebau etabliert. Dies war nicht nur ein Feld, das die offizielle Politik im Zuge der Aufrüstung begünstigte. Es bot auch einen – von Eiermann bis an die Grenzen (und manchmal auch darüber hinaus) ausgereizten – Freiraum zur Fortsetzung seiner modernen Entwurfspraxis. Dank der architekturhistorischen Forschung sind die politischen Implikationen dieser »Moderne unterm Hakenkreuz« heute gut bekannt. Dies gilt auch für Eiermann, der 1937 der »Leistungsschau« der nationalen Propagandaausstellung »Gebt mir vier Jahre Zeit« zu einem dynamisch-modernen Auftritt verhalf, der mit seinem Erweiterungsbau für die Totalwerke in Apolda (1938/39) auch Maßgaben nationalsozialistischer Arbeitspolitik umsetzte und der in den letzten Kriegsmonaten kreuz und quer durch das gesamte Deutsche Reich reiste, um zu seinen Baustellen zu gelangen, darunter auch (ungeliebte) Bunkerfabriken und »Erdhäuser« für Werftarbeiter.

Egon EiermannSiedlungshaus in Hettingen
Wie sich Wohnraum für wenig Geld schaffen lässt, zeigte Eiermann in seinen frühen Jahren. Eines seiner Siedlungshäuschen ist jetzt feinfühlig saniert worden. Die Armut der einstigen Bewohner führte dazu, dass es bis heute fast unverändert erhalten ist.

Bild: Bernd Hausner © Landesamt für Denkmalpflege RP Stuttgart

In dem Ausweichbüro in Beelitz-Heilstätten südlich von Berlin, in dem Eiermann ab 1944 mit einigen seiner Mitarbeiter auch wohnte, hielt er fast bis Kriegsende durch. Erst als die Rote Armee Beelitz im April 1945 zum zweiten Mal einnahm, verließ er seine alte Heimat und machte sich zusammen mit seiner Sekretärin Gisela Iwand zu Fuß auf den Weg Richtung Buchen im Odenwald, der Geburtsstadt seines Vaters. Im Odenwald und im deutschen Südwesten entwickelte Eiermann bald eine Bautätigkeit, die in zweifacher Hinsicht beachtlich ist: im Hinblick auf ihren puren Umfang und, weitaus wichtiger, im Hinblick auf die außerordentliche architektonische Qualität, die Eiermanns Bauten auszeichnet. Exemplarisch stehen dafür das Verwaltungs- und Fabrikgebäude der Ciba AG in Wehr/Baden (1948-52) und die 1949-51 realisierte Taschentuchweberei in Blumberg. Bei dieser gelang Eiermann das Kunststück, die Containerarchitektur einer Kunstlichtfabrik als einen Großbau von bestechender Eleganz zu gestalten, in dem sich formale Präzision und spielerische Leichtigkeit verbanden (Abb. 3). Heute kann man das nur noch anhand von Fotos nachvollziehen, denn der Bau der in den 90er Jahren stillgelegten Fabrik wurde trotz Protesten 2009 abgerissen.

»Eine traurige Berühmtheit«

Nach Kriegsende war Eiermann der Mann der Stunde. Durch sein standhaftes Eintreten für moderne Architekturformen verkörperte er in den Augen vieler die Kontinuität eines besseren Deutschlands. Zwar hatte er auch öffentliche Aufträge angenommen, doch das, was als offizielle NS-Architektur galt, fand man bei ihm nicht. Anfragen für die Übernahme einer Professur kamen aus dem ganzen Land: Weimar, Darmstadt, Hannover, Berlin und Karlsruhe. »Ich weiß wirklich nicht, warum ich eine so traurige Berühmtheit bin«, kommentierte Eiermann die Situation 1946 in einem Brief an seine Frau.[1] Die Entscheidung fiel zuletzt gegen Berlin und für Karlsruhe. 1947 trat er seine Professur dort an. Das, was er als Architekt zu bieten hatte, sowie sein jovialer, optimistisch-mitreißender und zugleich fordernder Unterrichtsstil machte Karlsruhe bald zur beliebtesten Architekturschule des Landes.

Die Bundesrepublik Deutschland repräsentierte Eiermann mit seinen Bauten wie kaum ein anderer. Zusammen mit Sep Ruf war er der Architekt der deutschen Pavillongruppe auf der Weltausstellung in Brüssel 1958. Für den ersten derartigen Auftritt der Bundesrepublik auf dem internationalen Parkett entwarfen die beiden Architekten acht Glaskuben, die in eine sanft modulierte Parklandschaft eingebettet sind (Abb. 4). Das, was hier programmatisch war – der Verzicht auf jeden Überwältigungsgestus –, war und blieb typisch für Eiermanns Moderne-Verständnis und unterscheidet ihn auch von seinem großen Vorbild Mies van der Rohe.

Egon EiermannEiermanns Dauerbaustelle
Berühmt wie berüchtigt ist die Gebäudegruppe der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, die Egon Eiermann 1957-63 in Berlin errichtete: Von Anfang an musste die Gemeinde mit Schäden kämpfen. Nun hat die Wüstenrot Stiftung die Kapelle instandsetzen lassen.

Bild: Thomas Wolf/Wüstenrot Stiftung

Weitere Staatsaufträge folgten, für das Kanzleigebäude der Deutschen Botschaft in Washington (1958-64), einen terrassierten Stahl-Glas-Bau, über dem seit 1994 die modern-klassizistische Botschafterresidenz des Eiermann-Schülers O. M. Ungers thront; oder für das Abgeordnetenhochhaus, den »Langen Eugen« (1965-69), einen Symbolbau des Bonner Republik, der bis zum Umzug des Parlaments nach Berlin ein fester Bestandteil der täglichen Fernsehnachrichten war. Und auch West-Berlin verdankt Eiermann mit der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche (1957-63) ein Wahrzeichen (Abb. 5). Der Architekt hatte mit allen ihm zur Verfügung stehenden Kräften für seine Vision der neuen Kirche gekämpft. Noch nach Baubeginn ließ er auf eigene Kosten das Fundament des Turms auf die andere Seite der Turmruine verlegen, zugunsten einer optimalen Wirkung der Gebäudegruppe im urbanen Umfeld – ein Umfeld, das heute durch neue, mächtige Höhendominanten geprägt ist.

Eiermann glaubte an die transformierende Kraft der Moderne und an die Notwendigkeit steter Veränderung. Dass diese Moderne für ihn zugleich ein klassisches Ideal darstellte, ist ein Paradox. Diesem Paradox verdanken wir einige der schönsten Bauten der deutschen Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts.

~Sonja Hildebrand


Die Autorin lehrt als Professorin Architekturgeschichte der Moderne an der Accademia di architettura Mendrisio, Università della Svizzera italiana.


[1] Brief vom 26.4.1946, Kopie im Archiv der Verf.

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