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Erweiterung des Stadtcasinos Basel von Herzog & de Meuron

Erweiterung des Stadtcasinos Basel
Diskretion und Sinnlichkeit

Nach einem gescheiterten Anlauf mit Zaha Hadid 2007 wurde das Stadtcasino Basel nun scheinbar zurückhaltend erweitert. Das Konzept überzeugt durch städtebauliche Prägnanz, den Respekt vor dem Bestand aber auch durch Interventionen, die zwischen einem ironischen Dialog und auftrumpfender Formensprache oszillieren.

Architekten: Herzog & de Meuron
Tragwerksplanung: A. Aegerter & Dr. O. Bosshardt

Kritik: Hubertus Adam
Fotos: Roman Weyeneth, Rüdi Walti, Herzog & de Meuron

Der 15. Juni 2007 gilt als der schwärzeste Tag in der Geschichte der Casino-Gesellschaft Basel: Mit einer satten Mehrheit von 62 % verwarf die Stimmbevölkerung der Stadt das Projekt des »Neuen Stadt-Casino Basel« von Zaha Hadid. Ein Schock: Fünf Jahre Planungszeit wurden zu Makulatur gestempelt, der von Kulturkreisen gefeierte Entwurf der Stararchitektin aus London war Geschichte. Da das politische Basel einhellig hinter dem Projekt stand und die Betreiberin auch schon eine stattliche Summe an privaten Fördermitteln akquiriert hatte, rechnete kaum jemand mit dem Erfolg der Allianz aus eher links zu verortenden Hochkunst-Kritikern sowie dem rechteren Spektrum zuzuordnenden Stadtbildbewahrern. Demografische Untersuchungen zeigten kurz darauf, dass nicht die Formensprache der Architektur der wesentliche Grund für die Ablehnung war – sie bekam mehrheitlich positive Werte. Vielmehr waren es die Größe und Wucht des Neubaus, die als unverträglich für die Innenstadt Basels empfunden wurde. Nach einiger Zeit der Schockstarre begann die Casino-Gesellschaft mit einem neuen Anlauf. Noch einmal scheitern wollte man nicht, und so betraute man Herzog & de Meuron, deren Tätigkeit in ihrer Heimatstadt so viel Gewicht besitzt, dass Kritik fast ausgeschlossen ist, mit einer Studie, die städtebauliche Situation um das Stadtcasino Basel zu untersuchen und damit Potenziale zu einer Neuaufgleisung des Um- und Neubauprojekts auszuloten. Als Lehre aus der Vergangenheit erfolgte der weitere Planungsprozess viel geräuschloser: Kein spektakulärer Wettbewerb, sondern ein Direktauftrag an Herzog & de Meuron; keine große mediale Aufmerksamkeit, sondern sozusagen ein stiller Flug unter dem Radar der Öffentlichkeit; keine ikonische Architektur im Zentrum der Stadt, dafür neben der denkmalgerechten Sanierung des Bestands eine nachgerade lustvolle, spielerische, fast schon den Kitsch streifende Formen- und Farbwelt im Innern. Pandemiebedingt ging die Eröffnung 2020 noch lautloser vonstatten als es sich selbst die aus gutem Grund die schrillen Töne scheuende Casino-Gesellschaft erhofft hatte. Wer mit ungeschultem Auge und der örtlichen Situation wenig kundig nach Basel kommt, wird von den Interventionen kaum etwas bemerken. Vordergründig sieht alles aus, als wäre es schon immer so gewesen. Ein Augenschein vor Ort zeigt aber, dass es sich bei dem Vorgehen von Herzog & de Meuron um eine Strategie handelt, die auf den ersten Blick selbstverständlich erscheint, bei genauerem Hinsehen aber überaus intelligent und spielerisch mit dem Bestand umgeht. Und der ganz beiläufig etwas gelingt, was das ostentative Konzept von Zaha Hadid nicht vermocht hätte: Dem Stadtcasino Basel einen neuen Auftritt im Stadtraum zu verschaffen.

Bild: Roman Weyeneth

Repräsentation und Einfachheit

Das Stadtcasino Basel selbst wurzelt im Ursprungsbau des Klassizisten Melchior Berri, der zur Zeit des Wettbewerbs 1822 noch Student von Friedrich Weinbrenner in Karlsruhe war. Das vier Jahre später eröffnete Gesellschaftshaus war mit Restaurant und Veranstaltungssaal Ort einer im Entstehen begriffenen bürgerlichen Festkultur. Doch erst später im 19. Jahrhundert hatte sich die Art der Konzertveranstaltungen derart ausdifferenziert, dass der Architekt Johann Jakob d. J. 1876 auf der östlich anschließenden Parzelle einen eigenen Musiksaal in neubarocken Formen errichtete. Zusammen mit dem Theater und der ebenfalls von Stehlin d. J. errichteten Kunsthalle avancierte die Straße Steinenberg zur bildungsbürgerlichen Kunstmeile; Stehlins Neffe Fritz baute den Musiksaal 1905 um und ergänzte ihn um einen Kammermusiksaal. Die nächste größere Intervention erfolgte zwischen 1938 und 1941: Berris Stadtcasino wurde durch einen Neubau ersetzt, der mit einem Vestibül-Annex unmittelbar an den Musiksaal andockte. Zum Barfüsserplatz hin, dem wichtigsten und identitätsstiftenden Platz in Basel, liebevoll Barfi genannt, war diese Lösung wenig befriedigend, weil sie eine Art von Hinterhofsituation entstehen ließ.

Herzog & de Meurons wichtigster Eingriff bestand darin, das Casino-Gebäude von 1941 und den Musiksaal zu entkoppeln. Das verbindende Vestibül wurde dafür entfernt, sodass nun wieder ein direkter Durchgang zwischen Steinenberg und Barfi besteht. Außerdem entfernten sie das angebaute Garderobenfoyer und ersetzten es durch einen neuen Foyeranbau, der zunächst so wirkt, als sei das nunmehr freigestellte Volumen des Konzertsaals samt seiner Fassade nach Norden extrudiert worden. Denn die Architekten haben die bestehende Fassade des bestehenden Musiksaals mit ihren Rundbogenfenstern und der horizontalen Gliederung exakt kopiert, nur handelt es sich nicht um Stein oder Putz, sondern um lasiertes Holz – was allerdings erst erkennbar wird, wenn man wirklich nahe vor dem Gebäude steht. Herzog & de Meuron verweisen darauf, dass auch einzelne Elemente des Musiksaalgebäudes wie die Säulen in Saal oder das Hauptgesims entgegen ihrer Erscheinung in Holz ausgeführt worden seien. Die Idee, die repräsentative Fassade zu kopieren, aber in einem einfachen Material auszuführen, mag aber auch auf die Entdeckung des Einfachen und Gewöhnlichen in den 80er Jahren zurückzuführen sein, die besonders das Frühwerk der Architekten prägte. Und eine subtil ironische Komponente ist dem Vorgehen auch nicht abzusprechen, besonders dort, wo alte und neue Fassade aneinanderstoßen.

Der Musiksaal ist wieder zum eigenständigen Gebäude geworden, das auch zum Barfüsserplatz hin in Erscheinung tritt. Sieben Portale öffnen sich nach außen, sodass der Platz zum erweiterten Foyer wird. Platz und Gebäude verstärken sich in ihrer Wirkung.

Bild Herzog & de Meuron, Basel; Quelle Luftbild: Planungsamt Basel

Schein und Sein

In den historischen Bereichen des Innern, also v. a. in den beiden Sälen, arbeiteten Herzog & de Meuron gemäß den denkmalpflegerischen Vorgaben ebenfalls diskret und zurückhaltend. Der dem Schuhschachtel-Prinzip folgende große Saal, der im europäischen Maßstab als akustisch herausragend gilt, wurde hinsichtlich Farbgebung und Ausstattung auf den Zustand von 1905 zurückgeführt. Die historische Bestuhlung wurde ebenso rekonstruiert wie das Fischgrätparkett, v. a. aber öffneten die Architekten die 1964 aus akustischen Gründen vermauerten Fenster und das Oberlicht, was die Atmosphäre komplett verändert. So zurückhaltend sich die Architekten in den Sälen geben, so sanft ironisch sie mit dem Bestand am Äußeren spielen, so entfesselt zeigt sich ihre Gestaltungskraft im Bereich des zweigeschossigen Foyers, das auch über die beiden seitlichen Treppenhäuser mit dem Gewölbekeller-Foyer im UG verbunden ist. Zwischen der einstigen Außenfassade des Saalbaus und seiner gespiegelten Replik entfaltet sich ein Feuerwerk an Farben und Formen, das die räumlichen Potenziale des Sehen und Gesehenwerdens lustvoll auslotet – von den neobarock geschwungenen, fast schwülstig mit rotviolettem Brokat der Manufaktur Prelle in Lyon (die schon die Wandtextilien für die ein Jahr vor dem Musiksaal eröffneten Opéra Garnier in Paris anfertigte) ausgekleideten Treppenhäusern bis hin zu vulvaförmigen kleinen Fenstern, die zum voyeuristischen Blick ins Foyer animieren. Die Seitenwände und die obere Decke der Foyers sind komplett verspiegelt, was zusammen mit dem aus dem Deckenbaldachin gleichsam heraustropfenden Doppelkronleuchter in der zentralen Öffnung ein fantastisches Lichtspiel erzeugt. Als ovale Plattform eingehängt, wird das obere Foyer selbst zur Bühne, zum Schauplatz, in deren Mitte sich mit einer Polstergruppe umzingelte Durchbruchsöffnung befindet. Die seitlichen Brüstungen bestehen aus hölzernen Geländern, die zunächst wie Drechselarbeiten wirken, in Wahrheit aber recht grob nach historischen Vorbildern mit der CNC-Fräse nachgebildet wurden. Auch hier also: das ironisch gebrochene Spiel von Schein und Sein, das Herzog & de Meuron virtuos beherrschen.


  • Standort: Stadtcasino Basel, Konzertgasse 1, CH-4051 Basel

    Bauherr: Casino-Gesellschaft Basel
    Architekten: Herzog & de Meuron, Basel
    Jacques Herzog, Pierre de Meuron, Andreas Fries (Partner in Charge)
    Projektteam: Thorsten Kemper, Michael Schmidt, Stephan Weber, Inga Federe u. v. a.
    Tragwerksplanung: A. Aegerter & Dr. O. Bosshardt AG, Basel
    Gebäudetechnik-, HLK-Planung: Waldhauser+Hermann AG, Münchenstein
    Elektroplanung: Pro Engineering AG, Basel
    Sanitärtechnikplanung: Suiselectra Ingenieurunternehmung AG, Basel
    Projektmanagement: Glator AG, Birsfelden
    Akustikplanung: Müller-BBM GmbH, Planegg
    Lichtplanung: Reflexion AG, Zürich
    Fassadenplanung: Buri Mueller Partner GmbH, Burgdorf; Pirmin Jung Ingenieure AG, Rain
    BGF: 8.488 m²
    BRI: 46.943 m³
    Baukosten: keine Angaben
    Bauzeit: September 2016 bis Juni 220
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