Bewährtes Transformationskonzept: Ähnlich wie bei ihrem Umbau der Moritzburg in Halle (Saale) haben Nieto Sobejano auch in Dresden einen kubischen Baukörper eingefügt, der im historischen Gebäude zu schweben scheint. Aus gutem Grund.
Wer von der Dresdner Altstadt über die Augustusbrücke zum Neustädter Ufer schlendert, erblickt dort als nördlichen Brückenkopf ein Barockbauwerk mit bewegter Geschichte. Das ursprünglich nur eingeschossige Wachgebäude, 1732 nach Plänen von Zacharias Longuelune errichtet, wurde bereits 1749/50 um ein Mezzaningeschoss ergänzt. 1892/93 baute man das DG des nunmehr »Blockhaus« genannten Gebäudes aus, bevor es, wie ein Großteil des Innern, bei der Bombardierung Dresdens im Februar 1945 einem Brand zum Opfer fiel. Nach der Wiedererrichtung durch das Institut für Denkmalpflege (Manfred Arlt, 1978-82) diente das Bauwerk zunächst als Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft. Ab der Wende beherbergte es zwei Akademien und eine Stiftung, ehe sein tiefgreifender Umbau zum öffentlich zugänglichen Archiv der Avantgarden beschlossen wurde. Nieto Sobejano Arquitectos hatten die Aufgabe, 1,5 Mio. Objekte unterzubringen, die der Sammler Egidio Marzona dem Freistaat Sachsen geschenkt hatte und die nun von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden hier dauerhaft eingelagert werden sollten.
Vom barocken Ursprungsbau sind nur die vier weitgehend identischen Fassaden erhalten, der Rest wurde entkernt. Die massiven alten Außenwände tragen auf den Innenseiten weißen Putz, ebenso wie das vereinfacht barockisierende, jedoch neu errichtete Walmdach. Diese Hülle hebt sich deutlich von den neuen Einbauten ab. Ähnlich wie bei ihrem Umbau der Moritzburg in Halle (Saale) haben Nieto Sobejano auch in Dresden einen geschlossenen kubischen Baukörper eingefügt, der im historischen Gebäude zu schweben scheint. Auf drei Geschossen nimmt er die Archivstücke auf und bietet ihnen mit seiner erhöhten Lage Sicherheit vor den tückischen Elbe-Hochwassern, die das Grundstück allein seit dem Jahr 2000 dreimal überflutet haben. Eine Lichtfuge trennt das neue Sichtbeton-Herzstück des Bauwerks von einer umlaufenden Empore (ebenfalls aus Beton) für Lesesaal und Quellenforschung. Erschlossen wird sie über eine skulpturale Betonwendeltreppe. Das EG blieb weitgehend frei – mit lediglich drei neuen »Fußabdrücken«: der Wendeltreppe und zwei die Empore tragenden massiven Treppenhäusern zur Erschließung der Archivgeschosse. Damit bietet die Eingangsebene die nötige Flexibilität, um sich ab dem 5. Mai 2024 für öffentliche Veranstaltungen nutzen zu lassen. Dresden hat mit dem Archiv der Avantgarden einen neuen Treffpunkt erhalten, dessen Attraktivität in der warmen Jahreszeit noch gesteigert wird: Dann können Besucher in den Garten mit spektakulärem Elbe- und Altstadtblick hinaustreten.
~Oliver G. Hamm
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