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Die Denkmalpflege steht sich selbst im Weg

db-Kommentar
Zarte Ewigkeit und muffig’ Gestern

Zarte Ewigkeit und muffig’ Gestern
Deutschland ist das Paradies der Denkmalpflege. Von der Scheune bis zum Schloss wird geschützt, was bei drei nicht auf den Bäumen ist. Theoretisch. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Da wird die Denkmalpflege schnell zur Hölle.

Schuld daran ist: die Denkmalpflege selbst. Warum? Es ist ihr nicht gelungen, ihr Image des Verhinderns und Blockierens abzulegen. Dabei ist Denkmalpflege in Deutschland weit davon entfernt, alles unter eine Käseglocke mit Veränderungssperre zu stellen. Weder will sie das noch könnte sie es. Selbst mit den grob gerechnet 5 % geschützter Bausubstanz in Deutschland hat sie mehr als genug zu tun. Es fehlt ihr an finanziellen Mitteln, an personeller Ausstattung, politischem Rückhalt und gesellschaftlicher Akzeptanz.

Dabei könnte sie viel zur nachhaltigen Entwicklung von Stadt und Haus beitragen. Während die junge Architektenschaft gerade die Wertschätzung des Bestands entdeckt, zucken altgediente Denkmalpfleger müde mit den Schultern: »Na klasse, das hättet ihr schon vor 25 Jahren bei uns lernen können.« Nur zugehört hat keiner. Stattdessen erklingt auf vielen Baustellen die gleiche alte Leier: Am Anfang wird über die denkmalpflegerischen Auflagen gestöhnt und am Ende wird gejubelt, wenn sich Alt und Neu wundersam zusammenfügen. Erst jüngst wieder am Düsseldorfer Schauspielhaus zu erleben (s. db 1-2/2019, S. 52), das Ingenhoven Architects saniert und aufgepeppt haben. Mit klarer Hand wurden der irrwitzige 70er-Jahre-Charme des Bernhard-Pfau-Baus bewahrt und zugleich Eingang und Servicebereiche aufgewertet. Dazu ein paar frische Vorhänge der niederländischen Designerin Petra Blaisse (Inside Outside). Schon hat das weite Foyer mit seiner markanten Betonstütze eine neue Note und der Schall wird besser geschluckt. Düsseldorf unterstreicht, dass behutsamer Denkmalschutz und kluge Veränderungen weder Zauberwerk noch Teufelszeug sind.

Warum aber findet man beide selten in trauter Zweisamkeit? Die Denkmalpflege bleibt ein bittersüßer Drops, bald schmeckt er nach zarter Ewigkeit, bald nach muffigem Gestern. Zwischen Bewahren von Geschichtsspuren und dem trotzigen Beharren auf Zeitschichten verläuft ein schmaler Grat. Fachlich wie kommunikativ. Schnell prallt das sprachliche »Framing« der Positionen aufeinander, wird über geschichtsvergessene Architekten und detailverbohrte Denkmalpfleger lamentiert. Dabei haben Erinnerung und Geschichte dieselbe Berechtigung wie Innovation und Veränderungen. Alles eine Frage der Abwägung. Daran sei angesichts aktueller Milliardenprojekte erinnert, wie der anstehenden Sanierung der Stuttgarter Oper oder der Entscheidung über Abriss oder Erhalt der Frankfurter Bühnen. Wenn sich überzogene Nutzeranforderungen, denkmalpflegerische Blockadehaltung und politische Hybris erst einmal gesellschaftlich verkantet haben, sind solche Konflikte nur unter Schmerzen und auf Kosten der Steuerbürger zu lösen.

Zurück bleibt eine gerupfte Denkmalpflege. Manchmal erweist sie sich auf politische Weisung hin als zahnloser Tiger, wie bei Hamburgs denkmalgeschütztem Nachkriegserbe, bei City-Hof oder Commerzbank. Manchmal zieht sie sich gleich selbst die Zähne wie in Berlin. Dort wird das von Marlene Moeschke-Poelzig entworfene Berliner Wohnhaus der Poelzigs abgerissen. Die übliche Erklärung in solchen Fällen lautet »spätere Veränderungen« am Bauwerk. Doch das Argument klingt schal. Würde man ihm stets folgen, müssten, vom Aachener Dom angefangen, etliche Bauten aus den deutschen Denkmallisten verschwinden, an denen später eifrig weitergebaut wurde. Dahinter lauert die ebenso fiese wie grundsätzliche Frage, was eigentlich aus welchem Grund geschützt wird. Schnell entpuppt sich die Sehnsucht nach dem historischen Bauwerk mit dem Fetisch »Original« als pure Spiegelfechterei, wie bei Gottfried Sempers Dresdner Gemäldegalerie Alter Meister. Nach zwei Sanierungsetappen (Sunder-Plassmann; Sichau und Walter) gerade wiedereröffnet, findet sich dort spätestens nach dem Bombardement 1945 nicht mehr allzu viel »originaler« Semper, dafür aber jede Menge Nachkriegswiederaufbau. Denkmalwert und -würdig bleibt die Galerie dennoch. Staunend verfolgen Bauherren, Nutzer und Architekten, wie sich Theorie und Praxis der Denkmalpflege immer wieder gerne über die wahre Lehre streiten.

Was tun? Anstelle von denkmaltheoretischer Esoterik bedarf es mehr baulicher Pragmatik wie beim Düsseldorfer Schauspielhaus, gepaart mit historischem Bewusstsein und architektonischer Entwurfsqualität im Bestand. Wichtig ist nicht, die Ehre der Denkmalpflege zu retten. Wichtig ist, die Denkmale gut in die Zukunft zu bringen. Erhalten, weiterbauen, umbauen, verändern, anpassen. Das war über Jahrhunderte der bauliche Regelfall. Darin hat die Denkmalpflege nicht nur gute Argumente. Sie hat v. a. einen umfangreichen Fundus an Fachwissen. Anstatt sich daher germanisch-grummelig den Kopf über die Denkmalwürdigkeit von Sanierungen aus den 80er Jahren zu zerbrechen, gilt es, angelsächsischer zu agieren: In Großbritannien hat sich die Idee eines »managing change« durchgesetzt, um denkmalpflegerische Anliegen im Rahmen von ganzheitlich gedachten städtebaulichen und architektonischen Veränderungsprozessen frühzeitig mit in die Planung einzubeziehen. Damit landet man zwar nicht gleich in der Denkmalglückseligkeit, erhält aber eine wahrnehmbare Stimme im Chor der divergierenden Interessen.

~Jürgen Tietz

Der Autor studierte Kunstgeschichte und arbeitet als Architekturkritiker und Buchautor in Berlin.

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