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Anbau, Umbau und Sanierung des Hölzel-Hauses zur künstlerischen Begegnungsstätte

Hölzel-Haus in Stuttgart
Verwandt und doch verschieden

Das frühere Wohnhaus des Malers Adolf Hölzel wurde für die Nutzung als künsterlische Begegnungsstätte erweitert. Beim Besuch vor Ort beeindruckt die Konsequenz, mit der die Architektinnen ihr Entwurfskonzept für den Anbau durchgezogen haben.

Was Adolf Hölzel wohl zum Umbau seines einstigen Wohn- und Atelierhauses sagen würde? Das 1905 errichtete Gebäude steht außerhalb des Stuttgarter Talkessels in einer Villenkolonie des Stadtteils Degerloch, der Künstler hat hier von 1919 bis zu seinem Tod 1934 gelebt. Er gilt als wichtiger Wegbereiter der modernen, abstrakten Malerei, auch wenn einige seiner Schüler wie Willi Baumeister, Johannes Itten, Emil Nolde und Oskar Schlemmer heute bekannter sind als er. Seit 2005 nutzt die Adolf Hölzel Stiftung das Gebäude, nun hat sie es mit finanzieller Unterstützung der Stadt Stuttgart umbauen lassen, um darin eine künstlerische Begegnungsstätte einzurichten: Das EG nutzt sie selbst mit Archiv- und Verwaltungsräumen, im OG ist eine Ausstellung über Hölzel zu besichtigen, im Dach gibt es eine Wohnung für Stipendiaten und im Tiefparterre mit Zugang zum Garten wurde eine Kunstschule eingerichtet, in der Kurse für Kinder und Jugendliche angeboten werden. Es galt, mehr Raum zu schaffen und die Geschosse barrierefrei zu erschließen. Da Hölzel an der Stuttgarter Kunstakademie gelehrt hatte, lobte die Stiftung einen Architekturwettbewerb unter Absolventen der Hochschule aus, bei dem sich das junge Büro »The Baukunst Dynamites« durchsetzte.

Die Gründerinnen Sarah Behrens und Ina Westheiden haben den Bestand modernisiert, einen Aufzug eingebaut und an zwei Seiten eine Erweiterung vor das Gebäude gestellt. Der Anbau reizt die baurechtlichen Möglichkeiten des Grundstücks aus und ermöglicht einen ebenerdigen Zugang zum Hölzel-Haus. Bedenkt man, dass der Künstler für seine Fortschrittlichkeit und seine Abstraktion geschätzt wird, so verblüfft die Erweiterung zunächst, da sie als 1:1-Kopie des gut 100 Jahre alten Gebäudes konzipiert ist. Die Architektinnen haben gleichsam die historische Gebäudehülle dupliziert, ein Stockwerk tiefergelegt und dann mit etwas Abstand vor den Bestand gesetzt, um eine neue Raumschicht zu schaffen. Die Kopie folgt dem Vorbild dabei bis ins Detail – einfach so, wie das Haus 2015 vorgefunden wurde. Wo der Bestand Sprossenfenster aufwies, gibt es sie auch im Nachbau, wo im Bestand im Laufe der Jahre modernere Flügel ohne Sprossen eingesetzt worden waren, finden sie sich auch im Duplikat. Nur in einem Aspekt unterscheiden sich Alt und Neu: Der Anbau zeigt sich komplett entfärbt – mit hellgrauem Putz statt gelbem, mit Regenrohren aus Zink statt aus Kupfer, mit grauen Dachziegeln statt roten. Die Biberschwänze des Duplikats hat ein Hersteller aus Österreich eigens aus Beton in vier Grautönen angefertigt, während auf dem Bestandsdach eine Mischung alter und neuer Biberschwänze in vier Rottönen liegt.

Bilder: Philip Kottlorz

In den Räumen der Kunstschule setzt sich dieser Ansatz fort, dort treffen die schwarz-weiß gesprenkelten Terrazzofliesen der Erweiterung auf beige-braun gesprenkelte Exemplare im Altbau. Auf der Innenseite der duplizierten Gebäudehülle weisen lisenenartige Vorsprünge dezent auf die Stellen hin, bei denen im Original Querwände anschließen. Die Konsequenz, mit der das Entwurfskonzept durchgezogen wurde, ist beeindruckend – auch wenn sie stellenweise zu bizarren räumlichen Konstellationen führt, etwa wenn der Blick aus einem alten Erkerzimmer durch die Fenster auf die Innenseite des neuen Daches fällt, statt Aussicht in den Garten zu bieten. Bei der Besichtigung überwiegt jedoch der Eindruck großer räumlicher Vielfalt und Komplexität, ein inspirierendes Umfeld für kreatives Arbeiten, für Vernissagen, Lesungen und Empfänge.

Von außen fügt sich der Anbau harmonisch in das alte, gewachsene Villenviertel ein und gibt mit seiner besonderen Farbigkeit doch zu verstehen, dass hier etwas Neues entstanden ist. An diesem Ort und für diese Bauaufgabe scheint das Kopieren des Bestands angemessen. Mit dieser Vorgehensweise steht das Hölzel-Haus in einer Reihe von Projekten, die Vergangenes neu interpretieren, man denke etwa das wiederaufgebaute Haus Gropius in Dessau von Bruno Fioretti Marquez oder den ergänzten Ostflügel des Berliner Naturkundemuseums von Diener und Diener (siehe unten). Mit ihrem Konzept der Entfärbung liefern The Baukunst Dynamites eine neue Spielart bei der leicht verfremdenden Nachbildung historischer Bauten.

Unabhängig von solch architektonischen Fragen ist die Programmierung des Gebäudes zu betrachten. Vielleicht kann sie als Vorbild für einen Neustart bei einem weiteren Künstlerhaus in Stuttgart dienen, der Villa von Otto Herbert Hajek. Sie steht seit Jahren leer, weil der private Eigentümer und das Denkmalamt sich heillos zerstritten haben, und bedarf dringend eines neuen, intelligenten Nutzungskonzepts, das den Bestand sichert und die Räume zumindest zeitweise für die Öffentlichkeit zugänglich macht. Die geglückte Zusammenarbeit von Stadt und Stiftung beim Hölzel-Haus führt vor, wie dies gelingen kann.

~Christian Schönwetter

Öffnungzeiten des Hölzel-Hauses



Weitere Bauten mit interpretierender Nachbildung historischer Architektur:

Meisterhaus Gropius in Dessau von Bruno Fioretti Marquez
Hotel »Fouquet’s Barrière« in Paris von Edouard Francois
Ostflügel Naturkundemuseum in Berlin von Diener & Diener

 

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