Auf den ersten Blick wirkt der graue Dickhäuter wie eine viel zu kleine, viel zu schmale DDR-Platte mit Fehlern in der Matrix. Die strenge Rasterstruktur verlangt eigentlich nach einem Fenster in jedem Segment, zeigt aber immer mal wieder nackte Betonflächen oder aus der Fassade ragende Balkonohren. Man kann gar nicht anders als das eigenartige Haus zu umrunden und mit den Händen die samtig graue Oberfläche zu streicheln.
Das Gebäudetier geht auf einen EU-weiten, zweistufigen Wettbewerb zurück, den das Büro Franz&Sue gewann. Gesucht war ein innovatives Errichtungs- und Nutzungskonzept mit Flächen für Wohnen, Büro und öffentlichen Einrichtungen, um das bislang nicht sonderlich geglückte Stadtverdichtungsgebiet Sonnwendviertel im Hinterland des neu geschaffenen Wiener Hauptbahnhofs in seiner zweiten Bauphase nicht nur funktional, sondern auch emotional zu beleben. Die Wiener Stadtplanung bezeichnet diese Gebäudetypologie als »Quartiershaus« und meint damit nichts anderes als die Wiederentdeckung und Wiederbelebung gründerzeitlicher Qualitäten.
Die beiden Architekturbüros Franz&Sue, die vor zwei Jahren beschlossen hatten, sich zu vermählen und für das auf insgesamt 50 Mitarbeiter angewachsene Team eine neue Bleibe zu suchen, reagierten auf die Aufgabe mit einem siebengeschossigen Stadthaus mit aussteifendem Erschließungskern und komplett freien, flexibel bespielbaren Grundrissen mit 3,20 m Raumhöhe. Die Fassade besteht aus zweischaligen Betonfertigteilen mit innenliegender Wärmedämmung. Die fast schon schweizerische Rigidität mit ihrer bewusst inszenierten und durchgefugten Modularität lebt nicht zuletzt von einer unverzichtbaren Portion Wien mit schelmischen Irritationen im System.
»Wir wollten endlich einmal ein Haus ohne Vollwärmeschutz bauen«, erklärt Michael Anhammer, Partner bei Franz&Sue. Aus den per Tieflader gelieferten Wandelementen wurden zunächst die Außenwände errichtet, danach erst die jeweils darunter liegenden Decken betoniert, um mittels einbetonierter Eisenanker die nötige Steifigkeit zu erlangen. Die Innenansichten der Wände wurden in den Wohnungen verspachtelt und weiß gestrichen. Die Betonoberflächen der Büros von Franz&Sue und der im EG beheimateten Architekturstiftung Österreich wurden vor Ort sandgestrahlt und haptisch aufgewertet. Die inneren Werte des Stadtelefanten sind warm und geschmeidig.
- Standort: Bloch-Bauer-Promenade 23/3, A-1100 Wien
Architekten: Franz&Sue Architekten und Generalplaner, Wien
Bauzeit: August 2017 bis Januar 2019