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Genossenschaftliches Wohnen »BON« in Bad Aibling

Schöne Aussichten
Genossenschaftliches Wohnen »BON« in Bad Aibling

Auch so geht »Einfach bauen«: Nach drei viel beachteten Forschungshäusern errichteten Florian Nagler Architekten unlängst ein Mehrfamilienhaus auf dem B&O Parkgelände im oberbayerischen Bad Aibling. Nicht zuletzt überzeugt das lange Holzhaus durch seine feingliedrige Balkonfront.

Architektur: Florian Nagler Architekten
Tragwerksplanung: merz kley partner

Kritik: Klaus Meyer
Fotos: Schels, Lanz, Pk. Odessa

Das 66 Hektar große Gelände im Nordwesten von Bad Aibling hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Einst Militärflugplatz, dann Kriegsgefangenenlager und später US-Militärstützpunkt samt Abhörstation, verfiel es nach dem Abzug der Amerikaner in einen Dornröschenschlaf. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) übernahm das Areal, doch die Entwicklung kam erst in Gang, als die Wohnungsbaugesellschaft B&O 2006 ein ökologisches Wohnquartier im Norden schuf. Im Süden entstand ein Sport- und Veranstaltungspark, im Südwesten siedelten sich Unternehmen an. Das Zentrum blieb vorerst unbebaut. Seit Jahren dient das Gelände B&O als Experimentierfeld. Schankula Architekten errichteten 2011 das höchste Holzhaus Europas. Ein Holz-Parkhaus von HK Architekten aus Vorarlberg folgte 2022. Besondere Aufmerksamkeit erhielten auch drei Forschungshäuser, entworfen von Florian Nagler, einem Münchner Architekten und Hochschullehrer.

Forschungsprojekt ‚Einfach bauen‘: Prinzipien und Umsetzung 

Die drei Wohnhäuser entstanden im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt »Einfach bauen«, das ein Team von Architekten und Ingenieuren seit 2012 an der TU München betreibt. »Ziel ist die Errichtung robuster, einfach zu nutzender Gebäude, die mit minimalem Einsatz von Haustechnik, möglichst geringer Verwendung grauer Energie und geringem Energieverbrauch dennoch wirtschaftlich gebaut werden können«, sagt der Architekt Tilmann Jarmer vom Forschungsteam. Die Mittel zur Umsetzung des Ziels sind vielfältig: »Einfach bauen« setzt auf einschichtige Wand- und Deckenkonstruktionen, verzichtet weitgehend auf Sonderbauteile und Hilfsstoffe, trennt konsequent Gebäude und Haustechnik, nutzt die thermische Trägheit großer Speichermassen und legt Wert auf angemessene Fensterflächen, um einen zusätzlichen Sonnenschutz zu vermeiden. Nach diesen Prinzipien entwarfen Florian Nagler Architekten auch das unweit der drei Forschungshäuser platzierte Gebäude, um das es hier gehen soll.

Das dreigeschossige Holzhaus, errichtet im Auftrag der Wohngenossenschaft Wogeno München eG, wurde 2022 fertiggestellt und beherbergt 23 Wohnungen unterschiedlichen Zuschnitts und einen Gemeinschaftsraum. Das Gebäude erstreckt sich auf einer baumbestandenen Grünfläche von Nordwest nach Südost. Die Eingangsfront mit den vorgelagerten Balkonen blickt nach Südwesten auf einen Kindergarten; an die Rückseite schließen sich Privatgärten an, hinter denen sich das oben erwähnte Parkhaus erhebt. Eine gepflasterte Quartierstraße führt schräg auf den mittig platzierten Haupteingang zu.

Außen luftig, innen massiv

Wer sich dem Haus von dort nähert, sieht sich getäuscht, sofern er oder sie »Einfach bauen« mit anspruchsloser Ästhetik gleichgesetzt hatte. Das Fassadenbild, das sich aus horizontalen Balken und vertikalen Latten, aus vorspringenden Balkonen und hintergründigen Wandflächen, aus verschleierten und einsehbaren Freiräumen zusammensetzt, wirkt kein bisschen fad, sondern, im Gegenteil, heiter, lebendig, abwechslungsreich. Nicht zuletzt überzeugt die komplexe Fassade durch die Ablesbarkeit architektonischer Strukturen. Gleich auf den ersten Blick erschließt sich die Geschossgliederung, bei näherem Hinsehen entdeckt man die symmetrische Verteilung der Wohneinheiten, und schließlich verweist die Abfolge der Balkonstützen auf das Raster von 3,10 m, das dem Entwurf zugrunde liegt. Innerhalb des von regelhaften Verhältnissen bestimmten Bildes fällt auch der Hauseingang nur geringfügig aus der Reihe: Als Markierung des Portals dient lediglich ein Querbalken, auf dem die mittlere der insgesamt 17 Balkonstützen ruht.

Hinter der doppelflügeligen Haustür befindet sich ein kurzer Eingangsflur, der auf einen quer liegenden Gang mit je einem Treppenhaus am Ende stößt. Der Erschließungskern ist aus Stahlbeton und bildet, zusammen mit den Außenwänden aus massiven, kreuzverleimten Holztafeln, die Tragstruktur des Gebäudes. Im Vergleich zum Holz-Forschungshaus mit seinen 39 cm dicken Außenwänden wurde die Wandstärke beim Wogeno-Gebäude auf 26 cm reduziert, wodurch rund 55 m² zusätzliche Wohnfläche gewonnen werden konnten. Die geringere Speichermasse der Gebäudehülle wird teilweise kompensiert durch den massiven Betonkern, dessen thermische Trägheit sich ausgleichend auf das Raumklima im Haus auswirkt.

Herausforderungen im ‚Einfach bauen‘ Konzept 

Aufenhaltsqualität im Gang und auf den Treppen lässt indes zu wünschen übrig, was jedoch weniger an den schmalen Räumlichkeiten und nackten Sichtbetonwänden als vielmehr an der schummrigen Beleuchtung liegt. Tageslicht von oben wäre die Lösung, aber im Rahmen des »Einfach bauen«-Konzepts wohl zu kostspielig. Die Helligkeit und Großzügigkeit, die den Verkehrsräumen abgehen – wird man sie hinter den eichenen Wohnungstüren finden?

Zunächst führt uns der Weg ins DG, wo außer Abstellräumen für die Hausgenoss:innen auch die Gebäudetechnik untergebracht ist. Ein Jahr nach dem Einzug der ersten Bewohner:innen hat man sich dazu entschlossen, die Schallisolierung der Technikräume zu optimieren, weil der Betriebslärm der Geräte, Rohre und Leitungen sich in den Wohnungen des OGs zu stark bemerkbar gemacht hatte. Wie man an dieser »Baustelle« erkennen kann, ist »Einfach bauen« auch ein Lernprozess. Auf einen anders gearteten Prozess deutet der Zustand des im EG gegenüber dem Eingang gelegenen Gemeinschaftsraums hin. Der Raum steht leer und macht einen etwas verwahrlosten Eindruck, was freilich nicht auf technische oder gestalterische Mängel zurückzuführen ist, sondern soziale Gründe hat: Inzwischen sind zwar alle Wohnungen vergeben, doch eine echte Hausgemeinschaft muss sich wohl erst noch entwickeln.

Highlights im Freien

Im EG gibt es neben dem Gemeinschaftsraum, einem Funktionsraum und einem Gästeapartment sechs Wohneinheiten. Auf den OGs befinden sich je acht Einheiten. Egal ob Familienwohnung mit 120 m² und vier Zimmern oder 54 m² großes Single-Apartment, jede Wohnung hat einen Sonnenbalkon mit großer Glastür für eine helle Atmosphäre. Die hochwertige Ausstattung mit Eichendielen, Holzfenstern und weiß verputzten Innenwänden trägt zur modernen Atmosphäre bei. Doch das Highlight ist der luftige Freisitz – großzügig bemessen für vielseitige Nutzung als Essplatz, Aussichtsplattform und Wohnzimmer im Freien. Die vorgesetzte Balkonkonstruktion schützt vor direkter Sonneneinstrahlung und eliminiert zusätzliche Verschattungselemente.

»Heute hätten wir die Balkonfront etwas aufwendiger konstruieren müssen«, sagt Projektleiter Tilmann Jarmer und deutet auf ein kaum sichtbares Detail der im Wesentlichen von exponierten Balken und Stützen getragenen Konstruktion hin. Dass die Balkonplattformen hausseitig auf vorkragenden Auflagern ruhen, verstößt gegen eine inzwischen verschärfte Schallschutznorm. Doch eine stärkere Trennung von Hausvolumen und Vorbau hätte das feingliedrige Erscheinungsbild der Fassade sicherlich beeinträchtigt. Und das wäre schade. Schließlich ist das neue Holzhaus auf dem B&O Parkgelände ein Vorzeigemodell – gerade wegen seiner Eingangsfront mit den sonnigen Südwestbalkonen.


»Zum Glück hat mir Herr S. seine Wohnung gezeigt«, sagt unser Kritiker Klaus Meyer. »Denn das Tolle an diesem Haus sind wirklich die hellen Wohnräume mit den großen Balkonen.«


  • Standort: Dietrich-Bonhoeffer-Straße, 83043 Bad Aibling

    Bauherr: Wohngenossenschaft Wogeno München eG
    Architektur: Florian Nagler Architekten, München
    Projektleitung: Tilmann Jarmer
    Tragwerksplanung: merz kley partner, Dornbirn
    Brandschutzplanung: esg Ingenieure, Traunreut
    Bauphysik: ig-bauphysik, Hohenbrunn
    HLS-Planung: Duschl Ingenieure, Rosenheim
    Landschaftsarchitektur: Umwelt und Planung, Rosenheim
    BGF: 2 364 m²
    BRI: 8 944 m³
    Baukosten: 3,84 Mio. Euro (KG 300 und KG 400, ohne MwSt.)
    Bauzeit: November 2021 bis Juli 2022

Florian Nagler Architekten


 

Florian Nagler

1987 Studium der Kunstgeschichte und Bayerischen Geschichte in München. 1987-89 Zimmermannslehre. 1989-94 Architekturstudium und Wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität Kaiserslautern, Diplom. 1994-97 Mitarbeit bei Mahler, Gumpp, Schuster, Stuttgart. 1996 eigenes Büro. 2000-01 Gastprofessur an der Bergischen Universität Wuppertal. Seit 2001 Büro mit Barbara Nagler. 2002-03 Gastprofessur an der Royal Danish Academy, Kopenhagen. 2005-06 Gastprofessur an der HfT Stuttgart. 2010 Gastprofessur an der TU München.


Klaus Meyer

Studium der Germanistik und Geschichte. Langjährige Tätigkeit als Werbetexter in Hamburg. Mitarbeit als Redakteur bei Architectural Digest in München.
Seit 1999 Tätigkeit als freier Journalist.

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