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Umbau einer Scheune in Kandern-Sitzenkirch

Wertgeschätzt
Umbau einer 70er-Jahre-Scheune in Kandern-Sitzenkirch

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Die Qualitäten eines vermeintlich banalen Gebäudes zu erkennen und auch zu erhalten, ist leider nicht die Regel. Umso erfreulicher ist die gelungene Umnutzung der erst knapp 50 Jahre alten Scheune im Südwesten des Schwarzwalds, bei der sich Architekt und Bauherrschaft offensichtlich gesucht und gefunden haben.

Architektur: Ralf Brandhofer

Kritik: Martin Höchst
Fotos: Jessica Siegel

Dass in einem ungenutzten landwirtschaftlichen Zweckbau Potenzial für neuen Wohnraum schlummert, ist mittlerweile im Bewusstsein der meisten angekommen: Unzählige Scheunenumbauten, die sich mehr oder weniger rustikal den unvergleichlichen Charakter jahrhundertealten Gemäuers zunutze machen, zeugen von dieser zukunftsträchtigen Entwicklung. Fehlen jedoch Denkmalschutz und dicke Eichenbalken, weicht solch ein vermeintlich banaler Zweckbau häufig einem vermeintlich zeitgemäßen Wohngebäude oder gar Autostellplätzen. In überschaubarem dörflichem Kontext hat dies mitunter fatale Folgen für das gesamte Ortsbild.

Einer Scheune aus den 70er Jahren im idyllischen Sitzenkirch, einem kaum 300 Einwohner zählenden Ortsteil von Kandern im äußersten Südwesten des Schwarzwalds, wäre es wohl auch so ergangen, hätten Martin Keller, der vor Ort ein kleines Bauunternehmen betreibt, und Christel Ruser sie nicht für sich und ihre Vorstellung vom Wohnen jenseits der zweiten Lebenshälfte entdeckt. Im Architekten Ralf Brandhofer, der selbst aus dem Nordschwarzwald stammt, aber schon einige Jahre in Berlin lebt und arbeitet, fanden sie für ihr Vorhaben eines Umbaus mit viel Eigenleistung einen Verbündeten. Man kannte sich von einer vorangegangenen Umnutzung einer Scheune im Weiler Gupf, der ebenfalls im Stadtgebiet Kanderns liegt. Dort wiederum führte Martin Keller die Betonarbeiten für die im positiven Sinne eher beiläufig wirkende Gestaltung Ralf Brandhofers aus, die bei der gestaltungsaffinen Bauherrschaft auf fruchtbaren Boden fiel.

Erst vor ca. 50 Jahren nahm die Scheune in Sitzenkirch den Platz eines baufällig gewordenen Bauernhauses ein und leitet seither mit ihrem relativ flach geneigten Satteldach sanft zu einer dahinter steil ansteigenden Wiese über. Im Südosten wird das Gebäude von einem Bach und einer parallel dazu verlaufenden Straße flankiert. An der Straße gegenüber wiederum thront etwas erhöht eine kleine ehemalige Klosterkirche aus dem 13. Jahrhundert.

Zwei Bauernhäuser umstehen im Südwesten zusammen mit der umgenutzten Scheune eine Art kleinen nachbarschaftlichen Platz, der von einer großen Kastanie beschattet ist. Seiner Fitness wegen und zur großen Freude aller Kinder aus der Nachbarschaft baute Martin Keller die ehemalige Jauchegrube der Scheune zu einem Schwimmbecken mit Gegenstromanlage um.

Filigrane Hülle mit massivem Innenleben

An ihrer zweckmäßigen und zugleich eleganten äußeren Erscheinung ohne jegliche rein dekorative Elemente hat sich auch durch die Umnutzung der Scheune nichts geändert: Oberhalb des massiven, verputzten Sockelgeschosses zeigt sich die gestoßene Bretterfassade des dahinterliegenden Holztragwerks, die sich größtenteils erhalten hat. Sie wird vom dünnen Rand des mit grauen Faserzement-Wellplatten gedeckten Dachs (asbestfrei, da vor 20 Jahren aufgrund eines Hagelschadens komplett ausgetauscht) nach oben hin abgeschlossen. Die in die Holzfassade eingeschnittenen, teils beeindruckend großen Fensteröffnungen und der auskragende Sichtbetonbalkon zeugen zwar von der neuen Nutzung, sind aber so souverän platziert und proportioniert, dass sie nicht wie ergänzte Bauteile, sondern vielmehr wie eine selbstverständliche Weiterentwicklung des Vorgefundenen wirken.

Insgesamt vier Türen und Tore gewähren im EG an der Südwestfassade Zugang zum Gebäude: Während rechts und links außen je eine neue verglaste Holztür einerseits ins Büro des Bauunternehmens im ehemaligen Kuhstall und andererseits in eine zweigeschossige Einliegerwohnung führen, öffnet sich das kleinere der beiden erhaltenen doppelflügeligen Holztore zum ehemaligen Futtergang des Kuhstalls, der nun Platz für zwei Autos bietet. Das große Scheunentor schließlich bietet den Zugang zur unbeheizten Eingangshalle der Hauptwohnung, die Blicke bis unters Dach freigibt und auf das erhaltene offen liegende filigrane Holztragwerk mit seinen teilweise geschosshohen Streben. In diesem großzügigen Raum, den gegenüber an der Nordostfassade ebenfalls ein großes Scheunentor abschließt, wird auch das Konzept des Umbaus deutlich: Die beiden vorgefundenen, auch nach außen hin sichtbaren, massiven Sockel, in denen zuvor Kuhstall und Geräte ihren Platz hatten, wurden innerhalb der vorhandenen Gebäudehülle jeweils um ein Geschoss aufgestockt. Die beiden so neu entstandenen massiven verputzten zweigeschossigen Einbauten weisen jeweils in ihrer Mitte einen erhöhten Bereich aus, der aber knapp unterhalb des Dachtragwerks bleibt. Die thermisch und statisch wirksame Hülle der beiden Einbauten besteht dabei aus Dämmziegelwänden, die sich auch an der Innenseite der massiven Abschnitte der EG-Außenwände entlangziehen – ohne Dämmschicht, mit minimalem Spalt zur Bestandswand, der mit Mörtel hinterfüllt wurde. Um auch im ehemaligen Kuhstall und den anderen eingeschossigen Bereichen des EGs eine adäquate Raumhöhe zu erhalten, wurden anstelle der ursprünglichen Holzbalkendecken neue Stahlbetondecken um eine Deckendicke erhöht eingezogen. Dadurch ließ sich oberhalb des heutigen Büros die alte Bodenbeplankung als Schalung verwenden. Auch die Decke über den neuen Räumen im OG bestehen aus Stahlbeton und wurden mit einer Dämmung versehen, die wiederum dank einer Estrichschicht begehbar ist.

Über eine zweiläufige Treppe gelangt man auf eine brückenartig zwischen den Einbauten gespannte Plattform, beides wiederum umgesetzt in Sichtbeton und absturzgesichert durch ein filigranes Geländer aus massiven Stahlstäben. Von hier geht es auf der einen Seite in ein großzügiges Gästezimmer mit eigenem Bad, das sich bei Bedarf recht einfach der Einliegerwohnung, die über eine interne Treppe zu ihrem Zimmer im OG verfügt, zuschlagen ließe. Gegenüber betritt man die Hauptwohnung der Bauherrschaft über eine schlichte Wohnungstür aus Weißtanne, der regional gebräuchlichen Holzart, aus der auch alle anderen neuen Holzbauteile des Projekts gefertigt wurden.

In Anbetracht des eher bescheidenen Raumprogramms – offener Wohn-Koch-Essbereich, Schlafzimmer mit angegliedertem Duschbad und Ankleide sowie Gäste-WC – überrascht die Hauptwohnung im 1. OG mit ihrer großzügigen Atmosphäre: Die nur wenigen ausgewählten oder wie die für die Küche individuell angefertigten Möbel treten zusammen mit dem Sichtbeton der Decken, dem geschliffenen Zementestrich der Böden und den fein kalkverputzten Wänden gegenüber den großzügigen Blickbezügen nach draußen gelassen in den Hintergrund. Insbesondere die beeindruckend große holzgefasste Festverglasung im überhohen Wohnbereich lässt die Ansichten von Kirche und Landschaft zu Hauptakteuren des Innenraums werden.

Energetisch gesehen hielt man sich an die vorgeschriebenen Mindeststandards: Von einem Scheitholzkessel versorgt, wird eine Fußbodenheizung genutzt, mittlerweile ergänzt durch einen schlichten Paravent aus Solarmodulen am Vorplatz. Angesprochen auf die Möglichkeit einer Platzierung von PV-Modulen auf dem Dach entgegnet Christel Ruser: »Da kommt nichts drauf.«. Und recht hat sie, denn das in seiner ebenso einfachen wie eleganten Ausführung erhaltene Dach trägt mit dazu bei, dass der mit der Lebensweise des Orts verbundene Zweckbau seine beiläufige Souveränität trotz seiner Umnutzung nicht einbüßen musste. Dies entspricht nicht nur dem Anspruch von Bauherrschaft und Architekten, sondern leistet darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zum Fortbestand des bislang noch weitgehend intakten Dorfcharakters von Sitzenkirch.


Architekt Ralf Brandhofer, Redakteur Martin Höchst und Bauherr Martin Keller (von links) wechselten auf den benachbarten Friedhof, um beim Ortstermin im idyllischen Sitzenkirch nicht nur sich selbst, sondern auch die umgenutzte Scheune gut ins Bild zu setzen.


  • Standort: Mühlenstraße 9, 79400 Kandern-Sitzenkirch

    Bauherrschaft: Christel Ruser und Martin Keller
    Architektur: Ralf Brandhofer, Berlin
    Mitarbeit: Franziskus Rau
    Tragwerksplanung: Ing.-Büro f. Bauwesen Dieter Fabig, Kandern-Riedlingen
    Nutzfläche NF: 300 m²
    BRI: 2 000 m³ Scheune gesamt, davon 900 m³ Einbauten
    Baukosten: keine Angaben
    Förderung: Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum Baden-Württemberg
    Bauzeit: März 2018 bis März 2022

Ralf Brandhofer Architekt


Ralf Brandhofer

Architekturstudium an der Universität Karlsruhe, 2003 Diplom. Mitarbeit im Büro Marcus Rommel, Stuttgart. Seit 2007 eigenes Büro in Freiburg, seit 2016 in Berlin. 2008-14 Wissenschaftliche Mitarbeit am KIT.


Martin Höchst (~mh)

Architekturstudium an der Universität Stuttgart, 2001 Diplom. Mitarbeit in mehreren Architekturbüros.
Volontariat bei der db deutsche bauzeitung, seit Juli 2012 Redakteur.

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