Norwegen will bis 2030 die Hälfte seiner CO2-Emissionen einsparen, Oslo zur grünen Hauptstadt Europas werden. Doch sein ÖPNV-Netz ist noch derart locker gewoben, dass es einen Berliner, New Yorker oder sogar Hamburger nur dauern kann. Andererseits entstehen stetig Neubauten, ganze Stadtviertel sogar, v. a. in den einstigen Hafengebieten, die zeigen: Diese Stadt will mitspielen im Konzert wenigstens der europäischen Großstädte. Also wird mit Vorfreude zum neuesten Architekturführer von Oslo gegriffen, erschienen bei DOM publishers, recherchiert und geschrieben von Henning Nielsen und Ulf Meyer. Falk Jaeger hat eine Einleitung beigetragen. In angemessener Dichte sind die wichtigsten Projekte des um 1990 begonnenen (neoliberalen) Stadtumbaus verzeichnet, auch einige Ikonen der Klassischen Moderne. Aber sonst fehlt gerade das, was Oslo so sympathisch macht, der modernistische »Funki«-Stil der 20er-50er, die vielen vorzüglichen, meist stilistisch der Nationalromantik und dem nüchternen skandinavischen Neuklassizismus zuzurechnenden Banken und Versicherungen der Zwischenkriegszeit in der Innenstadt; die hervorragenden Siedlungsbauten dieser Jahre, selbst die exquisite Deichman-Bibliothek von 1933, schon gar die alte, in einer kühlen Neurenaissance gehaltene Nationalgalerie; die von Schinkel mit entworfene Universität, das Königliche Schloss und die Domkirche, obwohl wenigstens deren moderne Ausstattung die Aufnahme in den Führer gerechtfertigt hätte. Dabei wäre ein umfassender Führer, wie ihn der gleiche Verlag etwa kürzlich für Riga (Jānis Krastiņš) oder Schanghai (Eva Schweitzer, Christian Dubrau, beide vorzüglich!) vorgelegt hat, bei Einsparung einiger der überflüssigen Riesenfotos ohne Weiteres möglich gewesen. Auch Grundrisse und Schnitte fehlen leider. Eine vergebene Gelegenheit, diese architektonisch spannende Stadt nicht nur mit ihrer aktuell werbenden Oberfläche, sondern auch in der historischen Tiefe vorzustellen.
~Nikolaus Bernau
Architekturführer Oslo,
Henning Nielsen, Ulf Meyer
Softcover, 216 S., 280 Abbildungen
DOM publishers, Berlin 2018