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Müssen Scholz und Geywitz zurücktreten?

Müssen Scholz und Geywitz zurücktreten?
Müssen Scholz und Geywitz zurücktreten?

Müssen Scholz und Geywitz zurücktreten?
Foto: Di on Unsplash
Bundesbauministerin Klara Geywitz ist nicht zu beneiden. Viele Themen hat sie zu beackern, vom Wohngeld bis zum seriellen Bauen, aber gefragt wird sie immer nur nach einer Zahl: 400  000. Wie sie diese Anzahl an

~Falk Jaeger

Neubauwohnungen pro Jahr schaffen will. Auf die sich die Bundesregierung nun einmal festgelegt hat, warum auch immer. Und deren Erreichen ein Ding der Unmöglichkeit zu sein scheint. Immerhin stärkt ihr der Bundeskanzler den Rücken, nennt dieselbe Zahl. Aber warum?

Natürlich wird man sich Ende des Jahres (und wohl auch Ende nächsten Jahres) mit Corona und den unerwarteten Folgen des Ukraine-Kriegs herausreden, mit den dadurch verursachten Energiepreissteigerungen und den Lieferschwierigkeiten.

Die gravierenderen Ursachen waren jedoch bereits früher wirksam und kalkulierbar. Die Bauzinsen hatten sich bereits verdoppelt, als der Krieg begann. Die Kurve der Baulandpreise war schon lange kontinuierlich gestiegen und zeigte bereits ab 2017 steil nach oben, ohne Aussicht auf eine Abflachung. Der Fachkräftemangel im Baugewerbe ist ebenfalls seit Jahren evident. Wie kann man angesichts dieser kaum beeinflussbaren Parameter auf die Idee kommen, eine derartige Steigerung der Produktion von Neubauwohnungen zu versprechen?

Der Bundeskanzler tut sich leicht damit. Er ist es gewohnt, dass man ihm ständig Ziele und Prognosen abfragt. Die werden immer unter dem Vorbehalt sich ändernder Umstände geäußert und meist auch als Absichtserklärungen und Wunschvorstellungen verstanden. Und wenn es ernst wird, wälzt der Kanzler die Verantwortlichkeit allemal auf die Fachminister ab.

»Wir halten an dem Ziel fest; das muss ausdrücklich gesagt werden. Wir wollen diese Zielsetzung verfolgen und die Wohnungsbauzahlen auf diese Größenordnung steigern«, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am 12. Oktober, als das erste Ergebnis des »Bündnisses bezahlbarer Wohnraum« vorgestellt wurde. Doch alle Anzeichen sprechen dafür, dass es in diesem Jahr kaum 200 000 sein werden. Was, wenn man ihn beim Wort nähme? Müsste er für diese dreiste, aller Realität Hohn sprechende Gesundbeterei nicht seinen Hut nehmen? Oder wenigstens den seiner Bauministerin? Denn eine Bundesbauministerin, die an den Wohnungsbauzahlen konkret zu arbeiten hat, wird viel unmittelbarer am zählbaren Erfolg gemessen. Sie müsste doch …

Klara Geywitz freilich lässt es an Aktivitäten nicht mangeln. Eine ihrer stärksten Waffen ist das »Bündnis bezahlbarer Wohnraum«, in dem im Frühjahr 35 am Bauwesen beteiligte Akteure zusammengezogen wurden und in erfreulich kurzer Zeit einen Katalog von 187 konkreten »und mit Datum versehenen« Maßnahmen vorstellten. Die Liste ist beeindruckend und man ist geneigt anzunehmen, dass sie, wenn umgesetzt, kraftvoll Wirkung zeigen wird. Zwischen den Zeilen ist jedoch der eine oder andere Pferdefuß versteckt, zumeist dort, wo unter »Umsetzen« steht: Bund/Länder.

Man hat ja in den vergangenen Jahrzehnten nicht erlebt, dass die Länder bereit gewesen wären, die Landesbauordnungen anzugleichen. Jede/r Bundesbauminister/in hatte sich vorgenommen, auf diesem Weg voranzukommen, und ist an kleinstaaterischen Eifersüchteleien gescheitert. Und musste lernen, dass in Bayern ein Schadensfeuer anders brennt als in MeckPomm, zwei Menschen im Westen eine breitere Fluchttreppe als im Osten benötigen usw. Die Maßnahme 2.9 aus dem Katalog lautet denn auch verblüffend realistisch und ehrlich: »Weiterentwicklung der Musterbauordnung und weitere Harmonisierung der Landesbauordnungen«; umzusetzen bis: »Daueraufgabe«.

Was die Bauindustrie seit Langem fordert, will man noch in dieser Legislaturperiode erreichen, nämlich dass erteilte Typengenehmigungen bundesweit gelten, um das serielle Bauen zu erleichtern.

Der Maßnahmenkatalog geht durchaus den Zeit- und Kostentreibern an die Wurzel. Ein Punkt herausgezogen: »Bund und Länder arbeiten gemeinsam daran, die Folgekostenabschätzung in Normungsprozessen für die Praxis handhabbar zu gestalten.« Will heißen: Bislang sind der Bauwirtschaft permanent Normen aufs Auge gedrückt worden, Sicherheits- und Brandschutzauflagen vornehmlich, ohne die Folgekosten zu bedenken. Freihändig, nach Gutdünken der Normengeber. Denn »Sicherheit geht vor«, ohne Rücksicht auf den Aufwand. Jeder Architekt kann aus seiner Praxis reichlich skurrile Episoden erzählen. Damit soll wohl Schluss sein. Ein Korrektiv ist überfällig.

Baukostensenkung und Ausmisten der Vorschriften, Rohstoffsicherungsstrategie und Recyclingquoten, Bodenpolitik und Baulandmobilisierung, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, neue Grundrisslösungen und neue Wohnformen, Gebäudeförderung und Sozialwohnungsbau, Digitalisierung des Bauwesens, Verbesserungen im Vergaberecht – die Maßnahmen umfassen die gesamte Bandbreite der Wohnungsbauproblematik. Klara Geywitz hat sich sehr viel vorgenommen und stößt damit allenthalben auf Wohlwollen. Selten war man auf die Bilanz einer Legislaturperiode so gespannt. Zur Halbzeit wissen wir wohl schon mehr.

Der Autor lebt und arbeitet als freier Architekturkritiker in Berlin.

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