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Ist Klimaschutz wichtiger als Denkmaschutz?

Klima ist wichtiger als Denkmalschutz
Klima ist wichtiger als Denkmal

Klima ist wichtiger als Denkmal
Foto: Jadon Kelly auf Unsplash
Dass es Menschen gibt, die Denkmalschutz als essenziell für die Bewahrung ihrer kulturellen Identität ansehen, kann man nachvollziehen.

~Falk Jaeger

Dass es Menschen gibt, für die der Klimaschutz oberste Priorität genießt, weil sie berechtigte Sorge für die Zukunft des menschlichen Lebensraums tragen, und dies der Gesellschaft unmissverständlich mitteilen, haben wir in jüngster Zeit erlebt. Und es gibt durchaus eine Schnittmenge beider Bevölkerungsgruppen – der Autor sieht sich selbst darin. Jüngst hat sich allerdings ein Konfliktfeld aufgetan, auf dem sich Klimaschutz und Denkmalschutz (die beide verfassungsrechtlich etabliert sind) scheinbar unversöhnlich gegenüberstehen. Fotovoltaik auf den Dächern denkmalgeschützter Gebäude muss gehen, Klima ist wichtiger als Denkmal, sagen die einen. Geht gar nicht, sagen die anderen. Für sie sind bläulich glänzende Solarmodule auf von den Zeitläuften patinierten Ziegeldächern der Horror.

Hausbesitzer, die sich im Licht der allgemeinen politischen Klimadiskussion moralisch im Recht sehen, wettern gegen amtliche Denkmalschützer, die ihrer angeblichen Lieblingsbeschäftigung nachgehen, nämlich Denkmalbesitzer zu kujonieren. Natürlich eignen sich die Konflikte mit ordentlich Empörungspotenzial ausgesprochen gut zur Berichterstattung in der Lokalpresse, die meist hinter den Hausbesitzern steht. Denkmalpfleger der Unteren Denkmalschutzbehörden wiederum fühlen sich mit dem Problem allein gelassen. Sie sehen sich im denkmalschutzrechtlichen Ablehnungsfall von Bauanträgen mit einem hohen Rechtfertigungsdruck konfrontiert und fordern deshalb klare gesetzliche Regelungen der relativ neuen Sachlage.

Bei nüchterner Betrachtung der Problematik sind die aufgeregten Bürgerversammlungen und politischen Dispute unverständlich. Klimatechnisch fallen Baudenkmale nicht ins Gewicht, denn nur 2,9 % der Gebäude stehen unter Denkmalschutz. Es ist nicht einzusehen, dass Fotovoltaik in diesem marginalen, aber gestalterisch und kulturell heiklen Sektor kompromisslos durchgesetzt werden soll, zumal das Potenzial der solartechnischen Ertüchtigung der restlichen 97,1 % noch nicht annähernd ausgeschöpft ist. Es empfiehlt sich vielmehr das bewährte Modell, dass Denkmalbesitzer, statt Solaranlagen auf dem eigenen Haus zu installieren, diese als Ersatzmaßnahme an anderen, geeigneteren Standorten finanzieren, pachten oder Beteiligungen erwerben. Das würde auch das Denkmal schonen, denn der Umbau greift naturgemäß mehr oder weniger rigoros in die Denkmalsubstanz ein. Hinzu kommt, dass viele historische Dachtragwerke mit der zusätzlichen Trag- und Windlast überfordert wären.

»Erste Bundesländer lockern Denkmalschutz bei PV-Anlagen«: Die Schlagzeile weist den falschen Weg. Man kann nur raten, den Denkmalschützern den Rücken zu stärken – und sich gleichzeitig etwas in Geduld zu üben. Die Bauindustrie ist offenbar auf dem Weg, das Problem zu lösen, indem sie mit Solarzellen bestückte Dachpfannen anbietet, die wie Terrakottaziegel oder wie Schieferplatten aussehen und sich darum für die Neudeckung historischer Gebäude eignen. Dazu ist keine sekundäre Tragstruktur notwendig.

Natürlich gibt es einen erhöhten Installationsaufwand, weil jede einzelne Pfanne verkabelt werden muss. Sicher kann der Wirkungsgrad noch nicht mit den Solarpanels mithalten. Aber das wird möglicherweise dadurch ausgeglichen, dass nicht nur die von Normtafeln eingenommene, sondern die gesamte Dachfläche nutzbar wird. Die denkmalbedingten Mehrkosten wird man dann wohl durch Zuwendungen abfedern müssen. Aus Marburg wird ein derartiges Angebot gemeldet, von kommunalen Zuschüssen von bis zu 4 500 Euro ist die Rede.

Die Entwicklung ist angestoßen. Die Verschandelung historischer Stadtansichten in Kauf zu nehmen ist nicht notwendig. Bautechnische Eingriffe in Denkmalsubstanz können vermieden werden, denn die Markteinführung denkmalgerechter Lösungen ist in Sicht. Zudem kann man davon ausgehen, dass die Baudenkmale länger existieren werden als die PV-Anlagen.

Und vielleicht profitieren von den ziegelgleichen PV-Dächern zukünftig nicht nur Altstädte, Burgen und Klöster, sondern zahlreiche Orte landauf, landab, in deren charakteristischen Ortsbildern die blauen Solarpanels das Auge beleidigen. Das wäre ein noch größerer Gewinn der neuen Solarziegeltechnik.

Der Autor lebt und arbeitet als freier Architekturkritiker in Berlin.

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