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Baukultur vom Zauberberg: Mit der Davos Declaration bekennt sich Europa zur Baukultur

Mit der Davos Declaration bekennt sich Europa zur Baukultur
Baukultur vom Zauberberg

Baukultur vom Zauberberg
europäische Kulturministerkonferenz – Davos Declaration »Towards a high-quality Baukultur for Europe«

Wer hat’s erfunden? Natürlich mal wieder die Schweizer! Mit der »Davos Declaration« (21./22. Januar) haben sie die Baukultur am
Vorabend des alljährlichen Weltwirtschaftsforums in Davos aus der Esoterik des Zauberbergs hinabgeführt und kurzerhand zum Fundament für die künftige bauliche Entwicklung Europas gemacht. Unter dem Titel »Towards a high-quality Baukultur for Europe« wird Baukultur so zum allerersten Mal auf Ebene der europäischen Kultusminister verankert, die das Papier zum Auftakt des »Europäischen Jahres des kulturellen Erbes 2018« (sharingheritage.de ») verabschiedet haben. Was für ein grandioser Erfolg!

~Jürgen Tietz
Wegweisend ist die Davos Declaration (davosdeclaration2018.ch ») nämlich nicht allein wegen ihres Engagements für Baukultur, sondern aufgrund des ganzheitlichen Ansatzes, den sie dabei verfolgt. So werden kulturelles Erbe und Neubauten, die Gestaltung von Kulturlandschaften und die Stadtentwicklung, der Umgang mit der Umwelt und die Vermittlung der baukulturellen Anliegen in der Bildungsarbeit nicht länger in fein säuberlich voneinander getrennten Sparten gedacht, sondern in einem unauflösbaren Beziehungsgeflecht zueinander. Das führt zu Formulierungen, die einem trotz eingebauter Nebensatzverknotungen inhaltlich wie Schweizer Schokolade auf der Zunge schmelzen: »Everyone, irrespective of background, has the right to experience, share and belong to the cultural environment, that the ways in which we live together and evolve as societies are fundamentally cultural, and that shaping our living environment is therefore, above all, a cultural act.« In sämtlichen Facetten wird das Bauen in der Davos Declaration also als kultureller Akt begriffen, vom Planungsprozess bis hin zu seiner materiellen Umsetzung, vom kleinen bis in den großen Maßstab. Dabei gilt mit Blick auf Bau-, Garten- und Bodendenkmal, dass »cultural heritage is a crucial component of high-quality Baukultur«. Wow!

Nun sind derartige politische Beschlüsse das eine, so nobel, so vorbildlich sie auch klingen mögen. Sie in den Niederungen der gestalteten Umwelt mit Leben zu erfüllen, das andere. Die Deklaration umzusetzen wird also eine Kärrnerarbeit werden, zumal in Deutschland. Von den beiden, zu der Zeit mit Baukultur befassten deutschen Ministerinnen für Kultur (Monika Grütters) und Bau (Barbara Hendricks) war jedenfalls keine nach Davos gereist. Grokobilden ging vor Baukultur schaffen. Welche untergeordnete Rolle der Baukultur trotz der verdienstvollen Bemühungen der Stiftung Baukultur hierzulande politisch immer noch beigemessen wird, lässt sich daran ablesen, dass sich das Bauresort in den letzten Jahren zum Wanderpokal zwischen den Ministerien entwickelt hat. Jetzt also ist es bei Horst Seehofers Innen- und Heimatministerium gelandet. Das hat medial bereits für manch schenkelklopfende Häme gesorgt. Es böte aber auch eine Chance. Wenn nämlich Heimat nicht (ausschließlich) als ein rückwärtsgewandtes Konzept des Verlusts (von ortsgebundener Kindheitsgeborgenheit) begriffen würde, sondern als wunderbare Chance für einen aktiven Aneignungsprozess aller Facetten der gestalteten Umwelt. Wie so etwas ebenso lustvoll wie leidenschaftlich, so kritisch wie konstruktiv möglich ist, zeigt der Schweizer Heimatschutz seit vielen Jahren (www.heimatschutz.ch »).

Baukultur, auch das hat Davos begriffen, ist Vermittlungsarbeit auf allen Ebenen. Wie das gelingt, hat die Kommunikation der Elbphilharmonie gelehrt, die mit 10 Mio. Euro und einer gute Mischung aus erfolgreichem »framing« und klugem »storytelling« das Planungs- und Finanzdesaster in eine allseits geliebte Architekturikone verwandelt hat. Und natürlich ist Baukultur Bildungsarbeit: »High-quality Baukultur calls for efforts in the field of education and awareness-raising, with a view to enabling better judgements regarding Baukultur.« Nur wer seine gestaltete Umwelt überhaupt wahrnimmt, sie im wahrsten Wortsinn begreift, kann qualifiziert an ihrer künftigen Gestaltung mitwirken. Für Baukultur gilt wie für alle anderen Dinge auch: Besser werden sie nur, wenn man sie ändert. Zwischen all den ausbildungs- und berufserfahrungslosen Lebenslangpolitikern, den Juristen, Lehrern und Verwaltungsmitarbeitern fehlt es im Deutschen Bundestag dramatisch an praxiserprobten Architektinnen und Architekten, an durchsetzungsfähigen Ingenieuren und Ingenieurinnen. Die Gestaltung einer Gesellschaft beschränkt sich nicht auf Zeichenstift und Bildschirmoberflächen.

Noch ist das Europäische Jahr des kulturellen Erbes jung. Mit der Davos Declaration hat es gleichwohl bereits einen Höhepunkt bekommen. Diesen Schwung gilt es im so gruselig verbands- und institutionsseligen Deutschland mitzunehmen, um zweierlei für die Zukunft festzuschreiben: Zum einen gilt es, das im Umweltschutz schon lange übliche Verbandsklagerecht endlich in Fragen des Denkmalschutzes umzusetzen, zum anderen muss der Leitgedanke der Deklaration, dass »everyone, irrespective of background, has the right to experience, share and belong to the cultural environment« im europäischen wie im (nationalen) Recht in ein Grundrecht auf Baukultur münden. In spätestens zehn Jahren wollen die Kulturminister die baukulturelle Entwicklung Europas evaluieren. Dann wird Deutschland hoffentlich nicht wieder nur auf Ebene der Staatssekretäre vertreten sein, sondern mit einem eigenen Baukulturministerium.

Der Autor studierte Kunstgeschichte und arbeitet als Architekturkritiker und Buchautor in Berlin.

zur Meldung vom Januar 2018 »

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