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Wie sich das Architekturstudium wandeln müsste

Wie sich das Architekturstudium wandeln müsste
Weiterbauen und Lehre

Weiterbauen und Lehre
Bild: Christian Schönwetter

Bauen im Bestand gewinnt ständig an Bedeutung, doch die Architekturausbildung reagiert darauf bislang eher zaghaft. Bereiten wir Studierende noch richtig auf die Zukunft vor? Anregungen für einige Änderungen in der Lehre.


Architektonische Entwürfe beantworten drängende Fragen gern mit einem einzigen, überzeugenden Entwurfsgedanken. Im besten Fall überstrahlt die große Idee manch ein Defizit an anderer Stelle. Mit komplexer werdenden Bauaufgaben wird es allerdings immer schwieriger, solch abstrahierte, also genial vereinfachte Bilder zu ersinnen. Dies gilt besonders angesichts der enormen Herausforderungen durch Klimakrise und Ressourcenknappheit. Vor diesem Hintergrund nämlich ist klar, dass die Lösung nicht im (genial ersonnenen) Neubau liegt, sondern in der Umwidmung, der Neuorganisation oder der Erweiterung von Bestandsgebäuden.

Wenn das Bauen der Zukunft ein Weiterbauen ist, wird die traditionelle architektonische Herangehensweise weitestgehend obsolet. Hier hat die Suche nach dem einen erlösenden Entwurfsgedanken kaum Aussicht auf Erfolg. Die entsprechenden Aufgaben sind uneinheitlich, teils widersprüchlich. Ein Ansatz wirft hier oftmals mindestens so viele neue Fragen auf, wie er beantworten kann. Fast immer ist ein ganzes Bündel an Strategien gefragt, viele Ideen, die sich zu einer Haltung formen. Dafür grundlegend ist das Bewusstsein, dass Bestandsgebäude in den seltensten Fällen gordischen Knoten ähneln, die es zu durchtrennen gilt, sondern einem historischen Geflecht, das sich weiter knüpfen lässt.

Was bedeutet das für die Lehre in diesem Bereich? Muss diese ganz anderen Schemen folgen als die klassische Architekturausbildung? Auf der Suche nach einer Antwort ist es möglicherweise hilfreich, zunächst den Status quo zu beschreiben. Ganz grob lassen sich zwei Arten des Erlernens einer Fertigkeit unterscheiden.

Learning by doing: Die Lernenden üben die Tätigkeit, in der sie ausgebildet werden, aus. Anfangs auf niedrigem Niveau, aber mit der Zeit sich steigernd. Das Erlernen eines Musikinstrumentes oder auch die meisten Lehrberufe folgen diesem Prinzip.

Lernen an der Simulation: Die Alternative besteht darin, die Tätigkeit, die eines Tages ausgeführt werden soll, lediglich zu simulieren. Sie wird an und mit Stellvertretern eingeübt, die keine ‧direkte Rückkopplung zulassen. Lediglich die Rückmeldungen der Lehrenden ordnen das Getane ein.

Die Gründe dafür, dass die Architekturlehre im Allgemeinen dem zweiten Schema folgt, liegen auf der Hand. Zu komplex sind die zu bewältigenden Aufgaben, zu groß und zu aufwendig wäre ein Scheitern. So können Studierende bei Abschluss ihrer Ausbildung häufig nur ahnen, was ihr Tun bewirken wird. Oft erhalten sie den Realitätsabgleich mit dem Erdachten erst nach Jahren im Architekturbüro. Die lange Tradition von Simulationen in der Architekturausbildung ist trotzdem nicht grundsätzlich infrage zu stellen.

Interessant erscheint vielmehr ein Ansatz bei den konkreten Stellvertreterstrukturen. Erstaunlicherweise nämlich kommen in unserem Fach gar nicht viele unterschiedliche Simulationsverfahren zum Einsatz. Im Wesentlichen werden kleine Grafiken, genannt Zeichnungen, und sehr kleine Skulpturen, genannt Modelle, verwendet. Dabei wird ein gegebenes Raumprogramm häufig in einem Maßstab von 1:200 zeichnerisch umgesetzt, ergänzt durch Modelle in verschiedenen Maßstäben. Ein Aspekt dieser Darstellungsform ist auffällig: Sie – und damit der weit überwiegende Teil der Lehre – entspricht einer Simulation des Wettbewerbswesens.

Probleme des Status Quo

De facto wird dadurch nur ein sehr schmaler Ausschnitt der späteren Berufstätigkeit abgebildet. Dass gerade diesem Teilbereich eine Hauptrolle innerhalb der Ausbildung eingeräumt wird, hängt sicherlich nicht nur damit zusammen, dass Lehrende weit überwiegend auch erfolgreich im Wettbewerbswesen sind. Jenseits einer umfassenden Analyse aber stellt sich die Frage: Was, wenn sich die Simulation von Architekturwettbewerben für die Lehre des Weiterbauens gar nicht eignet? Was, wenn ein gelungenes Umbauprojekt ganz andere oder noch weitere Fähigkeiten voraussetzt als sie im Wettbewerbswesen gefragt sind? Dafür spricht vieles, ist doch gerade diese Art des Leistungsvergleichs ganz besonders stark fixiert auf die eingangs beschriebene »große Idee«.

Hinzu kommt, dass sich die vorgeschlagenen Eingriffe in den Bestand mittels der gegebenen Methoden nur schwer beurteilbar machen lassen. Natürlich existieren technische Hilfsmittel wie beispielsweise Rot-Gelb-Pläne. Trotzdem wissen alle, die schon einmal an einem Umbauwettbewerb teilgenommen haben, wovon ich spreche. Der hier zutage tretende Mangel an spezifischen Techniken hat vermutlich auch damit zu tun, dass seit der Moderne keine echte architektonische Umbautradition mehr existiert.

Zugleich stellt sich bei jedem Umbau die Frage, wie mit den im Bestandsgebäude gespeicherten Erinnerungsschichten umzugehen sei. Spätestens hier wird deutlich, dass die für erfolgreiches Weiterbauen nötige Vorbildung nicht innerhalb der heute üblichen Bachelorausbildung zu vermitteln ist. Die Fähigkeit, innerhalb nicht selbst gewählter Referenzräume eigene Beiträge zu leisten, fußt auf anderen Voraussetzungen als das Streben nach der originellen, nur der eigenen Kreativität verpflichteten Entwurfsidee.

Dass die Lehre vom Umbau meistens an Denkmalpflege gekoppelt ist, löst das Dilemma nicht, sondern macht die Sache eher noch schwieriger: Schließlich hat die Denkmalpflege einen ganz anderen Zugang zum Bestand als der an den praktischen Erfordernissen der künftigen Nutzung ausgerichtete Weiterbau. Erneut spiegelt sich hier die historische Vernachlässigung des Themas, das ab der Nachkriegszeit lange nur im Bereich der Denkmalpflege interessant zu sein schien.

In kleinen Schritten zur Lösung

Angesichts der beschriebenen Widerstände ahnt man schon, dass die Emanzipation der Umbaulehre nicht mit einem großen Befreiungsschlag zu haben sein wird. Daran ändert ganz offenbar auch die stetig wachsende Zahl von Lehrstühlen für Bauen im Bestand nicht viel. Man wird sich dem Thema – wie im Umbau selbst – in kleinen Veränderungen und Verschiebungen annähern müssen. Das dafür grundlegende Nachdenken über den Einsatz von Simulationen in der Lehre könnte letztendlich auf das gesamte Fach positiv ausstrahlen. Im Folgenden ein paar Ideen hierzu:

1:1-Situationen
Studierende im Bereich Produkt- oder Grafikdesign werden immer wieder in konkrete Projekte vermittelt. Davon ließe sich lernen, auch wenn die entsprechenden Situationen im Fach Architektur ungleich schwieriger herzustellen sind. Entsprechende DesignBuild-Projekte sind derzeit auf sehr einfache Gebäude, meist in Ländern des globalen Südens, beschränkt. Gerade unter dem Aspekt des Umbaus ist dieser Ansatz aber hochinteressant und sollte genauer beobachtet werden.

Unmittelbarkeit
Die besten Umbaulösungen entstehen häufig aus einer bautechnischen Beschränkung heraus. Das Akzeptieren dieser Beschränkung und der produktive Umgang damit sind ein wesentlicher Teil der Lösung. Eine Umbaulehre muss viel mehr Begegnung mit Bestand ermöglichen als eine Neubaulehre. Es muss erfahrbar werden, dass Architektur nichts abstraktes, »cleanes« ist. Die Realität einer Baustelle ist meist gerade nicht so, wie man sie sich wünscht. Um die Fähigkeit einzuüben, die Wünsche den Gegebenheiten anzupassen, müssen Studierende Gebäude wiederholt besuchen.

Diskontinuität
Möglicherweise müssen wir uns von dem in kontinuierlichen Verfeinerungsschritten perfekt ausgearbeiteten Entwurf verabschieden, wenn wir diejenigen Skills, die man zum Umbauen braucht, besser vermitteln wollen. Vielleicht stellt ein Konzept in 1:500, gefolgt von einem 1:1-Detail und einem 1:20-Innenraummodell in Hinblick auf die hier benötigte komplexe Denkweise die aussichtsreichere Simulation dar. Allerdings würden dadurch lieb gewordene Routinen, unter anderem für die Bewertung, durchbrochen: Die eine große beeindruckende Abgabe müsste ausfallen.

Modell
Gewiss ist, dass das wettbewerbsübliche Rendering dem Erlernen des Weiterbauens viele Beschränkungen entgegensetzt. Eine hilfreiche Fortentwicklung des Lehrvokabulars stellen die vielerorts gepflegten Innenraummodelle dar. Gerade in großmaßstäblicher Form verführen sie aber leider auch dazu, Modellbauprobleme mit Modellbaumaßnahmen zu lösen. Die Komplexität des tatsächlichen Sachzwangs wird so verschleiert. Die Arbeit mit Fotografien und Collagen dagegen bildet ein bisher kaum untersuchtes Feld. Als Experiment denkbar wäre etwa eine Kombination von Collage und Modell.

Programmkompetenz
Bei Umbauprojekten tritt der Bestand als gleichberechtigter Partner auf den Plan, der die Zielsetzung mitbestimmt. Um dem Rechnung zu tragen, ist es notwendig, nicht einfach ein gegebenes Programm abzuarbeiten, sondern vor allem die gegebenen Möglichkeiten zu analysieren und interpretieren. Die Studierenden könnten das üben, indem sie die zu realisierenden Nutzungen selbst entwickeln. Wobei ein gewisses Risiko besteht, dass nach der arbeitsaufwendigen Suche nur noch wenig Zeit für die detaillierte Ausarbeitung des Entwurfs bleibt.

Gegebener Referenzraum
Der Bestand determiniert die architektonischen Möglichkeiten. Gegenüber dem Neubau hat das den Vorteil, dass den Entwerfenden viele Entscheidungen abgenommen werden, aber auch den Nachteil, dass sie sich in ein vorgegebenes System einfügen müssen. Um das zu üben, können Studierende innerhalb eines bestimmten Referenzraums entwerfen. Mögliche Vorgaben sind etwa ein Stil, eine Atmosphäre, eine Konstruktionsart oder ein Material. Erfahrungsgemäß führt diese Vorgehensweise zu sehr guten Ergebnissen, auch wenn sie bei den Studierenden nicht sehr beliebt ist.

Semesterrhythmus
Innerhalb des üblichen Semesterrhythmus können Weiterbauprojekte aufgrund der besonderen Erfordernisse nicht zu vergleichbaren Ergebnissen führen wie Neubauentwürfe. Stünden dagegen beispielsweise zwei Semester pro Projekt zur Verfügung, könnte man verschiedene Simulationen kombinieren und käme mit Sicherheit zu überraschend neuen und besseren Resultaten.

Konstruktion und Moderation

Im Zeitalter des Weiterbauens müssen Architekt:innen in weit höherem Maße als bisher über zwei bestimmte Kompetenzen verfügen. Die Zahl der technischen Standardfälle wird in Zukunft abnehmen. Wir müssen dann in wesentlich größerem Umfang selbst entscheiden, ob die gewählten Konstruktionen technisch tragfähig sind oder nicht. Moderation ist künftig ebenfalls mehr gefragt, nicht nur in der Interaktion mit Bauherrn und Nutzern, sondern vor allem in der öffentlichen Vermittlung dessen, was das Bestandsgebäude zu leisten im Stande ist und welche Maßnahmen als angemessen bezeichnet werden können. All meine Vorschläge zielen deshalb im Kern auf das Vermitteln von Fähigkeiten zur Konstruktion und zur Moderation.

Mir ist klar, dass ein Großteil der genannten Ideen kurzfristig nicht umsetzbar ist, müsste man dafür doch das Studium, auch in seinen didaktischen Inhalten, komplett anders organisieren. Wenn wir aber das Weiterbauen ernstlich in die Lehre integrieren wollen, werden wir uns mit grundlegenden Änderungen anfreunden müssen. Zum Thema Ausbildung soll Antoine de Saint Exupéry einst ganz allgemein geraten haben: »Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.« So poetisch diese Lebensweisheit auch sein mag, stellt sich im Kontext des Architekturstudiums die Frage, ob die Sehnsucht (nach einem anderen Bauen) allein genügt und natürlich, welches Meer (welche konkrete Zukunft) gemeint ist. Selbst wenn es gute Argumente dagegen gibt, für einen bestimmten Markt auszubilden: Irgendwann wird die Arbeit eingeteilt, und dann sollten unsere Studierenden mithalten können. •

~ Andreas Hild


Der Autor betreibt gemeinsam mit Dionys Ottl und Matthias Haber das Architekturbüro Hild und K. Vertretungs- und Gastprofessuren sowie Lehraufträge führten ihn an die Universität Kaiserslautern, die Münchner Fachhochschule, die Akademie der Bildenden Künste in Hamburg, die Technische Universität Graz und die Technische Universität Darmstadt. Seit 2013 hat er an der Technischen Universität München den Lehrstuhl für »Entwerfen, Umbau und Denkmalpflege« inne.

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