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Zur intelligenteren Nutzung des Bestands

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Der unsichtbare Wohnraum

Der unsichtbare Wohnraum
Bild: transcript

Jährlich könnten rund 100.000 neue Wohnungen entstehen – ohne klimaschädlichen Neubau, allein durch ungenutzte Zimmer älterer Menschen nach Auszug der Kinder. Wie dies im Detail funktionieren kann, legt der Autor in seiner Dissertation dar.

In deutschen Ballungsräumen fehlen bezahlbare Wohnungen. Das zentrale politische Dilemma: Ein groß angelegtes Bauprogramm wie die von der Bundesregierung angepeilten 400.000 neuen Einheiten pro Jahr würden mehrere Mio. t zusätzliche Treibhausgase verursachen, während das Klimaschutzgesetz fordert, im Gebäudesektor bis 2030 ca. 5 Mio. t weniger auszustoßen. Lösungsmöglichkeiten liegen im klimaneutralen Neubau, im Umbau und im Schaffen von Wohnraum ohne größere Baumaßnahmen. Letzteres, also die bessere Nutzung bereits existierender Wohnflächen, untersucht Daniel Fuhrhop in seiner Dissertation an der Universität Oldenburg. Er plädiert dafür, die bisherigen technischen Effizienzmaßnahmen durch neue Suffizienzansätze zu ergänzen: Zur Bauwende solle eine Wohnwende kommen.

Zunächst weist er nach, dass es in Deutschland theoretisch genug Wohnungen gibt: Von 1995 bis 2020 stieg die Einwohnerzahl um 1,34 Mio., während im gleichen Zeitraum 6,85 Mio. zusätzliche Wohnungen geschaffen wurden. Es gibt also so viel Platz wie noch nie, das Problem ist seine Verteilung. Neben regionaler Ungleichheit ist die steigende Wohnfläche pro Person die Hauptherausforderung. Und in einer alternden Gesellschaft nimmt dieser Flächenverbrauch besonders stark zu: Während unter 18-Jährige durchschnittlich auf 30,5 m² wohnen, sind es bei den über 80-Jährigen im Durchschnitt 63,7 m². Die Wohnfläche steigt mit dem Alter, wird aber häufig gar nicht gebraucht. Bei einer kleinen Studie mit über 55-jährigenen Hauseigentümer:innen gab die Hälfte der Befragten an, ungenutzte Zimmer zu haben, gut ein Drittel sogar zwei oder mehr Zimmer. Für diese in offiziellen Statistiken bisher nicht erfassten Flächen führt Fuhrhop den Begriff »unsichtbarer Wohnraum« ein. Auf gut 300 Seiten schätzt er dessen Größenordnung und das Potenzial zur Linderung des Wohnungsmangels ab, indem er diverse Daten aus verwandten Themengebieten mit zahlreichen Fallstudien kombiniert. Ob es sich dabei überhaupt um nutzbaren Wohnraum handelt, macht Fuhrhop von der persönlichen Aussage der Bewohner abhängig. Es geht ihm nicht darum, Menschen vorzuschreiben, wie sie zu wohnen hätten, sondern es geht darum, diejenigen Senioren zu unterstützen, die ihre ungenutzten Zimmer als Belastung empfinden. Im Idealfall bedeutet das Aktivieren des unsichtbaren Wohnraums, älteren Menschen ein angenehmes Wohnen zu ermöglichen, Wohnraumreserven in Altbauten zu heben und klimaschädlichen Neubau zu vermeiden.

Im Mittelpunkt steht das Modell »Wohnen für Hilfe«, bei dem jüngere Menschen bei Senioren einziehen, keine oder eine sehr niedrige Miete zahlen und im Gegenzug beim Einkaufen, im Haushalt oder Garten helfen (keine Pflege). Dieses Modell und sein Potenzial, aber auch derzeitige Hemmnisse untersucht Fuhrhop detailliert. Weitere Ansätze zur Aktivierung des unsichtbaren Wohnraums betrachtet er eher skizzenhaft: klassische Untermiete, Umzug und Wohnungstausch, Wohngemeinschaften, Umbau – etwa mit Schaffung von Einliegerwohnungen – usw. Insgesamt ermittelt er ein Potenzial von rund 100.000 Wohnungen pro Jahr.

Zum Abschluss leitet er daraus Handlungsempfehlungen ab, etwa das Etablieren einer »Häuserberatung«, bei der nach dem Vorbild einer Energieberatung Eigentümer:innen über verschiedene Möglichkeiten informiert werden, wie sie ihre Immobilie optimal nutzen können. Oder auch das Einführen eines neuen KfW-Fördermodells: Beim »Suffizienzhaus 40« würden Projekte finanziell unterstützt, bei denen die Wohnfläche pro Person maximal 40 m² beträgt, vorstellbar wäre auch ein »Suffizienzhaus 30«.

Neben einer profunden theoretischen Untersuchung des unsichtbaren Wohnraums gibt das Buch also auch zahlreiche praktische Denkanstöße. Im Vergleich zu anderen Dissertationsschriften ist es außerordentlich gut lesbar. Man merkt, dass der Autor in der Politik tätig war und als ehemaliger Oberbürgermeister-Kandidat Dinge griffig zu formulieren und auf den Punkt zu bringen versteht. Eine digitale Version des Buches steht als PDF kostenlos zum Download bereit.

~Christian Schönwetter

Der unsichtbare Wohnraum
Wohnsuffizienz als Antwort auf Wohnraummangel, Klimakrise und Einsamkeit
Von Daniel Fuhrhop
308 Seiten, 32 SW-Abbildungen, gratis Download oder kartoniert, Juni 2023, 50 Euro, transcript, Bielefeld 2023

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