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Ein Märchen aus uralten Zeiten

Diskurs
Ein Märchen aus uralten Zeiten

Regelmäßig im Sommer, wenn die Architektenkammern ihre Informationsbroschüren zum Tag der Architektur versenden, beschleichen mich Zweifel, ob das mit der Baukultur in Deutschland

~Jürgen Tietz

noch etwas wird. Während in manchen Bundesländern stets Feuerwerke guter Architektur gezündet werden, stellt sich mir in anderen Bundesländern – und keineswegs bei den Kleinsten – jedes Jahr die Frage, was und wer mit diesem Panoptikum des unteren Mittelmaßes erreicht werden soll.
Es gehört zu den besonderen Schwierigkeiten der Baukultur, dass man sie weder in Gramm noch Oechsle messen kann – aber eben auch nicht in Euro oder Dollar. Und um einem gelegentlich bei Investoren anzutreffenden Missverständnis entgegenzuwirken, gilt es festzuhalten, dass Baukultur auch nicht das Sahnehäubchen ist, das am Ende eines Planungsprozesses aus einem (hoffentlich) ordentlichen Haus ein besseres macht. Baukultur gehört in das Fundament jedes Gebäudes. Sie setzt frühzeitig ein und umfasst viele Faktoren, denn sie wird gleichermaßen durch die Offenheit von Bauherren geprägt wie durch die Entwurfsqualität von Architekten, Ingenieuren und Fachplanern. Dazu gehört auch die Diskursqualität mit- und untereinander.
Es fällt allerdings auf, dass die Intensität der Diskussion über Baukultur mit einem Verfall von baukulturellem Empfinden in der Öffentlichkeit einhergeht. Das ist eigentlich nicht verwunderlich. Zwar ist Baukultur kein Schulfach – und braucht es auch nicht zu werden. Aber wenn der öffentliche Bauherr etwa in Berlin seine Schulen vergammeln lässt, bis die Fensterscheiben herausfallen, dann gefährdet das nicht nur die Gesundheit der Kinder, es prägt die Wahrnehmung ganzer Schülergenerationen. Sie erleben, wie Baukultur in Sonntagsreden abgeschoben wird, während man ihr im Alltag ein Mindestmaß an Wertschätzung versagt.
Dass man andererseits Unsummen für Häuser und Infrastrukturprojekte ausgeben kann und dennoch bodenlos kulturvergessen baut, hat vor einigen Jahren auch das Bundesbauministerium bemerkt, als es sein Selbstverständnis noch nicht auf die Rolle eines Bundesdämmwahn-Ministeriums reduzierte. Nach langen Geburtswehen entstand daraufhin 2007 die Bundesstiftung Baukultur. Nun gibt es zwischen dem mit Vertretern aus Parteien, Verwaltung und Verbänden bestückten Stiftungsrat und dem ersten Direktor der Stiftung, dem Stadtplaner und Städtebauer Michael Braum, einen Dissens über die künftige Arbeit der Stiftung, weshalb Braum für eine zweite Amtszeit nicht mehr zur Verfügung steht. Das legt sowohl die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Stiftung und ihrer Konstruktion nahe als auch nach dem Stand der baukulturellen Dinge in Deutschland insgesamt. So löblich die Idee einer Bundesstiftung Baukultur ist, so widersinnig ist es, ihre Unabhängigkeit durch die Zusammensetzung ihrer Gremien von vornherein einzuschränken. Es gehört zu ihren Geburtsfehlern, dass der große »Konvent« der Baukultur lediglich fünf Vertreter in den 13-köpfigen Stiftungsrat wählt. So erscheint die Stiftung eher als baukulturelles Feigenblatt, denn als jener Stachel im gebauten Mittelmaß, der sie sein müsste. Womit wir bei der Frage nach dem baukulturellen Stand der Dinge angekom-
men wären. Der lässt sich nicht allein an den bundesweiten Großprojekten messen, wobei gerade die öffentliche Hand und ihre Institutionen und Unternehmen keineswegs vor baukulturellem Feingefühl strotzen. Wer käme sonst auf die Idee, die hermetische Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in die Mitte Berlins zu rotzen oder würde sich im Streit um Flugrouten und Lärmreduzierung an den berechtigten Interessen der Bürger vorbeimogeln? Die Idee der Vorbildfunktion des öffentlichen Bauherrn, sie klingt wie ein schönes Märchen aus uralten Zeiten. Zur Baukultur gehört es aber, dass sich öffentliche Immobilienbesitzer um ihre Denkmale kümmern statt sie wie im Fall der Deutschlandhalle in Berlin abzureißen, während man privaten Bauherren den Anbau seiner Dachgaube verbietet. Noch fragwürdiger wird es, wenn aus politischen Erwägungen denkmalwürdige Bauten der Moderne wie das Klinikum Benjamin-Franklin oder das ICC in Berlin gar nicht erst unter Denkmalschutz gestellt werden.
Baukultur ist eine Überallkultur. Sie betrifft private und öffentliche Bauherren – und man muss ja nicht gleich die Rezeptpflicht für Baumarktartikel einführen, wie es Michael Braum in seiner wundervoll pointierten Art einmal forderte. Sicher: Seit Jahren wird in Deutschland auf unterschiedlichen Ebenen intensiv um Qualität gerungen, von den Architektenkammern bis zum BDA. Und man sollte nicht unterschätzen, welch zermürbendes Geschäft es ist, gegen Widerstände Architektenwettbewerbe durchzusetzen oder Gestaltungsbeiräte zu installieren. Um langfristig zu einer Baukultur zu gelangen, die ihren Namen verdient, gilt es weiter an der Kultur dafür zu bauen. Dazu gehört es, anstelle föderaler Beißreflexe gegenüber der Bundesstiftung eine bessere Vernetzung baukultureller Aktivitäten zu sichern – auch international. Ebenso unverzichtbar aber ist es, Ausstattung, inhaltliche Schlagkraft und v. a. die Unabhängigkeit der Stiftung zu erhöhen. Es gilt, ihre Gremien aus der Gemengelage parteipolitischer Interessen zu lösen, damit sie künftig ihre Kernanliegen verfolgen kann: Themen zu setzten und damit den lahmenden öffentlichen Diskurs über Baukultur anzuschieben.
Der Autor studierte Kunstgeschichte und arbeitet als Architekturkritiker und Buchautor in Berlin.
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