Wenn das künstlerische Werk eines Bildhauers unter Tage gezeigt wird, braucht es einen umso stärkeren oberirdischen Ankerpunkt. Mit dieser Idee entstand der zwölf Meter hohe Glasbau über dem neuen „Brâncuși-Museum“ in Craiova, das sich dem Werk des großen rumänischen Bildhauers Constantin Brâncuși widmet.
Craiova, sechstgrößte Stadt Rumäniens mit rund 260.000 Einwohner, ehrt einen ihrer berühmtesten Künstler, den Bildhauer Constantin Brâncuși – mit dem »Constantin Brâncuși International Art Center« im städtischen Kunstmuseum. Um die Ausstellungsfläche dafür angemessen zu erweitern, ohne den Altbau als Solitär zu verändern, wuchs das Museum nach unten und erhielt einen unterirdischen Flügel.
Oberirdisch kommt ein Kunstwerk hinzu: Ein Glaspavillon als Werk zwischen Architektur und Bildhauerei, eine »Op-Art« wie eine optische Täuschung verschiedener Formen, wie sie typisch ist für das Werk von Constantin Brâncuși, ein Glasbau, in dem ein ovales, fusiformes Volumen scheint und schimmert. So wird das Bau-Kunst-Werk zur Referenz für ein Projekt, das Constantin Brâncuși nicht mehr realisierte: den Tempel von Indore.
Skulptur »Măiastra« als Silhouette
Beeindruckend sind die Glasscheiben, zwölf mal drei Meter groß, die das Volumen mit quadratischem Grundriss bilden. Innen schaffen horizontal angeordnete Glaslamellen den eiförmigen Raum, der die Skulptur »Măiastra« als Silhouette andeutet, eine Skulptur im Sinne des Schaffens von Brâncuși. Hier wartet ein völlig eigenständiges Raumerlebnis: Aus dem Untergeschoss fährt ein gläserner Aufzug – mit nur einer einzelnen Person – in die Mitte des Glasbaus. Diese Person kann nun in den wenigen Sekunden der Auffahrt in die Welt von Brâncuși eintauchen und erfahren, was der Künstler durch sein Werk vermitteln wollte: Erhabenheit, Frieden und Licht des Geistes.
Ingenieurkunst für Kunst
Zwölf Seitenscheiben (12,50 x 3,00 m) und drei Dachscheiben (9,00 x 3,00 m) bilden die gläserne Hülle, acht Glasfins tragen die Seitenscheiben mittels filigraner, einlaminierter Verbindungsstücke. Innerhalb des Glaskubus definieren weitere acht Glasfins die Silhouette des Vogels »Măiastra« – hier in wesentlich größeren Dimensionen als das ursprüngliche, nur neun Zentimeter hohe Kunstwerk: Der aus Glas umfasste Raum ist fast um den Faktor 100 größer. In der Mitte des Konstrukts befindet sich der Aufzug aus Glas. Die spezielle Form der Gläser, die die Umrisse der Vogel-Skulptur bilden, war nicht nur in der Glasbearbeitung anspruchsvoll. Vor allem beim Vorspannen und in der Lamination musste auf das richtige Verhalten der Formscheiben im Ofen und auf die Passgenauigkeit an den Kanten geachtet werden.
Constantin Brâncuși: Bildhauer, Künstler, Kosmopolit
Constantin Brâncuși (1876 – 1957) war ein rumänisch-französischer Bildhauer und Fotograf. Ab 1904 lebte er in Paris, er zählt zu den prägenden Bildhauern des 20. Jahrhunderts. Nicht die wirklichkeitsgetreue Wiedergabe von Objekten prägte sein Schaffen, vielmehr Reduktion, beeinflusst von afrikanischer und rumänischer Volkskunst. Brâncușis Plastiken sind oft eiförmige Köpfe (oder fliegende Vögel), seine Werke werden der Avantgarde in der Bildenden Kunst zugeschrieben. »Măiastra« steht dabei pars pro toto für die Verbindung, die Darstellung von Vögeln nahe der Ei-Form.
Bautafel
Art Museum Craiova, Neubau »Brâncuși Art Center«
Architekt: Dorin Stefan, Bukarest
Bauherr: Manelli SRL
Glasveredler: sedak, Gersthofen (D)
Fertigstellung: 2022