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Berliner Baustellen

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Berliner Baustellen

Berliner Baustellen
Dem Düttmann-Bau »An der Urania« in Berlin droht im Januar 2024 der Abriss, Foto: Initiative an.ders Urania
Wer derzeit durch Berlin streift, stößt auf zahlreiche Baustellen. Das ließe sich als gutes Zeichen lesen. Lassen Baustellen doch auf Aufbruch und Wandel hoffen.

~Jürgen Tietz

Doch die Berliner Baustellen wirken eher wie Signale der Orientierungslosigkeit inmitten einer sich baukulturell wandelnden Welt. Und das – leider – unabhängig davon, ob es sich um eine private oder öffentliche Bauherrschaft handelt. So setzt sich im Nordwesten Berlins das Leiden eines der bedeutendsten Baudenkmale der Moderne fort, das in der Zeit des »Dritten Reichs« in Berlin entstanden ist. Haus Baensch, 1934/35 nach dem Entwurf von Hans Scharoun errichtet, thront prominent über der Havel. Klug hatte sich Scharoun mit diesem Kleinod vor den satteldachigen Bauvorgaben der Nationalsozialisten weggeduckt. Der vergleichsweise konventionell anmutenden Straßenfassade antwortet auf der Gartenseite ein »Wohnleib«, den Scharoun im Dialog mit der Lebensweise der Bewohner:innen und den Gegebenheiten der Landschaft schuf. Fächerförmig öffnet sich der Grundriss von Haus Baensch gefühlvoll zur stark abfallenden Landschaft. Wer ein solches Gesamtkunstwerk aus Gebäudehülle, Ausstattung und Garten baulich anfasst, der hat dies mit baukulturellen Samthandschuhen zu tun. Doch stattdessen wird Haus Baensch seit Jahren lieblos behandelt, wurde tief in die denkmalgeschützte Bausubstanz eingegriffen. Auch der Garten nach dem Entwurf von Hertha Hammerbacher, Karl Förster und Hermann Mattern ist weitgehend entstellt. Nun hat ein Brand samt nachfolgendem Löschwasser diesem Berliner Baudenkmal von internationalem Rang zwar noch nicht den letzten Rest gegeben, aber seine Substanz doch weiter schwer geschädigt. Man stelle sich vor, einem Haus von Robert Mallet-Stevens oder Le Corbusier würde in Paris Ähnliches widerfahren! Der öffentliche Aufschrei der Kulturnation Frankreich wäre nicht zu überhören. In Berlin gibt es dafür nur ein kurzes mediales Murmeln. Det is Berlin. Das Drama um Haus Baensch böte den Anlass, über den rechtlichen Rahmen für eine Stiftung nachzudenken, die gefährdete Baudenkmale (der Moderne) in ihre schützende Obhut nimmt, um sie vor Zerstörung und endgültigem Untergang zu retten. Das wäre übrigens keineswegs (allein) eine staatliche Aufgabe. Viele Immobilienkonzerne haben unabhängig von der gerade aufziehenden Krise im Baubereich im letzten Jahrzehnt in Deutschland mehr als blendend verdient.

Ein derartiges privates Engagement setzte jedoch voraus, dass sich auch die öffentlichen Immobilien- und Denkmaleigentümer an den nach außen postulierten, nachhaltigen Maßstäben messen lassen, und dem Erhalt das Primat gegenüber dem Abriss einräumen. Dann nämlich würde dem 1964/67 auf kreuzförmigem Grundriss errichteten Bürohaus nach Entwurf von Berlins ehemaligem Senatsbaudirektor Werner Düttmann »An der Urania« nicht Anfang 2024 das Ende drohen. Das Haus aus dem Bestand des BIM (Berliner Immobilien Management) wird aktuell schadstoffsaniert. Anschließend sollen die Abrissbagger ihr zerstörerisches Werk tun. »Die große Reparatur«, die aktuell eine Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste propagiert, ist im gebauten Alltag noch lange nicht angekommen. Die Initiative an.ders URANIA (https://andersurania.org/) hat daher eine »Alternative Machbarkeitsstudie« für die Erhaltung des Hauses vorgelegt. Statt also weiterhin vorhandene Bausubstanz besonders der Nachkriegsmoderne zu schreddern und damit städtische Identität stückweise zu opfern, gäbe ein Erhalt des Düttmann-Baus ein schönes Beispiel für die Berliner Lernfähigkeit. Vielleicht gelingt es ja, bei der Nachnutzung des Berliner Ablegers des Pariser Kaufhauses Lafayette an der Friedrichstraße ein Signal für eine nachhaltige Stadtentwicklung zu setzen. Dort wird momentan diskutiert, in dem Glashaus von Jean Nouvel die aus allen Nähten platzende Landesbibliothek unterzubringen. Eine charmante Idee, um das Haus klug nachzunutzen und zugleich Kultur in die Innenstadt zu bringen. Ob das Konzept in jeder Hinsicht tragfähig ist, wird sich zeigen. Allerdings weist der Gedanke auch auf das große Berliner Versäumnis zurück, nicht im Berliner Schloss einen Ort für die Landesbibliothek geschaffen zu haben, ein Kulturzentrum mit regionaler wie internationaler Ausstrahlung. Die kleingeistige Orientierungslosigkeit ist ohnehin die größte aller Berliner Baustellen. Wie weltgewandt wäre es gewesen, dort eine Art Berliner »Centre Pompidou« zu schaffen, dessen grandiose Ausstellungen international ihresgleichen suchen? Stattdessen hat man hinter der pseudobarocken Fassade, die von einem so leblosen wie erschütternd steinernen Vorplatz umfangen ist, im Herz von Stadt und Land, die Museen für außereuropäische Kunst in wenig überzeugende Ausstellungsräume gepackt. So sehr man an der Spree stets nach Größerem strebte, Berlin war nie mehr als jenes märkische Dorf an der Landstraße zwischen Paris und Moskau. Aber vielleicht gelingt es meiner schwerfälligen Heimatstadt ja wenigstens für dieses Mal, den Düttmann-Bau »An der Urania« und das wunderbare Haus Baensch zu retten, um endlich mit der notwendigen »großen Reparatur« zu beginnen.

Der Autor ist Architekturkritiker in Berlin

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