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Quartier Angell Town in London (GB) von Anne Thorne Architects

Quartier Angell Town in London (GB)
»Engelsstadt«

Angell Town ist ein Quartier in Brixton, Lambeth, im Süden der Londoner Innenstadt, das lange Zeit so verrufen war, dass nicht einmal Taxifahrer und Pizzaboten sich dorthin trauten. Dass es inzwischen wieder zu einem lebenswerten Stück Stadt mit ansprechender Architektur geworden ist, grenzt an ein kleines Wunder und ist vor allem der Initiative und dem Engagement der Bewohner sowie der guten Zusammenarbeit von Bewohnern und Architekten zu verdanken.

    • Architekten: Anne Thorne Architects, Mode1, Greenhill Jenner Architects

  • Kritik: Maren Harnack Fotos: David Spiro, Jackie Chapman, Peter Cook, Richard Glover, Nigel Greenhill

Um 1850 hatte die Familie Angell in Brixton einen sogenannten »Estate« entwickelt, ein spekulativ gebautes Wohngebiet mit standardisierten Reihenhäusern, die in Erbpacht an die Bewohner vergeben wurden. Wie in vielen vergleichbaren Gebieten, war die bauliche Qualität der Gebäude mäßig, und weil wachsende Familien kaum Aussicht auf eine größere Wohnung hatten, waren sie bald so stark überbelegt, dass Angell Town zu einem Slum wurde. Schon um 1900 begann die Stadt London damit, Slums zu sanieren, indem sie die Eigentümer enteignete, die Gebäude abriss und an deren Stelle eigene Wohnbauten errichtete – so auch in Angell Town. Unterbrochen von zwei Weltkriegen zog sich die Sanierung der Slums aber über Jahrzehnte hin. Wie die meisten Quartiere nach dem Zweiten Weltkrieg wurde auch Angell Town nach den Prinzipien des Modernen Städtebaus neu geplant. Obwohl das Projekt letztendlich erst 1978 zum Abschluss kam und sich in ähnlichen Siedlungen bereits erste schwerwiegenden Probleme wie Kriminalität, Verwahrlosung und Unzufriedenheit der Bewohner einstellten, hielt man an den Prämissen der Planungen der sechziger Jahre fest.

Der neue Angell Town Estate bestand aus neun drei- bis fünfgeschossigen Wohnhäusern, die für Fußgänger von sogenannten Decks im ersten Stock aus erschlossen wurden. Im Erdgeschoss gab es nur die Straßenerschließung und Garagen, die, wegen der auskragenden Decks, kaum einsehbar waren. Die Decks der Häuser waren untereinander mit Brücken verbunden. Geplant war, das System der Deckerschließung auf die angrenzenden Estates auszudehnen. Dazu kam es aber nicht, und so blieb Angell Town von der unmittelbaren Umgebung abgeschnitten. Niemand, der nicht in eine der Wohnungen wollte, betrat das Gelände. Durch das Übereinander von Straßen und Decks war das Gebiet extrem unübersichtlich und unsicher. Da die Situation in anderen, vergleichbaren Estates allerdings kaum besser war, beschlossen die Bewohner sich nicht um neue Sozialwohnungen zu bemühen, sondern sich für die Verbesserung ihrer Lebensumstände im Quartier einzusetzen. Eine Rolle spielte dabei sicher auch, dass Angell Town relativ zentral liegt und gut ans U-Bahn-Netz angebunden ist.

Aussergewöhnliches Engagement

Wie so oft, war auch das Engagement der Bewohner in Angell Town nur erfolgreich, weil es einzelne Personen gab, die sich besonders einbrachten. In Angell Town war das vor allem die mittlerweile verstorbene Dora Boatemah, die 1986 eine im Laufe der Sanierung besonders aktive, gemeinnützige GmbH, das Angell Town Community Project, gründete. Sie initiierte eine Partnerschaft mit der Architekturfakultät der Universität Oxford Brookes, die die Sanierung von Anfang an begleitete. So wurden die Bewohner beispielsweise nach ihren Wünschen gefragt; auf Grundlage der Ergebnisse entwickelten die Studierenden ein Gutachten, das wiederum zur Grundlage der weiteren Planungen wurde. Gemeinsam mit Oxford Brookes, der Bauverwaltung von Lambeth und dem Planungsbüro Burrell Foley Fischer warb das Angell Town Community Project beim European Regional Fund fünf Mio. Pfund für ein Pilotprojekt zur Umnutzung der Erdgeschosszonen in Ladenlokale und den Umbau der darüberliegenden Wohnungen ein. Diese Partnerschaft wurde 1989 mit dem RIBA Partnership Award ausgezeichnet.1991 wurde Angell Town zudem als eines der letzten Projekte in das staatliche Förderprogramm »Estate Action« aufgenommen, das speziell für die Sanierung von großen, kommunalen Wohnsiedlungen konzipiert worden war.

Um die nötigen Komplementärmittel aufzubringen, musste Lambeth insgesamt etwa 200 Wohnungen an gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften verkaufen, die dann die eigentliche Sanierung des Quartiers durchführten und sich verpflichteten, die Wohnungen weiterhin als Mietwohnungen anzubieten. Gesteuert wurde der Sanierungsprozess von einem Gremium, in dem Vertreter der lokalen Verwaltung, der Bewohnervertretung, des Angell Town Community Projects, der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften und angesehene Persönlichkeiten aus dem Quartier vertreten waren. Eine Besonderheit der Sanierung von Angell Town ist, dass das Angell Town Community Project nicht nur als ehrenamtliche Bewohnervertretung an dem Prozess beteiligt war, sondern von der Verwaltung als offizieller Berater beauftragt wurde. In dieser Rolle organisierte es unter anderem die Beteiligung der Bewohner sowie die Auswahl der Architekturbüros und Bauträger für den Um- und Neubau der Wohnhäuser. Dabei wurde darauf geachtet, dass die Büros für Beteiligungsprozesse aufgeschlossen waren und zumindest über erste Erfahrungen in diesem Bereich verfügten. Durch die gute Vernetzung der Aktivisten im Quartier erreichten alle Informationen schnell und unbürokratisch die Bewohner, die ihrerseits in allen Phasen des Projekts die Kontrolle über die Vorgänge in ihrem Quartier behielten.

Bewohner planen ihren Stadtteil

Neben den Verbesserungen in der Sicherheit, der Erschließung und der bauphysikalischen Qualität der Wohnungen ging es den Bewohnern immer auch darum, dass ihr Quartier nicht mehr wie ein Estate des Sozialen Wohnungsbaus aussehen sollte. Durch die Beauftragung von mehreren Architekten und Bauträgern hat sich zwar der Planungsaufwand beträchtlich erhöht, aber gerade die Unterschiedlichkeit der einzelnen Gebäude wirkt dem Eindruck entgegen, dass Angell Town ein Quartier des Sozialen Wohnungsbaus ist. Das Pilotprojekt, der Umbau von »Holles House« und »Warwick House« direkt an der Brixton Road, wurde von Anne Thorne Architects geplant. Das Erscheinungsbild wird auch weiterhin von gelbem Klinker geprägt und auch die Laubengänge existieren noch, wurden aber zum Teil zu Balkonen umgenutzt. Dank neuer Treppenhäuser ist heute jede Wohnung auf nur einem Weg erreichbar und die Bewohner eines Aufganges kennen sich, so dass eine gewisse beiläufige Kontrolle besteht. Die ehemals gemeinschaftlich genutzte Terrasse über den Garagen wurde aufgeteilt und den Wohnungen im ersten Stock zugeschlagen, die auch von hier erschlossen werden und dadurch den Charakter von Reihenhäusern bekommen. Durch die energetische Sanierung der Häuser konnten die Heizkosten um durchschnittlich die Hälfte gesenkt werden.

Ebenfalls von Anne Thorne Architects wurde der Neubau des Ökohauses am Boatemah Walk geplant. Die Bewohner hatten sich für ein Gebäude nach den neuesten ökologischen Standards eingesetzt. Boatemah Walk ist ein dreigeschossiger Holzskelettbau, dessen Dach mit Solarzellen bestückt ist. Außerdem wird das Regenwasser für die Toilettenspülung genutzt. Das Holz für den Bau stammt aus dem zertifizierten nachhaltigen Anbau von Forest Stewardship. Boatemah Walk erhielt den Ecohomes Standard »Excellent«, den höchsten Standard, den es in Großbritannien gibt.

Gestalterisch am auffälligsten ist der Umbau des »Langport House« vom Büro Mode1. Wie bei Holles und Warwick House wurde die Erschließung des fünfgeschossigen Wohngebäudes komplett verändert. Im Souterrain wurden Gewerberäume untergebracht, die Wohnungen im ersten und zweiten Stock wurden zu Maisonetten zusammengelegt, die über den Gewerbeeinheiten große Terrassen haben. Von hier aus kann man einen neu angelegten Park überschauen, der Angell Town mit dem benachbarten Estate verbindet. Die, zu dreigeschossigen Wohnungen zusammengelegten Einheiten über den Maisonetten werden paarweise über neue, weiße Treppentürme mit frei angeordneten Fenstern erschlossen, die dem gesamten Bau ein neues Gesicht geben, das nicht im Geringsten an einen sozialen Wohnungsbau erinnert.

Auf der gegenüberliegenden Seite wurde der Bestand nicht saniert, sondern die Architekten Greenhill Jenner errichteten neue, dreigeschossige Wohnbauten (Iriton und Marston House), die sich auch an der Marcella und der Overton Road finden. Durch Einschnitte und Materialwechsel in der Fassade erinnern sie an frei stehende Stadtvillen oder, so die Intention der Architekten, an traditionelle Londoner Stadthäuser. Mit diesen haben sie auch die ummauerten Vorgärten gemein, die Abstand zur Straße und für die Erdgeschosswohnungen ein Mindestmaß an Privatsphäre schaffen. Die Fassaden sind größtenteils mit Ziegeln verkleidet, dort wo sich die Einschnitte befinden wird Zink und Holz verwendet. So vermeiden die Architekten Monotonie. Neben den Geschosswohnungsbauten gibt es noch einige zweigeschossige Reihenhäuser, die nach demselben Prinzip gestaltet wurden. Obwohl die relativ niedrigen Gebäude einen familiären Maßstab erzeugen, stellt sich die Frage, ob ein weiteres Geschoss wirklich geschadet hätte – Wohnungen, zumal bezahlbare, sind in London sehr knapp, und hier hätten durchaus noch einige zusätzliche entstehen können.

Runderneuerung auf allen Ebenen

Die erwähnten Gebäude sind nicht die einzigen, die im Rahmen der Sanierung grundlegend erneuert wurden. Keines der Bestandsgebäude beließ man in seinem ursprünglichen Zustand, alle Häuser wurden entweder energetisch saniert und mit einer neuen Erschließung versehen oder sogar neu gebaut. Diese Mischung war den Bewohnern wichtig, die weder einen erneuten Totalabriss noch eine Sanierung ohne Neubauten wollten. Doch nicht nur die Gebäude, auch der öffentliche Raum wurde umgestaltet – oder besser gesagt: überhaupt erst geschaffen. Anstatt der Deckerschließung gibt es nun Straßen und Gehwege, die das Quartier selbstverständlich in seine Umgebung einbinden. Sie sind zweckmäßig und ansprechend, aber nicht aufdringlich gestaltet und vor allem gepflegt, was auch daran liegt, dass die Bewohner und insbesondere die Jugendlichen aus dem Quartier an der Gestaltung beteiligt waren und sie nun mit dem entsprechenden Respekt behandeln.

Neben dem bestehenden Ballspielplatz wurde ein großer Kinderspielplatz geschaffen, angesichts der noch immer verhältnismäßig dicht belegten Wohnungen ein absolut notwendiger Bewegungsraum. Die bauliche Erneuerung von Angell Town wurde von Anfang an durch eine »soziale Erneuerung« ergänzt, die auf einer breiten Basis versuchte, die vorhandenen Benachteiligungen der Bewohner abzubauen und zukünftigen Benachteiligungen beispielsweise von Kindern und Jugendlichen frühzeitig entgegenzuwirken. Hierzu wurde von den beteiligten Wohnungsbaugesellschaften eine Quartiersmanagerin eingestellt, deren Stelle mittlerweile leider ausgelaufen ist und die nun schmerzlich vermisst wird, obwohl die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften einen Teil der Angebote weiterhin aufrechterhalten.

Bei allen außergewöhnlichen und modellhaften Aspekten ist Angell Town auch ein ganz gewöhnliches Stadterneuerungsprojekt, das enormen Zwängen unterlag und das Förderrichtlinien einhalten musste. Stadterneuerung im Sozialen Wohnungsbau ist gewissermaßen das Schwarzbrot des Planeralltags. Der Erfolg von Angell Town liegt einerseits im enormen Engagement der Bewohner begründet, die zum Teil wie in einem Vollzeitjob für das Projekt gearbeitet haben, ohne dafür bezahlt worden zu sein, andererseits waren auch die Planer des London Borough of Lambeth engagierter als es für Angestellte der öffentlichen Verwaltung üblich ist. Nicht zuletzt haben die Architekten enorm viel Zeit und Arbeit investiert. Der Erfolg des Projekts mag manchen für seine unbezahlte Arbeit entschädigen, und die vielen Preise, die das Projekt bekommen hat, könnten sich sogar in barer Münze auszahlen. Auf jeden Fall gewonnen haben allerdings die Bewohner, die heute in einem attraktiven, sicheren Quartier leben und an ihrem angestammten Standort bleiben konnten, anstatt in weniger zentral gelegene Wohngebiete verdrängt zu werden. Sie werden hoffentlich auch in Zukunft dafür sorgen, dass Angell Town ein lebenswertes Quartier bleibt. ›


  • Bauherr (bei allen Projekten): London Borough of Lambeth, Family Housing Group (GB)
    Architekten: Anne Thorne Architects Partnership, London; QS Andrew – Turner and Co
    Tragwerksplanung: Dewhurst MacFarlane and Partners
    Haustechnik: Mendick Waring
    Landschaftsplanung: Studio Engleback
    Solardach: Solar Century
  • Architekten: Mode1, London
    Tragwerksplanung: Dewhurst MacFarlane and Partners, London
    Haustechnik: Crawt Simpkins, London
    Landschaftsarchitektur: Planet Earth, London
    Bausumme: 700 000 £
  • Architekten: Greenhill Jenner Architects, London
    Tragwerksplanung, Haustechnik: Arup (Stephen Hyde), London
    Gartengestalter: Cambridge Landscape Architects, Cambridge
    BGF: 13 367 m² 113 neue Wohneinheiten (54 Wohnungen/Maisonetten), 59 Häuser
    Baukosten ohne Honorare: 15,3 Mio. £
    Bauzeit: Januar 2000 bis Sommer 2006
  • Beteiligte Firmen: Dachfenster: Velux, www.VELUX.co.uk
    Zinkdächer: VM Zinc, www.VELUX.co.uk
    Rauchabzüge: Colt International Ltd, Havant, www.VELUX.co.uk

 

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