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Stete Präsenz der Vergangenheit

Berlin: Kirche wird Museum
Stete Präsenz der Vergangenheit

Die Frage, wie leer stehende, von der Gemeinde nicht mehr benötigte Gotteshäuser adäquat umgenutzt werden können, wird sich in Zukunft immer öfter stellen. Nachdem es für die unter Denkmalschutz stehende Eliaskirche in Berlin Prenzlauer Berg bereits Überlegungen gegeben hatte, dort eine Bankfiliale einzurichten, war die Evangelische Kirche sehr erleichtert, als sich die Möglichkeit bot, das Gebäude an das Kinder- und Jugendmuseum zu übergeben. Ein behutsamer Umbau, der zwischen Alt und Neu vermittelt, ist entstanden. The question of the reuse of empty churches, no longer required by their communities, will increasingly present itself in the future. Following plans to install a bank branch in the Elias Church in Prenzlauer Berg, Berlin, the evangelical church authorities were relieved over the possibility of reusing the listed building as a children’s and youth museum. A careful conversion has been achieved, mediating between old and new.

Text: Ulrike Kunkel

Fotos: Wolfgang Bittner, Ulrich Schwarz, Olaf Krüger
Das Problem ist bekannt: Die Zahl der Kirchenmitglieder und Gottesdienstbesucher geht kontinuierlich zurück, die Kirchensteuern ebenfalls. Gemeinden werden zusammengelegt, Kirchen geschlossen, verkauft oder gleich abgerissen. Was die katholisch Deutsche Bischofskonferenz, die sich vor zwei Jahren mit der Umnutzung von Gotteshäusern befasste, noch als Ultima ratio formulierte, ist inzwischen fast alltäglich. Erst Anfang Juli dieses Jahres wurde in einer Hauruck-Aktion der einzige Kirchenbau von Rudolf Schwarz in Berlin abgebrochen; nun sind bereits weitere Sakralbauten bedroht – in Berlin unter anderem die Kirche St. Agnes (1964 – 67) von Werner Düttmann in Kreuzberg. Umso erfreulicher, dass für die leer stehende, sanierungsbedürftige Eliaskirche mit der Umnutzung zum Museum für Kinder nicht nur eine neue, sondern auch eine für alle Seiten akzeptable Nutzung gefunden werden konnte.
Der um 1904 von Fritz Förster errichtete wilhelminische Backsteinbau steht innerhalb der Blockrandbebauung und ist Bestandteil des unter Ensembleschutz stehenden Gebietes »Göhrener Ei«. Unter der Auflage, das Gebäude in Stand zu setzen, wurde es 2001 von der Evangelischen Kirche Berlin an das Kinder- und Jugendmuseum Prenzlauer Berg in Erbpacht, also unkündbar, für die nächsten 75 Jahre – also unkündbar – übergeben. Die Kosten für die Instandsetzung wurden größtenteils aus Mitteln des Programms »Dach und Fach« getragen, die Umbauten überwiegend aus dem Programm »Soziale Stadt« finanziert.
Behutsamer Umbau Nähert man sich der Kirche, deutet kaum etwas auf ihre Umnutzung hin. Auch im Eingangsbereich ist es zunächst nicht die bauliche Veränderung, die auffällt, sondern die ungewöhnliche Raumatmosphäre. Die Idee, die dem Entwurf für den Umbau zugrunde liegt, trägt dem Museumskonzept Rechnung, das dauerhafte Installationen ebenso wie temporäre Ausstellungen und begleitende Workshops vorsieht. Viele der Räume im Erdgeschoss und im Turm sind unverändert geblieben, werden aber als Bibliothek, Seminarraum oder Museumsshop mitgenutzt. Die deutlichsten Eingriffe sind im Kirchenschiff vorgenommen worden, wobei die ursprüngliche Funktion des Gebäudes auch hier stets präsent bleibt. Alle Veränderungen, Um- und Einbauten sind vom Bestand deutlich abgesetzt und stellen immer wieder Bezüge zur vormaligen Bedeutung des Raumes her. So ist zum Beispiel die Empore als solche nicht erhalten, wurde aber von der zusätzlich eingezogenen Ebene aufgenommen. Sichtbar wird dies dadurch, dass für den Fußboden- belag hier Rot und in den erweiterten Bereichen Schwarz gewählt wurde. An vielen Stellen sind die ursprünglichen Farbfassungen des Innenraums beispielhaft freigelegt worden, in einem Bereich sogar noch Reste eines Deckenfreskos zu sehen.
Die Hauptattraktion ist zweifelsohne das zweiteilige, je sieben Meter hohe »Raumregal« auf der neu eingezogenen Ebene, das den Kirchenraum vertikal gliedert. Beide Teile sind über schmale Brücken miteinander verbunden und stehen, lediglich einen schmalen Gang lassend, Rücken an Rücken. Diese Schlucht nimmt die Achse vom Eingang zum ehemaligen Altar auf. Im Erdgeschoss stehen die Regalteile nur auf wenigen Stützen; in vier Meter Höhe verbinden zwei auskragende Flächen die Konstruktion mit der Empore. Die Vorderseiten des Regals öffnen sich zum Kirchenraum hin und sind mit einem Stahlnetz bespannt; dahinter ist die labyrinthische Struktur der Regalelemente mit ihren Stufen, Nischen, Gängen und kleinen Räumen sichtbar. Während die Stahl-Holz-Konstruktion innen vollflächig mit Kiefernholz beplankt ist, sind die geschlossenen Außenseiten sowie die Schnittflächen mit Faserzementplatten verkleidet.
Lernen im Kletterlabyrinth Beim Erklettern und Durchkriechen dieses vertikalen Labyrinths wird – nicht nur für Kinder – »Raum« erfahrbar gemacht. Das »Raumregal« weitet sich auf und verengt sich wieder, in einigen Abschnitten führt der Weg über hohe Stufen, andere Stellen sind fast tunnelartig und können nur auf allen Vieren durchquert werden, raumartige Erweiterungen laden mit Schaukelsitzen zum Verweilen ein. Ausstellungsbegleitend wird das Labyrinth mit wechselnden Exponaten bestückt, so dass die Kinder auf ihrem Weg weitere Entdeckungen machen können. »Erstaunlich ist, wie viel Information von den Kindern aufgenommen wird, obwohl man als Beobachter den Eindruck hat, sie hätten nur im Regal getobt«, erzählt Marie Lorbeer, eine der beiden Museumsleiterinnen. »Und wenn sich die Kinder zu Beginn des Museumsbesuchs erst eine Weile im Kletterregal verausgabt haben, dann arbeiten sie im Anschluss ruhig und konzentriert an den Werkbänken«. Kein ersonnenes Konzept, sondern Erfahrungen, die sich während der Nutzung ergaben, sagt der Architekt Klaus Block. Die Werkbänke, das sind kleine Werkstätten, die wie Werkzeugkisten geöffnet und von der Emporenebene aus benutzt werden.
Im Bereich der Apsis verbinden zwei steile, abgetreppte Tribünen Oben und Unten, Alt und Neu. Sie dienen der Erschließung und sind zugleich Bühne. Die Stufen sind bewusst hoch, Handläufe finden sich lediglich an den Seiten, damit die Kinder die Treppe am besten freihändig, mit Bedacht und Vorsicht überwinden.
Strukturen, Formen und Räume zu schaffen und diese den Kindern erlebbar zu machen, das ist eine außerordentliche Qualität des Entwurfs, der nicht durch »Bärchendekor« vermeintlich kindgerecht sein will. uk
Bauherr: Kinder- und Jugendmuseum Prenzlauer Berg GmbH, Berlin Architekt: Klaus Block, Berlin Mitarbeiter: Bianka Papke, Jan Hennigsen, Anna Jacobsen, Janek Pfeifer, Chantal Cornu, Nico Zachara, Estela Fernandes Rocafull, Rosario Cegara, Mathias Rösner, Michael Zierau Tragwerksplanung: Dierks, Babilon & Voigt, Berlin Haustechnik, Elektroplanung: Torsten Löber, Berlin Lichtplanung: Jürg Steiner, Berlin Brandschutz: Ulrich Drechsler, Berlin Bausumme : 950 Euro/m2 Nutzfläche: 1225 m2 Umbauter Raum: 13 016 m³ Bauzeit: November 2001 – August 2003
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