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In Hamburg wird’s eng

Diskurs
In Hamburg wird’s eng

Zwei Jahrzehnte nach dem Hafenstraßenkonflikt werden in Hamburg wieder Häuser besetzt – doch diesmal wogt eine Welle der Sympathie

~Claas Gefroi

für die Rechtsbrecher durch die Stadt, weil sie sich für eine lebendige, lebenswerte Innenstadt einsetzen. Wie konnte es dazu kommen?
Über Jahre ließ die Stadt zwölf Wohn-, Speicher- und Fabrikgebäude in der Innenstadt – die letzten Reste der einstigen Gängeviertel-Arbeiterquartiere – verfallen. In einem Höchstgebotsverfahren wurden die Bauten zunächst an einen Hamburger Investor vergeben, der jedoch aufgab. Der neue Käufer, die holländische Hanzevast-Gruppe, plant einen Abriss von 80 % der Bausubstanz und maßstabssprengende Neubauten für Komfortwohnungen und Gewerbe. Eine Künstlergruppe mit Malerstar Daniel Richter an der Spitze will mit der Besetzung die Auslöschung dieses unersetzlichen Kleinods in letzter Minute verhindern und es stattdessen sensibel zu einem quirligen Künstler- und Studentenquartier umbauen.
Senat und Bezirk Mitte stehen nicht gut da: Rücksichtslos wie eh und je wird historische Bausubstanz entstellt oder zerstört. Und die Versprechen, die City in eine attraktive Innenstadt mit einem breiten Wohnungsspektrum, vielfältigen Angeboten und urbanen Quartieren zu verwandeln, bleiben Lippenbekenntnisse. Weil ein Masterplan oder Leitbild für die Entwicklung innerhalb des Wallrings fehlen; werden zusammenhanglose Ad-hoc-Entscheidungen gefällt. Besonders fatal ist der selbstauferlegte Zwang, städtische Grundstücke zum höchstmöglichen Preis zu verkaufen. Am Ende zählt nicht das beste Konzept, sondern der kurzfristige Profit. Seit die Gängeviertel-Besetzung diese verfehlte Politik in die Schlagzeilen brachte, ist man um Schadensbegrenzung bemüht: Politiker aus Rathaus und Bezirksamt äußern Verständnis und hoffen insgeheim, dass der momentan klamme Investor die Kaufsumme nicht rechtzeitig überweisen kann und sein Projekt scheitert.
Die vor allem finanziellen Erfolgen verpflichtete Bodenpolitik führt zu einer nahezu flächendeckenden Nachverdichtung der Innenstadt mit Bürohäusern und Luxuswohnungen. Dabei wird wenig Rücksicht auf bedeutsame Bauten oder Stadtansichten genommen: So wird demnächst nahe der alten Hauptkirche St. Katharinen auf dem Gelände einer in die HafenCity verlagerten Schule ein viel zu hoher und dichter Büro- und Wohnhauskomplex errichtet, der den Blick auf die in Teilen aus dem 13. Jahrhundert stammende Kirche größtenteils verstellen wird. Auch hier regt sich Bürgerprotest. Lassen sich für bedrohte historische Bauten Presse und Bevölkerung mobilisieren, so nimmt man die Vernichtung und Verstümmelung von Bauten und Stadträumen der Nachkriegsmoderne eher schulterzuckend zur Kenntnis. Derzeit erhält das Unilever-Hochhaus von Hentrich & Pentschnigg (1964), das der Konzern zugunsten eines Neubaus in der HafenCity verlassen hat, nicht nur eine Komplettentkernung und Aufstockung, sondern auch eine »städtebauliche Arrondierung« durch einen 20 000 m² großen Neubau, wodurch der markante Solitärbau seines freien Umfelds und seiner Fernwirkung beraubt wird.
Der Umbau der aus den fünfziger Jahren stammenden Durchgangsstraße Ost-West-Straße (heute Ludwig-Erhard- und Willy-Brandt-Straße) ist ein weiterer Beleg. Die bereits vom damaligen Oberbaudirektor Egbert Kossak in den 80er Jahren initiierte Umwandlung des offenen, locker bebauten Straßenraums zu einer geschlossenen Straßenschlucht wird am westlichen Ende nun mit dem Riesenkomplex »Wallhöfe« zum Abschluss gebracht, der sich tief in die alten, kleinteiligen Strukturen der Neustadt hineindrängt. Am östlichen Straßenende steht dem Spiegel-Komplex von Werner Kallmorgen aus den 60er Jahren Schlimmes bevor: Wenn das Verlagshaus nächstes Jahr ebenfalls in die HafenCity zieht, wird so richtig nachverdichtet. Vom wunderbaren Zusammenspiel aus flachen Pavillons und aufstrebenden Hochhausscheiben im offenen, fließenden Raum werden lediglich die beiden Hochhäuser übrigbleiben, eingebaut von vier bis zu sieben Geschossen hohen Büro- und Wohnbauten der Wettbewerbssieger RKW. Wie wenig Sensibilität für den Städtebau der Moderne vorhanden ist, zeigt das Lob der Jury für die »blockrandähnliche Struktur« des Entwurfs. Dabei hätte es mit dem Entwurf von Delugan Meissl eine stupende Alternative gegeben, die den Geist Kallmorgens respektiert und in die Gegenwart getragen hätte. Er unterlag, weil die Verfasser in ihrem Entwurf eine geringere Dichte als vom Bauherren gewünscht ansetzten und die geforderten Wohnungen in einem freistehenden Hochhaus unterbringen wollten, was aus Lärmschutzgründen nicht umsetzbar sei. Als ob auf dem verkehrsumtosten Grundstück ruhiges Wohnen möglich wäre. Dass an diesem denkbar ungeeigneten Ort überhaupt 5 000 m² Wohnfläche gebaut werden, ist die absurde Konsequenz einer Politik, die öffentlichkeitswirksam zeigen will, wie sehr sie sich für den Wohnungsbau in der City einsetzt. Und damit nicht genug: auch abseits dieser Großprojekte wird die City peu à peu höchstmöglich verdichtet. Straßenzüge wie Hohe Bleichen, Dammtorwall und Caffamacherreihe sind so stark mit oftmals gesichtslosen und maßstabssprengenden Neubauten und Aufstockungen überformt worden, dass man sie nicht wiedererkennt. Beunruhigend ist es, wie wenig Widerstand der Veränderung des Stadtbilds entgegengesetzt wird. Zumindest die Hamburger Architekten und Stadtplaner, die kraft ihrer Profession die Gefahr ermessen können, müssen endlich ihrer Verantwortung gerecht werden und handeln.
Der Autor ist Pressereferent der Hamburgischen Architektenkammer und freier Autor.
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