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Hochhäuser in Paris – Stadtentwicklung per Machtdemonstration

Diskurs
Hochhäuser in Paris – Stadtentwicklung per Machtdemonstration

Obwohl es in der Pariser Bevölkerung starke Vorbehalte gegen Hochhausprojekte gibt, werden immer mehr Vorschläge für »einzelne und herausragende« Türme oder sogar ganze Gruppen lanciert. Bürgermeister und Staatspräsident überbieten sich gegenseitig mit Ideen und versuchen, das jeweils fortschrittlichste Projekt für sich zu vereinnahmen. Neben praktischen Zielen, wie z. B. der Verknüpfung von Stadt und Vorstadt, geht es ihnen vor allem darum, das Bild von Paris als zeitgenössische Stadt aufzu- werten. Auch zahlreiche Architekten möchten sich in den vermeintlichen Glanz der Symbolprojekte stellen. Die Planungskultur aber droht dabei Schaden zu nehmen.

~Sebastian Niemann

Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeiteten Stadtplaner und Architekten in Frankreich mit Nachdruck an der Realisierung ihrer Hochhausentwürfe: Ganze Quartiere sollten in der als zukunftsorientiert geltenden Bauweise entstehen und den Aufbruch in eine neues gesellschaftliches Zeitalter symbolisieren.
Um der drängenden Wohnungsnot Herr zu werden, wurden ab 1959 großflächig Zonen mit Urbanisierungspriorität (ZUP) eingerichtet – Förderung, Entwicklung und Umsetzung lagen jeweils in einer Hand. Da der menschliche Maßstab im sozialen und räumlichen Sinne dabei nur unzureichend berücksichtigt wurde, führte die von Intellektuellen ausgehende Kritik zu einem Umschwung der öffentlichen Meinung (Beispiel: »Mon Oncle« von Jacques Tati). Diese wurde jedoch von den Fachleuten als irrelevant eingestuft, eine Korrektur der Tabula-Rasa-Planung kam nicht in Frage.
Erst unter dem Eindruck der Anfang der 70er Jahre über das Land hereinbrechenden Wirtschaftskrise und steigender Energiepreise überdachte das zuständige Ministerium schließlich seine Planungsrichtlinien und löste 1973 die ZUPs auf. Ein Jahr später wurde Valéry Giscard d’Estaing zum Präsidenten gewählt, der mit einem moderaten Kurs für sich geworben hatte und in einer seiner ersten Amtshandlungen einen Baustopp für Hochhausprojekte verhängte. So zerplatzten im Jahre 1974 die Hochhaus-Träume der Architekten und zurück blieben zahllose Narben in der Stadtlandschaft; z. B. im 20. Pariser Bezirk, wo die kleinteilige Baustruktur des ehemaligen Vorortes Saint-Blaise durch 15 Wohntürme auf einer dreigeschossigen Parkgarage ersetzt werden sollte. Lediglich zwei der Hochhäuser wurden bis zum Baustopp realisiert, es folgte eine an die traditionelle Stadt anknüpfende Blockstruktur. Bezeichnenderweise setzt sich der zweite vom ersten Bauabschnitt durch einen klaffenden Graben ab, der auf brutale Weise den Paradigmenwechsel der französischen Baukultur vor Augen führt.
Der Wille zum Wandel
Seit Mitte der 70er Jahre wurde in Paris, mit Ausnahme der Büroquartiere La Défense und Front de Seine, kein einziges Hochhausprojekt mehr realisiert. Stattdessen wurde das Image einer historisch geprägten, europäischen Stadt mit traditionellem Städtebau kultiviert. Dadurch gilt Paris unter Touristen zwar als die »schönste Stadt der Welt«, eine besondere wirtschaftliche Dynamik oder gar einen zeitgenössischen Metropolen-Charakter strahlt die Stadtlandschaft hingegen nicht aus. Da sich dies im globalen Wettbewerb der Hauptstädte zunehmend als Problem herausstellt, hat es sich Oberbürgermeister Bertrand Delanoë, seit 2001 im Amt, zum Ziel gesetzt, dieses Defizit zu beseitigen. Mit hoher Geschwindigkeit treibt er die Entwicklung eines neuen Images voran, mit dem die Investoren und Entscheider aus der globalen Wirtschaft in die Stadt gelockt werden sollen. In der Diskussion werden die Rufe nach Hochhäusern immer lauter, da diese von vielen Stadtentwicklern nach wie vor als Symbolträger zukunftsweisender Dynamik und wirtschaftlicher Potenz angesehen werden. Als Vorbilder werden immer wieder Barcelona und natürlich London genannt, die als größte europäische Konkurrenten diesen Imagewandel bereits vollzogen haben – die dabei begangenen Fehler werden ausgeklammert. Weil es in der Öffentlichkeit nach wie vor eine große Ablehnung von Hochhaus-Projekten gibt, muss sich der Oberbürgermeister auf einen politischen Spagat einlassen, mit dem er beiden Seiten, Wirtschaft und Bevölkerung, entgegenzukommen versucht: Noch 2006 wird die in der Hauptstadt geltende Höhenbeschränkung von maximal 37 m in der Neuauflage des Bebauungsplans (PLU) bestätigt. Doch nur ein Jahr später lobt Delanoë einen Ideenwettbewerb unter dem Titel »Hauteurs« aus. Modellprojekte von ausgewählten Architekten sollen die Möglichkeiten zur sensiblen Integration von Hochhäusern in den städtischen Kontext aufzeigen. Zur selben Zeit beginnt unter dem Titel »Paris Demain« eine Veranstaltungskampagne, die den Imagewechsel über sorgfältig ›
› vorbereitete Diskussionsforen vorantreiben soll, bei denen die Hochhaus-Befürworter immer wieder ihre Argumente vortragen: Der andauernde Wohnungsmangel müsse endgültig behoben werden. Die Stadtdichte lasse sich bei geringem Flächenverbrauch erhöhen. Und die fehlenden Verbindungen zu den Vorstädten könnten nur durch symbolträchtige Projekte hergestellt werden. Ökologische Vorteile wie geringer Energieverbrauch und die Möglichkeit zur Nutzungsmischung werden ebenfalls wiederholt aufgeführt. Die aktuelle Ausstellung im Pavillon de l‘Arsenal, der städtischen Architekturvitrine, trägt den Titel »Die Erfindung des europäischen Hochhauses« und stellt den vorläufigen Höhepunkt der Kommunikationsoffensive dar. Die in Paris geführte Diskussion wirft zwei entscheidende, eng miteinander verbundene Kernfragen auf: Wie entsteht das Image einer Stadt und an wen richtet es sich? Die niederländische Soziologin Franziska Bollerey stellt in ihrem Essay »Europäische Metropolen im Wandel« zusammenfassend fest, dass »das Bild von einer Stadt, ihre Reputation, nicht mehr auf Grund der tatsächlichen Qualitäten und charakteristischen Prägungen entsteht, sondern als Marketingprodukt geschaffen wird.« Zudem seien »im Rahmen des interkommunalen Konkurrenzkampfes nahezu alle Gemeinden an einer Stärkung ihres Images interessiert.« Dazu bedienen sich die Städte der Architektur und Stadtplanung, indem sie diese als »Standortfaktoren« instrumentalisieren. Das Image einer Stadt und damit ihre Planungsprämissen werden folglich zunehmend auf die Außendarstellung ausgerichtet und entfernen sich somit von den alltäglichen Lebensbedürfnissen ihrer Bewohner. In diesem Zusammenhang kommt den Hochhäusern und ihrer »Strahlkraft« eine besonders wichtige Rolle zu. Ob deren Akzeptanz in der Pariser Bevölkerung jedoch allein dank aufwendiger Werbemaßnahmen steigen kann, bleibt fraglich, solange die Projekte keinen Beitrag zu einer nachhaltigen Verbesserung der alltäglichen Lebenssituation leisten können. So ist es letztlich nicht verwunderlich, dass die entsprechenden Entwürfe zwar von den Medien bejubelt werden, sich in den betroffenen Quartieren jedoch Bürgerinitiativen gegen deren Realisierung bilden. Zusätzliche Brisanz bekommt die Diskussion, seitdem sich Präsident Sarkozy mit dem Ideenwettbewerb »Le Grand Pari(s)« in die Diskussion eingeschaltet hat: Auch hier gehören atemberaubende Renderings von zukünftigen Hochhausquartieren zum festen Bestandteil der von den Architektenteams präsentierten Ideen für eine Metropole des 21. Jahrhunderts. Z. B. schlägt Jean Nouvel vor, dass sich mystisch funkelnde Hochhäuser um besondere geografische Orte herumgruppieren und als »hauts lieux« die Stadtlandschaft neu prägen sollen. Roland Castro vom Büro Castro Denissof Casi geht sogar noch einen Schritt weiter und spricht in diesem Zusammenhang von »Attraktivitätspolen«, die im Zuge einer grundlegenden Dezentralisierung das kulturelle sowie symbolische Gewicht der Vorstädte manifestieren können. Als Illustration dazu wartet er mit provokant-ironisierenden Collagen von vertikalen Stadtvisionen auf. Dass sich der Präsident höchstpersönlich der Planung seiner Hauptstadt annimmt und er sich dabei in der langen Tradition seiner Vorgänger befindet, könnte durchaus eine erfreuliche Nachricht sein, da es der Bedeutung des Themas gerecht wird. Es entsteht jedoch schnell der Eindruck, dass es in erster Linie nicht um Inhalte geht, sondern darum, die mit der Diskussion über die Hochhäuser entstandene politische und mediale Bühne für sich zu beanspruchen. Zumal der Glanz der Leuchtturmprojekte bis dato nicht nur auf die Hauptstadt, sondern auch auf ihren Bürgermeister, den vermeint- lichen Gegenkandidaten für die Präsidentschaftswahlen 2012, gefallen ist. Des Weiteren spitzt sich die Frage nach einem transparenten und demokratisch legitimierten Planungsverfahren zu, wenn vom »Willen des Präsidenten« die Rede ist und die zuständigen Planungsinstanzen durch handverlesene Sonderkommissionen de facto entmachtet werden. All dies führt letztlich dazu, dass sich die Architekten bei dem Entwurf der Hochhäuser nicht mehr auf eine verlässliche Planungsgrundlage, welche die Frage nach der grundsätzlichen Sinnfälligkeit des Projektes, seiner programmatischen Ausrichtung etc. ausreichend beantwortet hat, stützen können. Da sich die Präsentationen an auswärtige Investoren und nicht an die Einwohner der Stadt richten, ist es nicht verwunderlich, dass sich die Entwürfe zunehmend hinter hochglänzenden Bildern verstecken, statt konkrete Perspektiven für das Stadtleben aufzuzeigen.
Statt ihrer Verantwortung gerecht zu werden und an der Entwicklung von tragfähigen Konzepten mitzuwirken oder diese einzufordern, scheinen sich die Architekten in das Visionäre, d. h. auch das Realitätsferne, der Hochhausprojekte zu flüchten.
Der einleitende historische Rückblick sei den Planern jedoch eine Warnung, auf dass sie sich nicht von den Politikern und Investoren verführen lassen. Um fatalen Fehlentwicklungen entgegenzuwirken, dürfen sie sich der Stimmung in der Bevölkerung nicht verschließen, schließlich kann diese schon bei den nächsten Wahlen einen Kurswechsel in der Politik herbeiführen. •
Der Autor arbeitet als Architekt und freier Journalist in Paris.
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