1 Monat GRATIS testen, danach für nur 6,90€/Monat!
Startseite » Diskurs »

Die Wiener Lust an der Architektur

Diskurs
Die Wiener Lust an der Architektur

In den letzten beiden Jahren haben wir das Angebot der Ausstellungsorte für Architektur in Berlin, München und Hamburg thematisiert. Dieses Mal richtet sich unsere Aufmerksamkeit auf die österreichische Hauptstadt. In Wien hat die Architekturdiskussion einen hohen Stellenwert. Das merkt man sowohl an den zahlreichen Veranstaltungen zum Thema als auch an den vielen Ausstellungsräumen mit unterschied- lichen Schwerpunkten.

~Wojciech Czaja

Die Fachwelt staunte nicht schlecht, als im März 2003 das Kunsthistorische Museum in Wien eine Ausstellung über den spanischen Architekten Santiago Calatrava eröffnete. Kunstgeschichte schön und gut. Aber ausgerechnet Calatrava? »Seine Bauwerke lassen sich nicht ignorieren«, sagte der damalige KHM-Direktor Wilfried Seipel. Mit seinen Gedankenexperimenten durchbreche Calatrava nicht nur die Grenzen der Konventionen, nein, es gelänge ihm viel mehr, Kunst und Natur auf gänzlich neue, ja geradezu auf geniale Weise zu vereinen. Die Architektenwelt zeigte sich von diesen Aussagen unbeeindruckt. Die Schau »Santiago Calatrava – Wie ein Vogel« blieb im KHM ein einmaliger Ausrutscher.
Ohne Zweifel ist der Bedarf an Ausstellungsräumen zum Thema Architektur in Wien bereits gedeckt. Neben den rund zehn Museen, Zentren und Galerien, die permanent oder zumindest regelmäßig Architektur ausstellen, gibt es noch eine Vielzahl an Orten, an denen immer wieder Vorträge und Podiumsdiskussionen stattfinden.
Marktführer und unangefochtene Kompetenzstelle Nummer eins ist das Architekturzentrum Wien (Az W) unter der Leitung von Dietmar Steiner. Gegründet im Jahr 1993 verfügt es nicht nur über die besten Kontakte ins Ausland, sondern auch über die größte Bibliothek und das größte Werksarchiv namhafter österreichischer Architekten. Größen wie etwa Friedrich Achleitner oder der kürzlich verstorbene Bogdan Bogdanovic’ haben dem Zentrum jeweils ihre gesamte Notiz- und Zeichnungssammlung vermacht. Nicht zuletzt ist das Az W ein wichtiger Partner der österreichischen Online-Datenbank nextroom.
»Unser Angebot ist das umfassendste in ganz Wien«, sagt die zuständige Programmdirektorin Katharina Ritter. »Wir sind nicht nur das mehr oder weniger einzige österreichische Architekturmuseum, sondern leiten einen Betrieb, der auf den vier Säulen Präsentieren, Diskutieren, Publizieren und Archivieren basiert.« Während die Ausstellungen langfristig konzipiert werden müssen, könne das begleitende Rahmenprogramm in Form von Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Architekturführungen auf aktuelle Tendenzen und Geschehnisse reagieren.
Das Publikum ist gemischt. Auf die durchschnittlich 80 000 Besucher pro Jahr entfallen Ritters Schätzungen zufolge rund 40 000 Architekten und Fachleute und ebenso viele Touristen und kulturinteressierte Laien. Die Dauerausstellung a_schau, die einen Querschnitt durch die österreichische Architektur des 20. und 21. Jahrhunderts bietet, ziehe vor allem Schulklassen und Studenten an. »Im Detail hängt die Publikumsmischung natürlich stark vom Thema ab«, so Ritter. »Fachausstellungen und Retrospektiven finden Anklang bei Architekten und Historikern, breiter konzipierte Ausstellungen mit einem sozialen oder lifestylishen Schwerpunkt wiederum sprechen eher die Laien an. Wir bemühen uns, mit unseren großen Wechselausstellungen ein breites Spektrum abzudecken.«
Auch in puncto Finanzen ist das Az W die mit Abstand am besten aufgestellte Architekturräumlichkeit ganz Österreichs. Derzeit belaufen sich die Subventionen auf rund 1,8 Mio. Euro pro Jahr. Davon zahlen 80 % die Stadt Wien und 20 % der Bund. Hinzu kommt eine weitere Mio. an selbst erwirtschafteten Geldern in Form von Sponsoring, Partnerschaften und Einnahmen durch Eintritte und Buchverkäufe. Mit der vor einigen Jahren gegründeten Architecture-Lounge, die es einigen wenigen, erlauchten Persönlichkeiten aus der Bau- und Privatwirtschaft ermöglicht, sich in den Räumen des Az W regelmäßig zu treffen und sich über Business-Themen auszutauschen, werden weitere Summen erlöst.
orientierung nach Osten
Den anderen architektonischen Ausstellungsräumen in Wien ist im direkten Vergleich mit dem Az W geradezu die Blässe ins Gesicht geschrieben. »Von solchen Summen und solchen Besucherzahlen können wir nur träumen«, sagt etwa Adolph Stiller, der seit 1998 den Ausstellungsraum im Ringturm betreut. Als freier Mitarbeiter des Hausherrn Wiener Städtische Versicherung AG kuratierte der Architekturhistoriker bisher knapp 50 Ausstellungen. Die Schauen sind mit großer Sorgfalt zusammengestellt und gewähren einen Blick hinter Kulissen und Klischees. »Natürlich sickert bei den Ausstellungen das Interesse des Auftraggebers durch. Die Wiener Städtische will vermehrt in den ost- und südosteuropäischen Raum vordringen und veranschaulicht diese Expansion, indem sie die Baukultur des jeweiligen Landes vorstellt.« Die Besucherzahlen variieren zwischen 1 000 und 7 000 pro Ausstellung, genauere Angaben gebe es nicht. Großes Manko des Ringturms ist, dass die Öffnungszeiten der Ausstellung mit denen des Bürobetriebs zusammenfallen. Das Jahresbudget beläuft sich im Schnitt auf 250 000 Euro und wird fast zur Gänze von der Vienna Insurance Group getragen. Nur selten gibt es zusätzliche Sponsoringgelder oder Subventionen vom Bund.
Auch die Planungswerkstatt Wien, nur einen Katzensprung vom Rathaus entfernt, zeigt durchschnittlich drei große Architekturausstellungen pro Jahr, wenngleich der Fokus der stadtnahen Institution eindeutig auf stadtplanerischen Themen liegt. Kein Wunder, ist die Hausherrin dieser Räume doch die kommunale Magistratsabteilung für Stadtentwicklung und Stadtplanung . »Unser Fokus ist ganz simpel«, sagt Wolfgang Dvorak, Leiter des Referats für Öffentlichkeitsarbeit. »Wir möchten die Zusammenhänge zwischen Kommunalpolitik, Stadtentwicklung und Architektur aufzeigen und das Thema so aufbereiten, dass ein interessierter Wiener bei uns Informationen darüber bekommt, was sich in dieser Stadt gerade tut und wie sich Wien in den nächsten Jahren weiterentwickeln wird.«
Das gesamte Jahresbudget von rund 500 000 Euro wird komplett von der Stadt Wien getragen. Auf Sponsorengelder ist die Planungswerkstatt nicht angewiesen. Die Besucherzahlen sind ähnlich wie im Ringturm, allerdings befinden sich unter den 70 bis 100 Personen, die pro Tag gezählt werden, immer wieder auch Schulklassen. Dvorak: »Komplexe Themen wie Stadtentwicklung und Architektur so zu behandeln, dass Fachleute etwas Neues erfahren, dass aber auch Laien und Kinder mit der Materie etwas anfangen können, ist keine leichte Aufgabe. Ich denke, wir bewegen uns auf einem guten Niveau, das für alle verständlich ist.« ›
Zu Gast bei der Kunst
Eindeutig künstlerischer und komplexer im historischen Zusammenhang sind die Ausstellungen im Wien Museum sowie im Museum für Angewandte Kunst (MAK). Während das Wien Museum stets um regionale Bezüge bemüht ist, arbeitet das MAK mit internationalen Archi- tekten zusammen. Gezeigt werden keine monographischen Werkschauen, sondern Installationen, die eigens für das MAK konzipiert werden. Aufsehenerregend und medial entsprechend gut rezipiert waren etwa die beiden Aus- stellungen »Zaha Hadid – Architektur« (2003) sowie »Peter Eisenman – Barfuß auf weiß glühenden Mauern« (2004-05). Was die Besucherzahlen und Operationsbudgets betrifft, hüllt man sich in diskretes Schweigen.
Abgerundet wird das Spektrum der architekturaffinen Ausstellungshäuser von jenen Institutionen, die sich entweder nur sehr unregelmäßig dem Bauen widmen oder in denen nur höchst selten überhaupt eine Ausstellung gezeigt wird. Dazu zählen etwa die Otto-Wagner-Postsparkasse am Ring, der project space der Kunsthalle Wien am Karlsplatz, das von der Österreichischen Gesellschaft für Architektur (ÖGFA) verwaltete Wittgensteinhaus in Wien-Landstraße sowie das Zumtobel Lichtforum in der Nähe des Stephansdoms. Der Schauraum des Vorarlberger Konzerns wird gelegentlich umgebaut und macht Platz für die eine oder andere Architekturschau. Hier ist man auf Kooperationen mit Universitäten und anderen Partnern angewiesen, da das Budget mit 20 000 Euro pro Ausstellung sehr klein dimensioniert ist.
Eine absolute Sonderstellung nimmt der OFROOM in Wien-Leopoldstadt ein. Die Ausstellungen des 450 m² großen Raums – einst Speisesaal des renommierten Hotel National, später eine Wäscherei, schließlich 10 Jahre leerstehend – richtet sich ausschließlich an Architekten, Fachplaner, Handwerker und private Bauherren. Gezeigt werden nicht etwa architektonische Projekte, sondern neue und innovative Produkte und Materialien aus der Baustoffbranche.
Die Produzenten mieten einzelne Ausstellungsplatten oder ganze Kojen an. Die Besucher können einen Teil der Ausstellung gratis betreten oder entrichten, falls sie an einer Begehung in vollem Umfang interessiert sind, einen jährlichen Mitgliedsbeitrag von 300 Euro. Eine Erstberatung durch die materialkompetente Kuratorin Chris-tine Bärnthaler ist in diesem Preis inbegriffen. Nach einem Konkurs im Sommer 2009 wurde der OFROOM im Mai dieses Jahres neu eröffnet.
In Wien finden sich für jeden Architektursuchenden passende Angebote. Geht es nach dem Architekturzentrum Wien, soll es schon demnächst mehr davon geben. Das Az W will seine Räumlichkeiten im Museumsquartier aufgeben und ins nahe gelegene Semper-Depot ziehen. Das ehemalige Bühnenbau- und Werkstättengebäude, 1874-77 nach Plänen von Gottfried Semper und Karl Hasenauer errichtet, liegt nur wenige hundert Meter entfernt, in einem etwas stilleren, aber von der Kreativbranche hoch geschätzen Quartier. Derzeit beheimatet das Semper-Depot Werkstätten und Ateliers der Akademie der Bildenden Künste. Der Mietvertrag ist unbefristet. Das Az W zeigt sich von diesem Umstand jedoch unbeeindruckt. Auf Youtube kann man bereits einen netten, neunminütigen Trickfilm sehen, der zeigt, wie es samt Möbel und Archiv in einen Lkw gestopft und ins Semper-Depot übersiedelt wird. Vielleicht bleibt von dieser Vision mehr als nur ein flüchtiger Flügelschlag eines architekturbegeisterten Vogels. •
Aktuelles Heft
Titelbild db deutsche bauzeitung 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
MeistgelesenNeueste Artikel
3 Saint Gobain Glass
Eclaz

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de