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Bahn-Debakel

Diskurs
Bahn-Debakel

Die Bahn ist ein schlechter Bauherr und ein nachlässiger Denkmal-Eigentümer. Die einst angekündigte

~Ira Mazzoni

Renaissance der Bahnhöfe bleibt Utopie. Nach Berlin und Stuttgart gab es im Mai auch in München Stunk. Der Stadtrat bedachte den Vorstandsvorsitzenden der DB Station & Service, André Zeug, mit Buhrufen, als dieser im Rathaus bekannt gab, den im Wettbewerb erstplatzierten Entwurf aus Kostengründen nicht zu realisieren. Vor sieben Jahren hatten Auer+Weber die beste Antwort darauf geliefert, wie mit dem Hauptempfangsgebäude des Münchner Hauptbahnhofs samt Vorplatz umzugehen sei. Stattdessen präsentierte der Bauherr nun die im eigenen Büro entwickelten Pläne, die alle »öffentlichen« Bereiche beschneiden und dafür aber an Shops und Büros festhalten. Ein Einkaufszentrum der billigsten Art mitten in der Stadt, wenige Gehminuten von Stachus und Fußgängerzone entfernt? Das darf sich die Stadt, das dürfen sich die nahen Immobilien-Eigentümer nicht bieten lassen. Aber sie haben wenig Einflussmöglichkeiten, einen unwilligen Bauherrn zur Architektur zu zwingen. Wenig Gutes verhieß der Kommentar des Oberbürgermeisters, der seine Stadträte gegenüber der Süddeutschen Zeitung maßregelte: »Die Bahn müsse aber als Großinvestor betrachtet und auch entsprechend umworben werden« (SZ Lokales 21.5.2011). Es folgte im Juli ein persönliches Gespräch zwischen Oberbürgermeister Christian Ude und dem Technikvorstand der Bahn, Volker Kefer. Ergebnis: Die Bahn will nun doch zusammen mit Auer+Weber versuchen, eine Lösung zu finden. Man darf auf das Architektur-Spar-Paket gespannt sein. Bis zum Herbst soll dann auch der Bund entschieden haben, ob er zum Bau der zweiten S-Bahn-Stammstrecke 1 Mrd. Euro beisteuert. Denn der Einstieg zum S-Bahn-Tiefgeschoss kann nur gelingen, wenn die Bahn die alte Schalterhalle abreißt und die Bahn kann ihre neue Empfangshalle nur bauen, wenn das Zugangsbauwerk der S-Bahn fertiggestellt ist. Es gibt also noch eine Menge Unwägbarkeiten, bei dem Versuch den Münchner Hauptbahnhof zukunftsschnittig und marktgerecht zu gestalten. Nach dem Scheitern der Münchner Olympia-Bewerbung für die Winterspiele 2018 fehlt jedenfalls der Termindruck. Und so könnten die Kompromiss-Verhandlungen irgendwann im Sande verlaufen.
Richtig geliebt hat die Bahn den Auer+Weber-Entwurf nie. Trotz der mehrheitlichen Empfehlung der Jury hielt sie sich 2004 eine Option offen, das gläserne Kaufhaus-Modell von Gewers Kühn und Kühn, Berlin, zu realisieren. Es sei wirtschaftlicher als der abgehobene Baukörper von Auer+Weber (s. db 4/2004, S. 30). Zur Erinnerung: Beim Bau des neuen Hauptbahnhofs wird fast Unmögliches verlangt: Der Grund unter und um den Bahnhof herum ist vollgestopft mit U- und S-Bahnröhren, Rolltreppen, Parkdecks und Zwischengeschossen. Die Tragwerksgründung des Neubaus wird so zu einer echten Herausforderung. In 42 m Tiefe soll die zweite Stammstrecke der S-Bahn verlegt werden. Aus diesem Schacht sollen Reisende bei Tageslicht (!) auf möglichst direktem Weg zu den Fernbahngleisen geleitet werden. Eine halbe Millionen Fahrgäste pro Tag werden schätzungsweise die Ebenen dieses Verkehrsknotenpunkts durchkreuzen. Ihre Sicherheit muss umfänglich gewährleistet sein. Die gesetzlichen Anforderungen sind seit 2004 enorm gewachsen. Sperrige Treppeneinbauten auf dem Querbahnsteig verbieten sich bei einer solch hoch frequentierten Passage. Ein Grund warum Auer+Weber die Gastronomie in den auskragenden Dachaufbau verlegten, der dem neuen Bahnhof sein charakteristisches Profil geben sollte. Doch von diesem Riesen-Luxus-Liner muss man jetzt wohl Abschied nehmen. Eine Kompromisslösung auf schwierigem Grund wird kaum die Kraft des ursprünglichen Entwurfs ausstrahlen. Die Stadt muss sich aber weiterhin konsequent jeder Annäherung an Kaufhaus-Architektur verweigern.
Die Lösung des Problems? Ein neuer Architekturwettbewerb unter neuen Voraussetzungen? Vielleicht. In jedem Fall müsste die Stadt Alternativen und Notwendigkeiten einer zweiten Stammstrecke prüfen. Und dann sollte man dem bestehenden Hauptbahnhof, der in den Jahren 1950-63 sukzessive den kriegsbeschädigten Bürklein-Bau des 19. Jahrhunderts vereinnahmte und verdrängte, nochmals eines unsentimentalen, vorurteilsfreien, historischen Blicks würdigen. Obwohl im Planungsprozess vieles schief ging, obwohl auch damals die Bundesbahndirektion zum Fassadenwettbewerb überredet werden musste, obwohl es trotz 126 Einreichungen keinen Sieger geben durfte und schließlich der bahninterne Architekt Heinrich Geibel mit dem Abriss der funktionstüchtigen Bürklein-Halle und dem Neubau beauftragt wurde, besitzt dieser Stahlskelettbau mit seiner vorgehängten Leichtmetallfassade und dem indirekt beleuchteten Vordach durchaus Eleganz. Das Relief von Rupprecht Geiger über dem Haupteingang will jetzt sogar die Bahn erhalten. Inzwischen dürfte es kein Problem sein, diesem Bau Denkmaleigenschaften zu bescheinigen. Eine Restaurierung nach allen Regeln der Kunst könnte München zu einer einmaligen Adresse verhelfen. Der Bahnhof bliebe Bahnhof mit weitläufiger Schalterhalle und verkäme nicht zum Kaufhaus. Die Bahn verdient mit dieser Immobilie schon jetzt mehr als in anderen Städten, wo zweigeschossige Malls in die Querbahnsteige eingelassen wurden. Dass der Bahnhofsvorplatz aufgeräumt wird, ist schon beschlossene Sache; autofrei und ohne Schwellen kann er in naher Zukunft erstmals als Stadt-Platz erlebt werden. Im Zwischengeschoss hat das Büro Auer+ Weber im Auftrag der städtischen Verkehrsbetriebe schon mit der Neugestaltung der Verbindungswege begonnen. Nach architektonischen Maßstäben entrümpelt, könnte auch das Gemeinschaftswerk von Fritz Geiger, Heinrich Gerbel, Franz Hart und der Bundesbahndirektion München neue Wertschätzung erfahren. Vielleicht gibt es ausnahmsweise doch eine Bahnhofs-Renaissance.
Die Autorin ist freie Journalistin und schreibt u. a. für die Süddeutsche Zeitung und die ZEIT.
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