Als Kind war ich oft in Tschechien, respektive in der ČSSR, der späteren Tschechoslowakei. Meist habe ich auf der Rückbank unseres Ford Taunus geschlafen, den ganzen Weg von Wien nach Polen und wieder zurück. Doch an einem ganz bestimmten Punkt auf der Strecke hatten meine Eltern den Auftrag, den hinten schlafenden Wojtek zu wecken, und zwar immer dann, wenn wir dabei waren, Brno zu passieren. Brno hat mich immer schon fasziniert. Die großen Schneisen im Stadtrand, die schönen Straßen im Zentrum, die futuristischen, oben weit auskragenden, in Beton gegossenen Sowjetträume, ein Stück gebautes Übermorgen aus der Sicht von gestern, die rot-beigen Tatra-Straßenbahnen, Modell T3, Baujahr 1960, wie längliche Ufos auf verrosteten Schienen, und dann erst die Trolleybusse, Hybride aus Bus und Tram, wie elektrische Hunde an der Himmelsleine durch die Stadt rollend. Man wird älter, man studiert Architektur, man schärft den Blick auf das Gedachte und Erbaute. Und irgendwann fragt man sich, warum die tschechische Baukultur in all ihren Epochen, so kalt und dunkel sie auch gewesen sein mögen, nie ihre visionäre Kraft, nie ihren Glauben an eine formbare Zukunft verloren hat. Mit diesem Heft begeben wir uns auf die Suche nach Antworten – und erfahren, was das alles mit dem braven Soldaten Šwejk zu tun hat. ~Wojciech Czaja
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