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Platz an der Wupper, scape und arntz erke architekten

Alles im Fluss
Platz an der Wupper in Wuppertal

Wuppertal hat die Innenstadt auf den Kopf gestellt. Jetzt sind die Autos unten und die Menschen oben, es ist sicherer, unmittelbarer und übervoll mit Angeboten. Der Platz an der Wupper ist das letzte Steinchen im großen Puzzle. Er macht einen Durchgang zum Ort und lädt im geschäftigen Treiben zum einfach mal Nichtstun ein.

Landschaftsarchitektur: scape Landschaftsarchitekten
Architektur: arntz erke architekten

Kritik: Uta Winterhager
Fotos: Gereon Holtschneider, Kurt Keil/WZ (historisches Foto)

Wuppertal ist dicht, die Stadt liegt – der Name sagt es – im Tal der Wupper, an deren Ufern ihre außergewöhnliche Industriegeschichte begann. Textil, Metall und später Chemie wurden hier produziert und verarbeitet. Das hat die Stadt reich gemacht und die Kultur gefördert. Für den Verkehr wurde die topografisch bedingte Enge zunehmend zur Herausforderung, einerseits hat sie mit der Schwebebahn eine außergewöhnlich smarte Lösung hervorgebracht, andererseits hat der Wiederaufbau nach dem Krieg sich stark an der Vision der autogerechten Stadt orientiert. Der Döppersberg wurde zum wichtigsten Verkehrsknotenpunkt der Stadt. Hauptbahnhof, Schwebebahnstation und Busbahnhof bildeten ein dichtes Infrastrukturgeflecht, das von der parallel zur Wupper liegenden vierspurigen B7 zerschnitten wurde. Zur kreuzungsfreien Verknüpfung und Anbindung des Elberfelder Zentrums ließ die Stadt 1961 einen 150 m langen Fußgängertunnel unter der Bundesallee hindurch bauen. Zunächst war der ein Vorzeigeprojekt, es gab Läden, Lokale und viele Neonröhren, Rampen überwanden die Höhendifferenz barrierefrei. Heute weiß man, dass Tunnel und Unterführungen für Fußgänger keine dauerhaft guten Lösungen sind. Von Leerstand, mangelnder Sauberkeit und Wartung einmal angestoßen, war die Abwärtsspirale nicht mehr aufzuhalten. Die Gesamtsituation zwischen Hauptbahnhof und Fußgängerzone war nicht mehr länger tragbar, sodass die Stadt Wuppertal 2004 den städtebaulichen Ideen- und Realisierungswettbewerb »Neugestaltung Döppersberg« auslobte. Realisiert wurde die mit dem 1. Preis ausgezeichnete Arbeit von JSWD (Köln) mit RMP Stephan Lenzen Landschaftsarchitektur (Bonn) und BSV (Aachen). Das 15 ha große Planungsgebiet wurde seit 2010 vollkommen neu organisiert: die B7 6 m tiefer gelegt und mit einer bebauten Fußgängerbrücke teilweise gedeckelt, der Busbahnhof neben den Hauptbahnhof gelegt, eine Mall und Parkdecks in den Hang gesetzt, ein Investorensolitär (Chapman Taylor, Düsseldorf) gebaut und ein Bahnhofsvorplatz mit Stadtbalkon angelegt. Mit der Umgestaltung des schmalen Streifens zwischen Wupper und B7 zum Platz an der Wupper ist nun der grüne Schlussstein gesetzt worden.

Mit dem Strom

Für das rund 2 500 m² große Teilgebiet hatte die Stadt 2018 einen nichtoffenen Wettbewerb ausgelobt und den mit dem 2. Preis ausgezeichneten Entwurf von arntz erke architekten (Wuppertal) und scape Landschaftsarchitekten (Düsseldorf) umgesetzt. Die haben ihre Idee eines »hybriden Platzes« mit maximaler Urbanität interpretiert, damit der öffentliche Raum den baulichen und räumlichen Gegebenheiten des Ortes und den unterschiedlichen Nutzergruppen und ihren Bedürfnissen gerecht werden kann. Der neue »Wupperpark«, so der offizielle von der Stadt verwendete Name, liegt erhöht zwischen dem Ufer der kanalisierten Wupper und der tiefer gelegenen Bundesstraße. Über der Wupper steht das Tragwerk der Schwebebahn in der Grätsche, im 3-Minuten-Takt quietschen und rumpeln die Bahnen vorbei. Mit dem Fluss und dem Fließen des Verkehrs bekommt der Park seine Laufrichtung. Im Westen schließt er schwellenlos an die Fußgängerzone an, im Osten an die neunspurige Morianstraße, deren Strömen er sich entgegenstellt. Das Planerteam machte das Fließen zum Thema und entwarf den Platz als Flussbett, in dem Pavillons, Grün und Mobiliar – rundgewaschen und locker über die Fläche verteilt wie Kieselsteine – einen Platz gefunden haben. Der größere der beiden eingeschossigen Pavillons, den sich Stadtinformation und Café 23 teilen, liegt mit seiner Stirnseite präsent an der Fußgängerzone, rechts und links bleiben Durchgänge zum Platz offen. Der zweite Pavillon liegt etwas eingerückt an der Morianstraße. Hier galt es, für das Café Cosa, einer vom Jobcenter Wuppertal unterstützten Anlaufstelle für Drogenabhängige, die richtige Balance zwischen Diskretion und Sichtbarkeit zu finden, um nach intensiven Diskussionen zwischen Bürgerschaft und Politik einen für alle sicheren Ort zu schaffen. Einen weiteren Fixpunkt zwischen den Pavillons bildet ein Treppenabgang, der den Club Open Ground, der in den unter dem Platz liegenden ehemaligen Luftschutzbunker eingezogen ist, über einen Lichthof erschließt.

Gemeinsam unter Bäumen sitzen

Zur Bepflanzung des Platzes, der zu großen Teilen auf dem Dach jenes Luftschutzbunkers und einer Tiefgarage liegt, entwarfen scape Landschaftsarchitekten sechs unterschiedlich große Vegetationsinseln. Mit dem zusätzlichen, sanft modellierten Bodenaufbau bieten sie sowohl für die beiden erhaltenen Platanen als auch für die Neupflanzungen von mehrstämmigen Zelkoven und einer Schlitzblättrigen Erle optimalen Wuchsraum. In Form von leicht unregelmäßigen, abgerundeten Dreiecken liegen sie im Durchgang zwischen Fußgängerzone und Morianstraße sowie um den Abgang zum Club. In gleicher Art gestaltet sind auch zwei schmale Hochbeete entlang der Brüstung zur B7, der darin mehrere Meter hoch wachsende Bambus blendet den Verkehr aus, ohne dem Raum die Weite zu nehmen.

Die Fließrichtung der Passantenströme ist im Boden mit hellen Asphaltbändern nachgezeichnet. Die Inseln bremsen den Bewegungsfluss, ohne ihn zu unterbinden, sie sind mehr Einladung zum Bleiben als Hindernis. Um jede Insel liegt eine Graniteinfassung, die Kante ist mit einem großzügigen Radius gerundet, die Höhen bewegen sich stufenlos zwischen Bordstein und Bank. Jedes Segment wurde im spanischen Steinbruch individuell gefertigt, so waren beim Zusammenfügen auf der Baustelle nur kleinere Steinmetzarbeiten notwendig. An der jeweils höheren Seite der vier größeren Inseln sind hölzerne Sitzflächen und Lehnen eingepasst. Das Mobiliar wird zum integralen Teil der urbanen Landschaft, die solide Materialität und die handwerkliche Herstellung geben ihm eine wertige, gut alternde Erscheinung, die sich auch im Alltag als robust erweist. In der Auslobung waren Sitzgelegenheiten für mindestens 80 Personen gefordert, die die Inselränder mühelos bieten können. Gut gelungen ist diese Lösung auch, weil sie Störung und Konflikte schon mit planerischen Mitteln – dazu gehört auch ein sensibles Lichtkonzept – vermeidet und für die unterschiedlichen Gruppen, die hier auf knappem Raum aufeinandertreffen, gleichwertige und offen gestaltete Orte zum Aufenthalt anbietet. Auch visuell findet man hier Ruhe, wohltuend ist das Bild aus wenigen, sorgsam gefügten Materialien und Oberflächen im Zusammenspiel mit dem in der Stadt so kostbaren Grün.

Man sieht sich

Besonderen Wert legt die Stadt darauf, dass im »Wupperpark« eine Promenade entlang des Ufers geführt wird. Denn obwohl der Fluss sich 30 km lang durch das Stadtgebiet schlängelt und eine so entscheidende Rolle in ihrem Werden und Wirken gespielt hat, sind seine Ufer nur an sehr wenigen Stellen begehbar und erlebbar. So bleibt die Uferkante hier frei von Einbauten, das nach historischem Vorbild gefertigte Geländer ist Wuppertaler Standard. Der Boden mit einer Deckschicht aus Natursplitt auf Asphalt ist widerstandsfähig und im Straßenbau erprobt. Hier zeigt sich jedoch im Gebrauch, dass die helle Oberfläche sehr schmutzanfällig ist und den Feinstaub der Straße förmlich anzuziehen scheint. Mit regelmäßiger Reinigung lässt sich dieses vorrangig ästhetische Problem aber lösen.

Beide Cafés haben große Schaufenster, doch die sind einander nicht zugewandt. Auf der einen Seite gibt es Kaffee für ein paar Cent, man kann gebrauchte Spritzen gegen frische tauschen, sich aufwärmen und aus der eigenen Flasche trinken. Tagsüber ist die Toilette geöffnet, nachts nicht – ein Problem, das die Stadt noch lösen muss. Auf der anderen Seite gibt es Joghurt mit Früchten, Kaffee mit Hafermilch und selbst gebackenen Kuchen, das Publikum von jung bis alt, mit Babys, Laptops und Einkaufstaschen. Der Platz selbst, der für 1,2 Mio. Euro realisiert wurde, ist ein konsumfreier Raum, wie er in den Innenstädten kaum noch zu finden ist. »Das Besondere am Platz an der Wupper ist, dass mit dem Konzept auch für die marginalisierten Gruppen ein Ort geschaffen wurde«, sagt Hiltrud Lintel, geschäftsführende Gesellschafterin von scape. Dazu gehört schon eine Menge Optimismus, aber ohne Regeln für das Miteinander, konsequente Pflege und Instandhaltung wird es nicht gehen. Doch der Platz tut, was er kann, indem er offen für alle ist.


Unsere Autorin Uta Winterhager ist Fan der Wuppertaler Schwebebahn und freute sich sehr, dass der kleine Park das große Hin und Her in der Höhe so wunderbar in Szene setzt. Dazu gab es Kaffee und Rosinenbrötchen – es wäre so perfekt gewesen, hätte es nicht mal wieder geregnet.


  • Standort: Bundesallee 199, 42103 Wuppertal

    Bauherrschaft: Stadt Wuppertal
    Projektsteuerung: Hasselmann und Müller Planungsgesellschaft, Kassel
    Landschaftsarchitektur: scape Landschaftsarchitekten, Düsseldorf
    TGA-Planung: TGA Kiep & Braun, Wuppertal
    Lichtplanung Außenanlagen: burkhard wand – lichtplanung, Hamburg
    Entwässerungsplanung: Dr. Pecher AG, Erkrath
    Gesamtfläche Wupperpark: ca. 3 520 m²
    Baukosten Außenanlagen: ca. 1,2 Mio. Euro (gesamt, netto)
    Fertigstellung: Dezember 2022
    Architektur Pavillons und Club: arntz erke architekten, Wuppertal
    Tragwerksplanung: IGM Ingenieurgesellschaft Mitzenheim, Hückeswagen
    HLS-Planung: TGA Kiep & Braun, Wuppertal
    Elektroplanung: Ingenieurbüro für Elektrotechnik Holger Schlenz, Wuppertal
    Bodengutachten: IGW Ingenieurgesellschaft für Geotechnik, Wuppertal
    Brandschutzsachverständige: Dipl.-Ing. Anke Löbbert, Wuppertal
    Nutzfläche Pavillons (netto): ca. 635 m²
  • Baukosten (KG 300+400, netto): ca. 3 250,- Euro/m² NF
  • Beteiligte Firmen:
    Ausführung Freianlagen: Jakob Leonhards Söhne, www.leonhards.de
    Natursteinlieferung : Heinz Alfs, https://alfs.de
    Farbasphalt: Kutter Spezialstraßenbau, www.kutter-spezial.de
    Lichtmasten: Olivio, Selux, www.selux.com
    Bepflanzung: Baumschule Ebben, www.ebben.nl/de

scape Landschaftsarchitekten


Matthias Funk

1989-91 Physikstudium an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. 1991-97 Studium der Landschaftsarchitektur an der Universität Hannover. 1996 Sommerschule am Bauhaus, Dessau. 1996-2001 Mitarbeit bei Lohaus Carl Landschaftsarchitekten, Hannover und bei Davids, Terfrüchte + Partner, Essen. Seit 2001 Büro mit Hiltrud Maria Lintel und Rainer Sachse.


Hiltrud Maria Lintel

Studium der Landschaftsarchitektur an der Universität Hannover und Wien. 1996-99 Mitarbeit im Atelier Schrechenberg + Partner, Bremen und bei Drecker, Bottrop. 1999-2001 Mitarbeit bei VISTA Bureau voor landschapsarchitectuur + ecologie, Amsterdam. Seit 2001 Büro mit Matthias Funk und Rainer Sachse.


Rainer Sachse

1989-96 Studium der Landschaftsarchitektur an der Universität Hannover und der University of Massachusetts, Boston. 1996-2001 Mitarbeit bei Lohaus Carl Landschaftsarchitekten, Hannover; DTP Landschaftsarchitekten, Essen und Kontor Freiraumplanung, Hamburg. 2001 Honorarprofessur an der Jade Hochschule, Oldenburg. Seit 2001 Büro mit Matthias Funk und Hiltrud Maria Lintel. Seit 2013 Professur an der Hochschule Nürtingen-Geislingen.


arntz erke architekten


Volker Arntz

Architekturstudium an der Bergische Universität Wuppertal, 1996 Diplom. 1996-2001 Mitarbeit bei Baucoop Köln Prof. Mandler, Köln. 2001 eigenes Büro. Seit 2017 Büro mit Holger Erke.


Holger Erke

Architekturstudium an der Bergische Universität Wuppertal, 1996 Diplom. Aufbaustudium, Diplom 1999. Mitarbeit u. a. bei Gerber und Partner, Dortmund und Baucoop Köln Prof. Mandler, Köln. Seit 2017 Büro mit Volker Arntz.


Uta Winterhager

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