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Wohnwende in einer nachhaltigen Bauwende

Weniger kommunizieren?
Weniger kommunizieren?

Weniger kommunizieren?
Bauen oder nicht bauen, Abbildung: werk.um, Darmstadt
»Seit Jahren bemühen wir uns in unserem Architektenalltag, jede Tonne CO2 zu sparen – und nun will die Ampelkoalition wirklich jedes Jahr 400 000 Wohneinheiten neu bauen?«

~Christine Fritzenwallner

So begann vor einem Jahr ein Schreiben an Bauministerin Geywitz, das sie vom Büro werk.um erhielt (lesen Sie hier den db-Kommentar zum Offenen Brief von werk.um) und sie dazu veranlasste, die Architekten zu einem Gespräch einzuladen. Zusammen mit ihr, zwei Mitarbeitern aus dem Ministerium sowie Rainer Nagel von der Baukultur-Stiftung tauschte sich werk.um im Anschluss online darüber aus, wie sich, ohne immer nur neu zu bauen, mehr Wohnraum allein durch eine bessere Bestandsnutzung aktivieren und sich die Wohnflächeneffizienz erhöhen ließe. Die Möglichkeiten demonstrierten die seit Jahren mit diesen Themen beschäftigten Planer anhand einiger Beispiele aus ihrem Alltag. Zugleich unterstrichen sie aber ihre These, dass Suffizienz ohne veränderte Rahmenbedingungen seitens der Politik nicht den »notwendigen Stellenwert in den Klimaschutzzielen bekommen wird«. Schließlich ist der immer weiter steigende Flächenkonsum tatsächlich kaum zu bremsen. Daher nannten sie auch gleich zehn Ansätze in Richtung einer Wohnflächenoptimierung, u. a. aus den Bereichen Baurecht, Förderbanken oder CO2-Bepreisung.

Den Fachexperten aus dem BMVBS dürften derlei Vorschläge nicht völlig neu sein. Ähnliche Forderungen erreichten sie schon mit dem »Haus der Erde«, dem »Bauhaus der Erde«, der Petition und »MusterUMbauordnung« der Architects for Future, der »charter for the city and the earth« oder dem »Abrissmoratorium«. Nur, dass die Umsetzungen große Hürden bergen – v. a. unter wechselnden Parteifarben – und sich nun noch der Übeltäter Wohnflächenverbrauch/Person hinzugesellt. Dieser fand bisher lediglich im »Zehn-Punkte-Plan für flächensparendes Wohnen« von Daniel Fuhrhop Beachtung oder wird von Wissenschaftlern unter die Lupe genommen, die errechnen, wie viel wir uns noch hinsichtlich der Einhaltung der Klimaschutzziele erlauben dürften (ca. 41 m², was dem Verbrauch von 2004 entspricht).

Aber zurück zum lohnenswerten Ansatz, aktiv zu werden: Um in noch größerer Runde das Angesprochene zu vertiefen, ließ Geywitz die geplante Vorstellung des jüngsten Baukulturberichts in einen ganzen »Tag der Umbaukultur« erweitern und auch dazu einladen. Allerdings zeigte sich in dortiger wie auch in anderen Gesprächsrunden einmal mehr, wie schwer das Thema der Suffizienz beim Bauen ohne vorherige Einführung und einer gewissen Aufgeschlossenheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu vermitteln ist. Wie wenige diesem Nachhaltigkeitsbaustein vertrauen, wie leichtfertig sie eine Flächenreduktion mit Verzicht gleichsetzen oder, im krassesten Fall beim bayerischen Wohnprojektetag 2022 geschehen, sogar mit Kommunismus in Verbindung bringen – anstelle in derlei Ansätzen sowohl Chancen als auch die absolute Notwendigkeit zu erkennen. Denn würde der Wohnflächenverbrauch bis 2030 weiter so steigen wie bisher, rechnet werk.um vor, verschlänge alleine dieser Mehrkonsum 400 000 Wohnungen/Jahr – genau die Zahl, die bereits jetzt in der aktuellen Wohnungsnot mindestens benötigt, aber nicht erreicht wird. Folglich kann eine nachhaltige Bauwende nur parallel zu einer Wohnwende gelingen – und der Appell, diese anzugehen, liegt nahe. Nicht zwangsläufig allein durch eine Architektenschaft, deren Honorar sich immer noch über Bauumfang und -kosten bemisst, sondern in erster Linie durch die Politik. Doch geht es um Wähler, hört man in der Regel auf, unangenehme Wahrheiten auszusprechen: Zu kostbar jede Stimme, zu gefürchtet ihr Verlust. Zu empört vor Jahren die Aufschreie nach der Kantinen-Veggie-Day-Idee, zu zahlreich inzwischen die Hetz-Tweets in sozialen Netzwerken bei jedem kleinen Bisschen, was nur annähernd wie Bevormundung klingen könnte. Obendrein bieten Medien gerne Hinz und Kunz eine Talkshow-Bühne, auf der diese vernünftige, aber unbeliebte Ansätze verunglimpfend kommentieren oder absichtlich missverstehen. Den steigenden Flächenkonsum als Problem zu thematisieren, das wagt Geywitz dennoch immer wieder. Ein erstaunlicher Vorstoß. Im Sommer 2022 erntete sie dafür nicht nur die erwartbaren Reaktionen aus den Reihen der politischen Kontrahenten, sondern von der BILD auch die Überschrift »Quadratmeter-Schreck«.

Was also tun, um einer verantwortungsvollen, politischen Rolle gerecht zu werden? Auch unter den eingangs zitierten zehn Ansätzen lautete einer, die »passende Rhetorik finden und in die Gesellschaft tragen«. Doch was, wenn bei Verkündung des beabsichtigten Weniger und ungeachtet bester, positiver Kommunikation, unbeabsichtigt Trotz im Bürgertum ausbricht, eine unberechtigte Angst vor Veränderung?

Vielleicht hilft ein Blick in eine andere Welt: Eltern, deren Kinder noch zu klein sind, um Zusammenhänge zu verstehen, sprechen ihre Gedanken, taktisch klug, nicht laut aus. Sie erreichen ihre Ziele bzw. eine Verhaltensänderung auf leise Weise, mit Anreizen und Belohnungen, Verständnis-Zeigen, Ablenkung oder anderen Ideen. Um die Klima-unsensible Masse nicht unnötig zu erregen, wäre es dementsprechend vermutlich schlauer, alle möglichen Maßnahmen für eine durchschnittliche Wohnflächenreduktion – die der oder die Einzelne letztlich nicht mal spüren wird – zunächst im Stillen vorzubereiten: die notwendigen Weichen für eine Wende (hin zum erträglichen 2004er-Niveau) so gut es geht öffentlichkeitsfern zu stellen, dann einen reibungslosen Fahrplan mit hübschem Titel zu präsentieren und ihn schließlich rasch umzusetzen. Die Rolle rückwärts, sie könnte leise rollen und vielleicht gerade dann gelingen.

Die Autorin und ehemalige db-Redakteurin lebt und arbeitet als freischaffende Journalistin in Stuttgart und begleitet werk.um inhaltlich beim Thema Suffizienz.

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