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Zwangssanierung von Altbauten?

Das große Ziel ist außer Reichweite
Das grosse Ziel ist ausser Reichweite

Das grosse Ziel ist ausser Reichweite
Die EU-weite Sanierungspflicht für Altbauten ist vom Tisch, stattdessen bleibt es den Ländern überlassen, Maßnahmen und Anreize für Sanierungen zu schaffen, Foto: Jürgen Fälchle – stock.adobe.com
Wenn sich die Institutionen in Brüssel einigen, hebt man in den Mitgliedsländern die Augenbrauen. Was kommt da auf uns zu?

~Falk Jaeger

Kürzlich ging es um die Zwangssanierung von Altbauten. In einem Trilogverfahren haben sich Chefunterhändler von Kommission, Parlament und Ministerrat im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens über die Novelle der Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden geeinigt. Wie es bei Kompromissen so üblich ist, wurden die Vorschriften entschärft.

Der Knackpunkt: Besitzerinnen und Besitzer alter Wohngebäude mit schlechten Dämmwerten sollten ausnahmslos verpflichtet sein, ihre Gebäude innerhalb von wenigen Jahren mindestens auf das Niveau der Energieklasse D zu bringen. (Die Klassifizierungen lieferte der Gesetzesvorschlag der EU gleich mit). Die für EU-Verhältnisse glasklare Regelung ist vom Tisch. Insbesondere Hauseigentümer:innen, denen die Mittel fehlen, ihre Häuser zu sanieren, oder solche, die auf Vorschriften und Zwänge generell allergisch reagieren, werden aufatmen.

Stattdessen müssen Einzelstaaten den Energieverbrauch des Bestands bis 2030 pauschal um 16 % und bis 2035 um 20 bis 22 % senken, davon 55 % der Einsparungen bei den Gebäuden mit den schlechtesten Energiestandards. Wie sie das deichseln, bleibt ihnen überlassen. Das Individuum tritt also aus dem Fokus, die Gemeinschaft soll es richten.

Wem damit geholfen ist, bleibt unklar. Die einfache, unmissverständliche, und, weil aus Brüssel, hierzulande nicht weiter verhandelbare Regelung muss durch nationale Vorschriften ersetzt werden.

Es ist absehbar: Anstatt alle Anstrengungen zu unternehmen, für jene Hilfen zu organisieren, denen es schwerfällt, der Sanierungspflicht nachzukommen, werden zwischen, Bund, Ländern und Verbänden, zwischen Parteien und Interessengruppen komplizierte Kompromisslösungen ausgehandelt werden, die höchstens ein weiteres Verdichten des Vorschriftendschungels bewirken werden. Das Szenario für die Protestparteien ist angerichtet.

Manche ziehen in Zweifel, dass die Bauwirtschaft überhaupt in der Lage sein wird, den Auftragsboom zu bewältigen, und befürchten (auch) deshalb enorme Preissteigerungen. Insbesondere der Heizungs-Installationssektor ist mit den anstehenden Aufgaben überfordert. Sämtliche Sanitärbetriebe wären eigentlich damit über viele Jahre ausgelastet, ausschließlich Heizungen auszutauschen. Aber dann ist noch kein neues Haus ausgerüstet, ist kein Bad installiert, keine Toilette repariert. Weder kann die Industrie hinreichend Kollektortechnik und Wärmepumpen liefern, noch haben die Installateure das notwendige Fachpersonal. Im Gegenteil, die Fachkräfte werden immer weniger.

Doch es gibt noch andere Baustellen auf dem Weg zum Nullemissionsbauwesen. Denn nur gut die Hälfte der Emissionen entfällt auf den Gebäudebetrieb. Ungleich schwieriger, weil nicht mit »einfachen« Gesetzen zu verordnen, ist die Minderung der Emissionen in der Herstellungs- und Rückbauphase.

Auch das Normierungswesen hinkt den technischen Entwicklungen neuer Baustoffe, Konstruktionsweisen und Recyclingmethoden hinterher. Einzig die Bauverwaltungen arbeiten effektiv, die Baumaßnahmen aufgrund fehlender Nachweise und Genehmigungen be- oder verhindern.

Und wer richtet eigentlich sein Augenmerk auf das Transportaufkommen? Das hat das Bauwesen in den Zuständigkeitsbereich des Verkehrsministers ausgelagert. Nur selten ist es im Fokus jener Akteure, die sich um die Emissionen im Bauwesen kümmern. Dabei machen Transportvorgänge bei der Rohstoffgewinnung über die Produktion und die Verteilung von Baustoffen und letztlich beim Abriss einen erheblichen Anteil am Emissionsaufkommen aus. Werner Sobek hat ausgerechnet, dass ein Betonmischer pro gefahrenem Kilometer so viel CO2 emittiert, wie 100 ausgewachsene Bäume am Tag binden. 12 t Marmor von Carrara nach Düsseldorf speditieren, egalisiert die Arbeit von 7 800 Bäumen! Fazit: Regionale Baustoffe müssen bevorzugt werden. Schienentransport, der 70–95 % weniger Emissionen verursacht, ist geboten.

Allein der Baumülltourismus kreuz und quer durch Europa hat für den Normalbürger unvorstellbare Ausmaße angenommen. Wenn Abrissschutt mangels örtlicher Deponie- oder Recycelmöglichkeiten nach Polen und Tschechien gekarrt wird, verhagelt das nicht nur die Emissionsbilanz einzelner Bauvorhaben, sondern schädigt die Umwelt auf vielfältige Weise.

Das Transportwesen ist nur ein Beispiel, das aber zeigt, welch vielfältige politische und administrative Anstrengungen nötig sind, um das große Ziel Emissionsbilanz null zu erreichen.

Fachleute wie Werner Sobek nehmen die blauäugigen Verdrängungsmechanismen der Politik und der Gesellschaft aufs Korn und rechnen knallhart vor, dass die Klimaziele längst außer Reichweite gerückt sind (nachzulesen in seiner bei avedition erschienenen, bislang zweibändigen non-nobis-Trilogie). Einige seiner Szenarien für die nähere und fernere Zukunft sind nur noch düster und hoffnungslos. Aber er wird nicht müde, gangbare oder notwendige Wege aufzuzeigen. Etwas anderes bleibt uns ohnehin nicht übrig.

Der Autor lebt und arbeitet als freier Architekturkritiker in Berlin

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