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Eine kritische Auseinandersetzung mit der Informationsflut auf der diesjährigen Architekturbiennale

Architekturbiennale 2023 in Venedig
Architektur ausstellen ist nicht einfach

~Falk Jaeger

Alle zwei Jahre setzen sich 300.000 Besucher der Architekturbiennale Venedig einem Information Overkill aus. 27 Länderpavillons, 50 weitere nationale Beiträge und 89 Teilnehmer an der zentralen Ausstellung sowie mehr als 70 Ausstellungsorte in Venedigs Gassengewirr außerhalb der eigentlichen Biennalegelände Giardini und Arsenale. Niemand hat die Chance, alle aufzusuchen, geschweige denn alle Inhalte zu studieren (auch die Jury nicht).

Mehr oder weniger ziellos vagabundieren die Besucher übers Gelände. Jeder fragt den anderen nach seinen Eindrücken und nach seinen favorisierten Pavillons. So versucht man die Spreu vom Weizen zu trennen, die wichtigsten Orte gesehen zu haben, um bei den Meetings am Abend mitreden zu können. Auch Medienvertreter, die sich mühen, einen Überblick zu vermitteln und vielleicht so etwas wie eine Bewertung abgeben wollen, leben von zufälligen Trouvaillen. Entweder diszipliniert ein Riesenpensum abspulen, oder die Gelegenheit nutzen und sich in interessante Gespräche mit aus aller Welt angereisten Architekturgrößen verlieren – in diesem Zwiespalt stecken sie.

Was die Sache für Fach- und Laienpublikum erschwert, ist die Tatsache, dass die Ausstellung und Kuratoren keine professionellen Museumsleute sind. Wie offeriere ich meine Botschaft an Ausstellungsbesucher? Das ist die Kardinalfrage. Meist fehlt das Vermögen, sich in den zunächst unkundigen Besucher hineinzufühlen, um ihm Inhalte vermitteln zu können. Oft fehlt den Ausstellenden offenkundig die Lust, sich darüber überhaupt Gedanken zu machen. Sie sind so tief in ihre Passion, ihre Ideen und ihr Engagement verstrickt, dass sie ganz fassungslos sind, wenn das, was sie da in Schaubildern, Tabellen, kryptischen Texten und unkommentierten Fotos epochal Bedeutendes herzeigen, den Besucher nicht auf Anhieb gleichermaßen fesselt und überzeugt. Dabei versucht der Besucher sich erst einmal grob zu orientieren, festzustellen, aus welchem Erdteil, welcher Region, welcher Stadt die Protagonisten kommen. Das hat man nämlich vergessen, irgendwo anzuschreiben. Und dann, welches Problem sie haben und lösen wollen. Ob sie es überhaupt lösen wollen, und wenn, womit. Manche Beiträge erscheinen auf den ersten Blick so verwirrend, unübersichtlich, unattraktiv, unästhetisch, dass es kein Wunder ist, wenn Besucher drei Sekunden den Blick schweifen lassen, kehrt machen und sich dem nächsten zuwenden. Dann war die ganze Arbeit umsonst.

Vielfach wird nicht die fundamentalste, für Ausstellungen jeglicher Art obligatorische Verständnishilfe angeboten, die Texttafel am Eingang, die in wenigen, rasch zu überfliegenden, leicht verständlichen Sätzen Basisinformationen gibt, die es dem Besucher erlaubt, sich zu entscheiden, ob er Interesse hat, sich den Beitrag näher anzusehen. Weitere Texte können dann tiefer eingehen. Eine Wegeführung ist hilfreich, die statt ziellosem Schlendern einen Rundgang mit logischer Abfolge bietet, sodass die Botschaft des Beitrags erfasst werden kann.

Dass sich der irische Pavillon mit der Suche nach Hy-Brasil, einer legendären Fantominsel beschäftigt, die der Sage nach nur alle sieben Jahre für einen Tag aus dem Nebel steigt, werden nur sehr wenige Besucher mitkriegen. Stellvertretend für Hy-Brasil werden drei abgelegene Inselchen vorgestellt, deren Topographie, deren Lebensverhältnisse, Kultur und Mythen, »eine immersive Erfahrung, die zwischen dem Lokalen und dem Territorialen, dem Mikro- und dem Makrobereich wechselt, um die implizite Intelligenz dieser bemerkenswerten Orte deutlich zu machen«, heißt es. Paradiesische bukolische Lebenswelten jenseits der Hyperzivilisation also, von denen wir lernen sollen. Das ästhetisch ansprechend präsentierte didaktische Programm rings um das Inselmodell aus schwarzer Schafwolle könnte den Besucher mit seiner Informationsfülle einen ganzen Tag beschäftigen. Der jedoch eilt weiter.

Da hat es der belgische Pavillon, ein anderes Extrem, leichter. Ein einziger Aspekt, Pilze als ein Baustoff der Zukunft, lässt sich mit wenig Text, ein paar anschaulichen Demoexperimenten und einem aus Holz gebauten und mit Pilztafeln bekleideten Raum, der wie eine heilige Cella im Zentrum des Pavillons steht, problemlos vermitteln. Das ist plausibel, wunderbar ästhetisch anzuschauen und deshalb bleibt der Pavillon als einer der wenigen in Erinnerung.

Insgesamt aber schaffen es die wenigsten Pavillons, dem durch Informationsüberflutung ermüdeten Publikum wenigstens einen oberflächlichen Eindruck von ihrer Botschaft zu vermitteln. Verdienstvollerweise wird dies wenigstens im Guide Book der Biennale versucht, das im immergleichen Schema angibt, wer ausstellt, um welchen Ort es geht, und in drei, vier Sätzen erläutert, welche Problematik oder welche Aufgabe angesprochen wird und was zu sehen ist. Zumindest als Erinnerungshilfe nach zwei Tagen Biennale-Marathon ist er sehr hilfreich.

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