1 Monat GRATIS testen, danach für nur 6,90€/Monat!
Startseite » Architektur » Wohnungsbau »

Lichtfang im dorfkern

Erweiterungsbau eines Wohnhauses in Soest (NL)
Lichtfang im dorfkern

Im alten Dorfkern von Soest nahe Utrecht errichtete das Amsterdamer Architekturbüro einen Gartenpavillon, der einerseits sensibel auf seinen Standort reagiert, ihm andererseits aber die kalte Schulter zeigt. Offiziell als Scheune deklariert, dient er als Erweiterung eines zum Wohnhaus umfunktionierten historischen Altenstifts.

    • Architekten: rooijakkers + tomesen architecten Tragwerksplanung: Ingenieursbüro Boorsma

  • Text: Anneke Bokern Fotos: Luuk Kramer
Soest ist ein Ort zwischen Utrecht und Amersfoort auf einem Ausläufer des Utrechter Hügelrückens. Bereits im Jahr 1029 wurde das Dorf, dessen Bewohner im Mittelalter größtenteils Bauern und Torfstecher waren, urkundlich erwähnt. Im 20. Jahrhundert stieg die Einwohnerzahl von Soest sprunghaft an: zunächst durch Eingemeindungen, dann durch den Neubau von Sozialwohnungssiedlungen in der Nachkriegszeit und Reihenhaussiedlungen in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Gab es um 1900 gerade einmal 4700 Soester, so zählt die Gemeinde heute etwa 45 000 Einwohner und hat ihren dörflichen Charakter weitgehend verloren. Der lauschige alte Dorfkern mit der gotischen Kirche im Mittelpunkt existiert zwar noch, ist jedoch weit an den östlichen Rand der Gemeinde gerückt. Sein Dorfbild und ein Großteil der alten Gebäude, die das »Kirchenviertel« ausmachen, stehen unter Denkmalschutz.
Wie in vielen Dörfern im Einzugsbereich des Ballungsraums Randstad, wurden die meisten ehemals öffentlichen Gebäude in Oud-Soest inzwischen zu Wohnhäusern umfunktioniert. So auch das frühere »Alte Männer- und Frauenhaus«, das 1782 als Altenstift errichtet wurde. Heute wohnt dort die Familie eines Zahnarztes und einer Unternehmensberaterin. Und wie so oft, genügte ihnen der Wohnraum im alten Gebäude auf Dauer nicht. Ihre Versuche, einen Ausbau des Hauses genehmigen zu lassen, scheiterten jedoch immer wieder am Protest der Nachbarn und am Denkmalschutzamt. Die Bauherrin ist die Schwester des Architekten Bjarne Mastenbroek (früher de architectengroep, heute SeArch), der einige Entwürfe für den Umbau ausarbeitete. Nach mehreren Anläufen überließ er den sensiblen Auftrag jedoch seinem ehemaligen Mitarbeiter Paddy Tomesen, der seit ›
› 2001 gemeinsam mit Theo Rooijakkers ein eigenes Büro in Amsterdam führt. Statt eines Umbaus schlug Rooijakkers vor, zwei Scheunen im Garten abzureißen und an ihrer Stelle einen freistehenden, hölzernen Pavillon zu errichten. Dessen Umfang durfte den einer Scheune nicht überschreiten, so dass die Architekten eines der zwei Geschosse unter die Erde verlegten, um auf eine Nutzfläche von insgesamt etwa 100 Quadratmetern zu kommen. Die Auftraggeber waren zufrieden, die Nachbarn immerhin geteilter Meinung. Nun galt es nur noch, die Mitarbeiter des Denkmalamtes für den Entwurf zu gewinnen, denn wie in den Niederlanden üblich, gab es nur wenige festgeschriebene Bauregeln, vieles beruhte auf persönlicher Überzeugungskraft. Letztlich ließen die Beamten sich unter anderem, wie Tomesen grinsend erzählt, durch ein speziell angefertigtes Modell »im Märklin-Stil« erweichen: Der Bau des Pavillons wurde genehmigt.
Die Scheune, die eine Wohnung ist
Im Inneren des Holzbaus befindet sich eigentlich eine komplette Wohnung, inklusive Küche und Bad. Genutzt wird sie allerdings als Atelier, Orangerie und Abstellraum und offiziell musste sie sogar als Scheune deklariert werden, um die Baugenehmigung zu erhalten. Holz ist zweifelsfrei das Hauptthema des Gebäudes: Abgesehen vom Kellergeschoss, wurde der Pavillon ganz aus sibirischem Lärchenholz errichtet, das teils massiv, teils in Form von Laminat oder Furnier verwendet wurde. Nur das Souterrain besteht aus Beton, aber auch dort kehrt das Thema Holz zumindest optisch in der Brettschalungsstruktur der unverputzten Wände wieder.
Die Konstruktion des Gartenhauses besteht aus 15 Rahmenbindern, die in einem Raster von 90 Zentimetern platziert wurden und ein Pultdach tragen. Zur Straße und zur Hecke hin, die das Grundstück im Norden von dem des Nachbarn trennen, erhielt das Haus je eine geschlossene Wand aus Multiplexplatten, die die Konstruktion aussteifen. Darüber ist außen eine Verkleidung aus überlappenden, ungeschliffenen Lärchenbrettern angebracht, die an die Stulpschalung traditioneller niederländischer Scheunen erinnert. Einziger Unterschied ist, dass die Bretter hier nicht geteert, sondern schwarz gestrichen sind. Die Seiten des Gebäudes, die für die Anwohner sichtbar sind, unterscheiden sich also auf den ersten Blick so gut wie gar nicht von den alten Scheunen, die auf mehreren Grundstücken in Oud-Soest stehen. Nähert man sich dem Gebäude jedoch vom Garten her, ist es kaum wiederzuerkennen. Während die Straßenfassaden völlig geschlossen und sehr rau sind, öffnet sich der Bau zum Garten ›
› und bietet einen leichtfüßigen, eleganten, ganz und gar nicht rustikalen Anblick. Das liegt nicht nur an der Glasfassade mit schlanken Holzsprossen, sondern auch daran, dass der Bau ein Stück über dem Erdboden zu schweben scheint. Denn quer über das Souterrain haben die Architekten 25 Zentimeter dicke Balken gelegt, die den Geschossboden tragen, und die Zwischenräume zwischen Balken und Betonwänden verglast. Vor allem nachts verwandeln sich diese Fensterchen auf Fußniveau in einen etwas zurückliegenden Leuchtstreifen, der das Gebäude optisch abheben lässt.
An der Südseite des Baus ragen die Balken über die Betonwanne hinaus und tragen eine überdachte Terrasse, die eine Übergangszone zwischen Innen- und Außenraum schafft. Als Sicht- und Sonnenschutz wurden sechs Schiebepaneele aus vertikalen Holzlatten vor der Glasfassade angebracht, die einzeln bewegt werden können aber kaum die Hälfte der Fassadenfläche bedecken. Es bleibt ein halboffenes, wintergartenähnliches Gebäude, das als modernes Gegenstück zum schweren, historischen »Alte Männer- und Frauenhaus« erscheint.
Licht durchflutet
Im Inneren des Hauses befindet sich im Wesentlichen in jedem Geschoss ein großer, offener Raum, in dem ein Kern steht, durch den sämtliche Leitungen laufen und der auch die Treppe aufnimmt. Sowohl im Ober- als auch im Untergeschoss lässt sich der Raum mittels zweier Schiebetüren ›
› in Höhe des Kerns unterteilen. Während das Obergeschoss auch innen rundum lärchenholzverkleidet ist, sind die Wände im Souterrain weiß gestrichen. Dort wird ein weiterer Effekt der Fensterbänder zwischen den Balken deutlich: Sie sorgen dafür, dass viel Tageslicht eindringen kann, so dass kein frösteliges Kellergefühl aufkommt, sondern eher ein intimer Wohnraum entsteht. Im Obergeschoss wurden außerdem zwischen den Pfosten der geschlossenen Fassadenseiten die Zwischenräume im Boden verglast, so dass ein Bezug zwischen den beiden Geschossen entsteht und am Abend indirektes Licht aus dem Souterrain nach oben dringt.
Solch liebevolle Details machen die Qualitäten des Gartenpavillons aus, den die Architekten als »Light Catcher« (Lichtfang) bezeichnen. Man kann dem Gebäude – seiner Formensprache, aber vor allem den für niederländische Verhältnisse unglaublich aufwendigen Details – auf den ersten Blick ansehen, dass Paddy Tomesen mehrere Jahre in Japan studiert und gearbeitet hat. Gleichzeitig schließt es in seiner Handwerklichkeit und mit seinen natürlichen Materialien an den alten Dorfzusammenhang an, ohne sich bei den historischen Gebäuden in der Umgebung anzubiedern. Im Gegenteil: Eigentlich zeigt es dem Dorf die kalte »Stulpschalungs-Schulter«, während es für seine Besitzer den Blick auf den gotischen Kirchturm von Soest, den Garten und das dahinter liegende Deichvorland so großzügig wie möglich in Szene setzt.


  • Bauherr: Familie Steendelaar-Mastenbroek
    Architekten: rooijakkers + tomesen architecten, Amsterdam
    Tragwerksplanung: Ingenieursbüro Boorsma, Leusden
    Ausführung: Bauunternehmen T. J. van de Belt, Leusden
    Bauzeit: 2005 bis Mai 2006 Volumen (inkl. Terrasse): 415 m³ Hauptnutzfläche: 90 m²
Aktuelles Heft
Titelbild db deutsche bauzeitung 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
MeistgelesenNeueste Artikel

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de