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Siedlung Ochsensteige in Ulm von antoniol+huber+partner

Wohnungsbau
… in die Jahre gekommen Siedlung Ochsensteige in Ulm

Für die Bebauung des Eselsbergs im Ulmer Nordwesten entwickelte das Schweizer Architekturbüro antoniol+huber+partner zwischen 1988 und 93 mit der Siedlung Ochsensteige ein Quartier, das der speziellen Topografie Rechnung trägt. Die terrassenartig angelegten Reihenhauszeilen mit integrierten Etagenwohnungen werden über Spielstraßen verkehrsfrei erschlossen. Das einstige Pilotprojekt mit seiner zeitlosen Gestaltung hat sich bis heute bewährt – eine »weiße Wand«, in Würde ergraut.

Architekten: antoniol+huber+partner

Kritik: Claudia Siegele
Fotos: Martin Duckek, Jürg Zimmermann, antoniol+huber+partner

1993

Betongrau und strahlendes Weiß – das sind bis heute die dominierenden Farben der Siedlung Ochsensteige am Südhang des Eselsbergs in Ulm, eingebettet in einem grünen Passepartout, das im Lauf der Jahrzehnte in Gärten, an Balkonen und in den Wohngassen gewachsen ist. Wer hier wohnt, braucht erstens einen wirklich triftigen Grund, wieder wegzuziehen, und hat zweitens überhaupt keine Veranlassung, sein Haus oder seine Wohnung mit Accessoires aus dem Baumarkt aufzuhübschen. Die Qualität der Anlage ist seit ihrer Fertigstellung in den frühen 90er Jahren ungebrochen hoch, weshalb Bewohnerfluktuation in den Reihenhäusern und Etagenwohnungen eher ein Fremdwort denn gelebter Alltag ist.

Fernblick auf allen Ebenen

Die Schweizer Architekten Rene Antoniol und Karl Huber haben sich mit ihrem Entwurf dreier Gebäudegruppen, die parallel zum Hang über verkehrsfreie Gassen und Plätze erschlossen und bespielt werden, die Topografie zu ihrem Verbündeten gemacht. Breite Grünzonen durchfließen und zerteilen das Areal, was die Bewohner die Dichte der Struktur wenig spüren lässt. Gleiches bewirken die freien Ausblicke über die benachbarten Zeilen aufgrund der hanglagebedingten Höhenstaffelung – sowohl die Zeilenabstände als auch die Kubatur der Gebäude haben die Architekten diesbezüglich optimiert.

Hinzu kommt, dass sich die Topografie förmlich in die Grundrisse hineinfrisst: Die schmal geschnittenen Reihenhäuser in drei verschiedenen Breiten (4,25 m, 5,00 m und 5,75 m) klettern entlang ihrer Längsseite über vier Geschosse den Eselsberg hinauf – den Treppen kommen sowohl in den Häusern als auch in der Außenanlage eine zentrale Bedeutung für die Erschließung zu. Die Höhenunterschiede zwischen den Gassen schwanken zwischen 5 und 6 m, insgesamt überwinden die drei Wohnzeilen einschließlich dem zuunterst gelegenen Kopfbau mit öffentlichem Café von der Heilmeyersteige bis zur Ochsensteige rund 21 m. Da muss man sich schon konzentrieren, will man beim Erklimmen des Wohnhangs alle Stufen der Freitreppen zählen.

Hohe Wohnqualität auch in der Vertikalen

Eigentlich war die Erschließung des Geländes samt Überbauungsplan schon beschlossene Sache, als antoniol+huber+partner ihrem Auftraggeber, der Ulmer Wohnungs- und Siedlungs-Gesellschaft (UWS), die Entwurfsidee vorlegten. Das Konzept der sanft gestaffelten Gebäudezeilen mit den dazugehörigen Wegen und minimalisierten Zufahrten verbannte die vorherige Lösung mit Satteldächern rasch in die Schublade. Zumal die dreigeschossigen Reihenhäuser die atemberaubende Aussicht in pure Wohnqualität umzumünzen verstehen. Der Gipfel dieses genius loci sind die Dachterrassen, jeweils erschlossen über einen kleinen aufgesetzten »Ausguck« mit Abstellkammer für die Sonnenstühle. Von hier oben zeichnet sich bei klarer Luft am Horizont gar die Alpenkette ab. Diese topografiebedingten Vorzüge sprechen für die hohe Identifikation mit dem Quartier, ebenso wie die durchdachten Grundrisse, die ihre Qualitäten auch in der Vertikalen ausspielen: Da wären z. B. die optimale Besonnung aller Geschosse, die zahlreichen Balkone und Freibereiche, flexibel gestaltbare Garten- und Eingangsgeschosse dank verschiedener Hausbreiten und zweier Treppenvarianten sowie das sogenannte Durchwohnen, auch über die Geschosse hinweg.

Gemeinschaft ohne Gemeinschaftsraum

Charmant ist zudem die wohl dosierte Durchmischung von klassischem Sozialwohnungsbau mit 45 Etagenwohnungen einerseits und 47 Reihenhäusern andererseits, die sowohl zur Miete als auch zum Kauf dem freien Wohnungsmarkt überlassen sind. Bis heute ist es indes nicht so einfach, in der Siedlung Ochsensteige eine Wohnung oder gar eines der begehrten Reihenhäuser zu ergattern – im Schnitt wechselt alle zwei Jahre mal ein Haus den Besitzer. Auch die Mietwohnungen bleiben meist fest in der Hand einer Generation. Verstopft mal ein Umzugslaster die Gasse, ist das fast schon ein spektakuläres Ereignis, das schnell die Runde macht. Hier kennt man sich auch ohne gezielte Nachbarschaftspflege in soziologisch verordneten Gemeinschaftsräumen, die es anfangs zwar gab, aber nie wirklich genutzt wurden. Weshalb es heute davon nur noch einen im ganzen Quartier gibt, die anderen fanden schlussendlich als vermietbare Einzimmerwohnung weitaus mehr Zulauf. Ein ähnliches Schicksal erlebten die Spielplätze auf den kleinen Plätzen vor den Mittelbauten mit den Etagenwohnungen – deren Sandkästen waren von Katzen und Hunden mit all ihren Hinterlassenschaften weitaus mehr frequentiert als von den Sprösslingen der umliegenden Wohnungen. Die trafen sich lieber in den Gärten der besten Freunde und Freundinnen, um dann als eingeschworene Clique mit Gejohle durch die Gassen und Grünzonen zu ziehen. Ganz ohne die Angst der Eltern, ein Auto könnte ihnen in die Quere kommen. Das damals eingerichtete Café im Kopfbau an der Heilmeyersteige gibt´s noch heute, wenngleich es um eine Etage geschrumpft ist. Schon bald nach der Eröffnung zeigte sich, dass das obere Geschoss mit Freisitz und Fernblick zwar reizvoll ist, trotzdem aber gastronomisch nicht funktioniert. Für das kleine Café war die zusätzliche Ebene zu personal- und betreuungsintensiv,

Preisgekrönte Beständigkeit

Fragt man indes einen Anwohner der ersten Stunde, was sich in den letzten 30 Jahren hier verändert hat, variieren die stummen Antworten zwischen Schulterzucken und großen Augen. Ja, die Bäume sind gewachsen, das schon. Okay, hier und da wäre mal ein neuer weißer Anstrich vonnöten, und neulich habe man auf einer Stufe ein Stück abgeplatzten Beton liegen sehen. Man könnte sich an der neuen roten Eingangstür drei Häuser weiter stören … aber das fällt ja nicht wirklich auf, hinter dem eingegrünten Patio. Dass niemand gegen den zeitlosen Charakter der Siedlung aufbegehrt und der prägnanten Architektur durch unsensible Eingriffe die Show zu stehlen versucht, unterstreicht den Erfolg des städtebaulichen Konzepts, das trotz hoher Dichte eine Wohnqualität erreicht hat, die in zahlreichen Folgeprojekten ähnlicher Größenordnung nicht mehr als ein frommer Wunsch geblieben ist. Die Siedlung Ochsensteige macht als einstiges Pilotprojekt für verdichtetes Bauen vor, was die Architektur zu leisten vermag, um dabei den menschlichen Maßstab nicht aus den Augen zu verlieren. Dass die Anlage 1994 mit dem Hugo-Häring-Preis ausgezeichnet wurde, zeugt neben den Leistungen der Architekten auch von der Kompetenz der Jury, die vielschichtige Nachhaltigkeit des Projekts zu erkennen. Bereits 1993 schrieb Ivo Gönner, damals Aufsichtsratsvorsitzender der UWS, in einer Broschüre: »Das einheitliche Erscheinungsbild der Siedlung als »weiße Wand« entspricht modernen Anforderungen an eine hochwertige Gestaltung. Durch die Wiederholung einzelner Gestaltungsmerkmale und die hohe Dichte stößt diese Art des Wohnungsbaus bei einigen Bürgern auf Ablehnung. Trotzdem ist mit diesem Vorhaben eine beispielhafte Siedlung entstanden, die einen Weg aufzeigt, wie in Zukunft der Wohnungsbau unter Berücksichtigung der Umwelt und sozialer Aspekte aussehen kann.« Gönners mutige Einschätzung hat sich nach nunmehr fast 30 Jahren bestätigt und verfestigt. Seine Weitsicht wird indes nur noch von der Aussicht der Bewohner der Siedlung Ochsensteige übertroffen, die bis heute Wohnbauprojekten ähnlicher Couleur mühelos das Wasser reichen kann.

Die Wohnungsgrundrisse der in drei Breiten konzipierten Reihenhäuser erstrecken sich jeweils über vier Geschosse inklusive Dachgarten. Autos parken die Anwohner in der Tiefgarage
Planzeichnung: antoniol+huber+partner, Frauenfeld

  • Standort: Ochsensteige, 89075 Ulm

Unser Kritikerin Claudia Siegele wollte bei der Besichtigung der Siedlung nicht mehr von der Dachterrasse runter – Wohnqualität und Aussicht haben sie schwer beeindruckt. Leider war gerade keine Wohnung frei .


Claudia Siegele

Architekturstudium an der FH Karlruhe. 1994-2004 Redakteurin bei db deutsche bauzeitung, seit 2000 eigenes Architekturbüro. 2004 Gründung des Redaktionsbüros frei04 publizistik mit Ursula Baus und Christian Holl in Stuttgart. Seit 2005 freie Mitarbeit und Redakteurin bei Fachzeitschriften.

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