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Dem Ansturm gewachsen

Erweiterungen des Hambacher und des Heidelberger Schlosses
Dem Ansturm gewachsen

Rund 60 km voneinander entfernt baute Max Dudler zwei Schlosserweiterungen: ein Restaurantgebäude am Hambacher Schloss und ein neues Besucherzentrum für das Heidelberger Schloss. Auf den ersten Blick ähneln sich die Projekte aufgrund ihrer konsequent homogenen Hülle sehr. Doch der zweite Blick offenbart: Es entstanden individuelle Lösungen für unterschiedliche Nutzungen und Standorte.

    • Architekt: Max Dudler Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Schenck

  • Kritik: Rosa Grewe Fotos: Stefan Müller
Das Hambacher Schloss hat zwei Fernansichten, die bekanntere von Osten ging zusammen mit dem Hambacher Fest in die Geschichtsbücher ein. Die südliche zeigt die mittelalterlichen Wehrmauern vor der Kulisse des Schlosses. Hier erkennt man seit Anfang 2011 schon von Weitem hoch oben auf dem Berg den ockerfarbenen neuen »Baustein« vor dem Schlossensemble. Dieses erfuhr bis ins 20. Jahrhundert hinein immer wieder Umbauten und Erweiterungen. 2002 beauftragte die Stiftung Hambacher Schloss Max Dudler mit einer Sanierung v. a. der Fest- und Ausstellungssäle ›
› und des Treppenturms. Das sensible Zusammenfügen von Alt und Neu gefiel, und so wurde Dudler im Jahr 2005 auch für den 1 300 m² großen Neubau des Schlossrestaurants beauftragt. Allerdings boten der steile Hang und die geringe Plateaufläche lediglich ein schmales Baufenster. Dudler machte das Bild der Wehrmauern zu seinem architektonischen Konzept. Halb im und halb auf dem Berg liegt nun ein schmaler, zweigeschossiger Baukörper, der die Fernansicht auf das Schloss erheblich verändert. Besonders in der Rohbauphase rief das die Kritiker auf den Plan, die um das historische Bild des Schlosses fürchteten.
Weniger infrage gestellt wurde dagegen der Neubau des Besucherzentrums am Heidelberger Schloss. Und das, obwohl es sich um das erste Bauvorhaben seit der Zerstörung des Schlosses im 17. Jahrhundert und dessen Ausschlachtung bis ins 18. Jahrhundert hinein handelte. Um 1900 erfuhr zwar ein nahezu intakter Teil des Schlosses eine Restaurierung, ansonsten entschied man sich aber, die Ruine der ehemaligen Residenz des pfälzischen Kurfürsten, lediglich zu konservieren. Somit stellt das von Max Dudler gebaute Besucherzentrum einen umso bedeutungsvolleren baulichen Eingriff dar. Dieser war jedoch notwendig, um den zahlreichen internationalen Touristen endlich eine adäquate Infrastruktur bieten zu können.
Anders als in Hambach birgt der gewählte Standort des Neubaus in Heidelberg hinter dem Schloss, in einer Baulücke neben dem Haupteingang, kein Konfliktpotenzial mit der Schlosskulisse. ›
Stein und Mauer
Auf die Frage des Materialeinsatzes beim Umgang mit den Baudenkmälern antwortet der Projektleiter der neuen »Schlossbausteine« Simone Boldrin: »Mit den Erweiterungen möchten wir das Alte in einer zeitgemäßen und dem Ort angemessenen Architektursprache fortführen.« So gab es für die Planer von Max Dudler keine Alternative, als das im Bestand eingesetzte lokale Baumaterial, den ockerfarbenen Hambacher Sandstein und den roten Neckartäler Sandstein, auch bei den Neubauten zu verwenden. In Heidelberg gelingt die Unterscheidung zwischen Alt und Neu dennoch – alleine durch die Proportionen von Fenster und Fassade; schließlich betrachtet man das Gebäude ausschließlich von Nahem, eine Fernwirkung gibt es nicht. Anders in Hambach: Ist der Stein einmal nachgewittert, verschwimmen die Fassaden von Schloss und Neubau in der Ansicht zu einer Einheit. Alt und Neu wird man dann leider nicht mehr unterscheiden können.
Auf den Besucher in Heidelberg wirkt das neue Gebäude als Teil der Abfolge mehrerer, eigenständiger Gebäude, die mit dem gleichen roten Sandstein bekleidet sind: das Gartenhaus vorne am Eingang, Max Dudlers neues Besucherzentrum in der Mitte und die Sattelkammer dahinter. Simone Boldrin definiert die Ergänzung als »eigenständigen Baustein, ein Block, der Abstand lässt zu den Nachbarbauten und zur historischen Stützmauer.« Der Bestand aber bestimmt die Gebäudekanten und die Höhenentwicklung des Neubaus. Sicht- und Bewegungsachsen des Schlossareals treffen auf dem Baufeld zusammen und gliedern das Volumen des neuen Bausteins. Zwei Wege zum Schloss beginnen vor dem Eingangsbereich in der Mitte. Sitzstufen und eine verglaste Fassade mit Aussicht sowohl auf das Schloss als auch auf die rückseitige Stützmauer markieren den zentralen Erschließungspunkt. Von hier aus leitet der lineare Grundriss in einer Geraden auf der einen Seite zum Shop und auf der anderen zur Kasse, an der auch die Treppe zum OG mit einem Konferenz- und Mitarbeiterraum und einer Bibliothek liegt. Panoramafenster auf beiden Ebenen zeigen das Schloss gegenüber in großen Bildformaten und dienen als Hintergrund des Besuchers an der Ticketkasse, des Souvenirjägers im Shop oder der Reisegruppe, die im Konferenzraum einem Vortrag lauscht. ›
› »Die Idee eines inversen Schaufensters, bei der das Gebäude als Straße organisiert ist«, so der Projektleiter, ist nachvollziehbar – auch dank der tiefen Laibungen der nach innen gesetzten Fenster. Um eine große Tiefenwirkung der Außenwand zu erzeugen und gleichzeitig jeden Quadratmeter auf dem kleinen Grundstück zu nutzen, platzierten die Architekten sämtliche Nebenräume entlang der Außenwände. Diese Wand aus Hohlräumen ermöglicht im Innern des Gebäudes einen großzügigen, barrierefreien und klar geordneten Raum für den den täglichen Ansturm der Touristen.
»Die Grundideen von Heidelberg und Hambach sind absolut verschieden. Die Erweiterung am Hambacher Schloss ist kein Block, sondern stellt eine Mauer dar«, so Boldrin von Max Dudler Architekten. Entlang der ansteigenden Zufahrtsstraße zum Hambacher Schloss staffelt sich eine geschlossene Wand in die Höhe. Zusammen mit den angrenzenden Nebenräumen und Treppen bildet sie das Rückgrat für einen schmalen, zweigeschossigen Gastraum, dessen vordere Fassade anhand unterschiedlich hoch angeordneter Fenster die Aussicht auf die Rheinebene inszeniert – eine Landschaftsgalerie. Eine Lounge mit Zugang zur Dachterrasse findet ein ganzes Geschoss höher an der geschlossenen Stirnseite des Baukörpers ihren Platz. An deren Fuß erstreckt sich eine lange Aussichtterrasse, die den Eingang des Gastraums mit dem Vorplatz des Schlosses verbindet. Die exponierte Lage und der schlanke Zuschnitt verhelfen dem Restaurantgebäude zwar zu einer spektakulären Aussicht, bringen aber auch Nachteile bei der Nutzbarkeit mit sich. Anteilig hohe Erschließungsflächen und beengte Verhältnisse im Restaurant und auf den Terrassen wurden dafür in Kauf genommen. Auch die Landschaftsgalerie kann die Wirkung der einzelnen Fenster als gerahmtes Bild nicht voll entfalten, da durch die geringe Raumtiefe der Abstand des Betrachters zu den Fenstern gering und der Fensteranteil dafür sehr hoch ist. Von außen entsteht aus einiger Entfernung jedoch ein anderes Bild: Die vielen Fassadenöffnungen mindern den gewünschten Eindruck einer massiven Mauer mit Schlitzen und Löchern kaum. Auch auf dem Vorplatz des Schlosses ist dieses architektonische Bild eindrucksvoll lesbar und unterstützt zudem die klare Fassung des prominenten Außenraums. ›
Perfektion im Detail
Im Innern beider Projekte wählte Dudler eine edle, klassisch moderne Materialität. Stahlfensterrahmen und Türelemente sowie Einbauten und Wandverkleidungen aus Kirschholz kontrastieren zu weiß verputzten Wänden. Trotz ähnlicher Materialien sorgt alleine der unterschiedliche Anteil von Holz, Stahl und Stein für sehr verschiedenartige Innenraumwirkungen: Im Hambacher Schloss sorgt ein Kirschholzparkett und eine fast schulterhohe hölzerne Wandvertäfelung für eine gediegene, aber auch biedere Atmosphäre. Anders dagegen das Besucherzentrum, in dem v. a. der weiße Terrazzoboden und große Lichtdecken die Einbauten aus Kirschholz kontrastieren. Türen, Regale und Sockelleisten sind bündig in die Wand eingelassen, die Technik versteckt sich in Einbauelementen. Zusammen mit den Hellerauer Möbelwerkstätten entwickelten die Architekten selbst das Restaurantmobiliar. Dank dieser großen Detailversessenheit wirkt besonders das Innere des Heidelberger Besucherzentrums wie aus einem Guss. Einzelne Elemente, die zunächst für das Hambacher Schloss entwickelt wurden, finden sich hier wieder, teils als Weiterentwicklung.
Besonders bei der Fassadenkonstruktion entstanden aufwendige Details, die v. a. ein Ziel haben: den monolithischen Eindruck der steinernern Hülle zu gewährleisten. So entwarfen die Architekten mit den lokalen Steinmetzen steinerne Regenrinnen und -abläufe und Verkleidungen für die Lüftungsöffnungen. Speziell die tiefen Laibungen der Heidelberger Fassade (s. Detailbogen S. 95) machten Sonderlösungen nötig: An Stahlbetonsockeln wurden für jede der Fensterbänke Dämmschicht und Abdichtungsbahnen aufgebracht. Darüber platzierte Stahl-T-Profile, die in den Seitenwänden der Fensternischen verankert sind, dienen als stabile Unterkonstruktion für die Sandsteinplatten – ein hoher konstruktiver Aufwand, um Wärmeschutz und Abdichtung zu gewährleisten und dabei noch das Regenwasser in einer unter den Platten versteckten Ablaufrinne abzuleiten.
Der Einbau der großen Verglasungen stellte einerseits wegen des Torbogens am Eingang des Schlossareals eine logistische Herausforderung dar, andererseits mussten die Gläser unbeschadet in den tiefen Fensterlaibungen montiert werden. Für einen potenziellen Austausch lässt sich daher die Steinbekleidung der seitlichen Laibungen und der Fensterbänke ausbauen. Auch bei der Detaillierung der Dachaufkantung mit ähnlichem Aufbau entfallen die herkömmlichen sichtbaren Blechanschlüsse. Die kräftig proportionierte Attika und die homogene Dachaufsicht führen bruchlos die einheitliche, steinerne Bekleidung der Fassaden fort – und lassen dabei ein nahezu störungsfreies Gesamtbild entstehen.
Doch so harmonisch das Gesamtbild auch ausfällt, so sehr die Denkmalpfleger und Bauherren zufrieden sind, so emotional diskutieren die Bürger und so differenziert äußern sich die Fachleute zu beiden Projekten. Was dem einen zu fremdartig und verstörend, ist dem anderen noch zu angepasst und reibungslos. Die Fügung von Alt und Neu ist auch eine Haltungsfrage. Dudler hat sie, mit zwei unterschiedlichen Projekten, konsequent und eindeutig beantwortet. •
  • Standort: Hambacher Schloss, 67434 Neustadt an der Weinstraße Bauherr: Stiftung Hambacher Schloss, vertreten durch Landesbetrieb LBB Landau Architekt: Max Dudler, Berlin, Frankfurt, Zürich Projektleiter: Simone Boldrin Mitarbeiter: Julia Werner, Handan Özdemir, Patrick Gründel Bauleitung: plan art, Kaiserlauten Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Schenck, Neustadt an der Weinstraße Haustechnik: IFG Ingenieurgesellschaft für Gebäudetechnik, Frankenthal Bauphysik- und Akustikplanung: ITA Ingenieurgesellschaft für technische Akustik, Wiesbaden Küchenplanung: Lacher Großküchen, Darmstadt Aufzugplaner: Hundt&Partner Ingenieurgesellschaft, Köln BGF Neubau: 1 300 m² (Umbau: BGF 3 600 m²) BRI Neubau: 6 300 m³ (Umbau: BRI 15 500 m³) Baukosten: 20 Mio. Euro (gesamt) Bauzeit Neubau: 2009 bis April 2011 (Umbau 2005-2008)
  • Beteiligte Firmen: Naturstein: Naturstein Vetter, Eltmann/Main, www.stein-vetter.de Dachbelagsentwässerung: Gutjahr Systemtechnik, Birkenbach/Bergstraße, www.stein-vetter.de Verglasungen: Interpane Glasgesellschaft, Plattling, www.stein-vetter.de Möblierung Restaurant: Deutsche Werkstätten Hellerau, www.stein-vetter.de Lichtdecken: der Kluth, Hilden, www.stein-vetter.de Deckenleuchten und Außenleuchten: Lanzmanufaktur, Simmertal, www.stein-vetter.de
  • Standort: Heidelberger Schloss, Schlosshof 1, 69117 Heidelberg Bauherr: Land Baden-Württemberg, vertreten durchVermögen und Bau Baden-Württemberg, Amt Mannheim Architekt: Max Dudler, Berlin, Frankfurt, Zürich Projektleiter: Simone Boldrin Mitarbeiter: Patrick Gründel, Julia Werner Bauleitung: plan art, Kaiserslauten Tragwerksplaner: Ingenieurbüro Schenck, Neustadt an der Weinstraße Haustechnik: IFG Ingenieurgesellschaft für Gebäudetechnik, Frankenthal Bauphysik- und Akustikplanung: ITA Ingenieurgesellschaft für technische Akustik, Wiesbaden Landschaftsarchitektur: TDB, Thomanek Duquesnoy Boemans, Berlin BGF: 770 m² BRI: 3 450 m³ Baukosten: 3 Mio. Euro Bauzeit: 2010 bis Dezember 2011
  • Beteiligte Firmen: Naturstein: Bamberger Natursteinwerk Hermann Graser, Bamberg, www.bamberger-natursteinwerk.de Verglasungen: Thiele Glas Handel, Worms, www.bamberger-natursteinwerk.de Terrazzo: Foerg & Weisheit Marmorveredelung, Niederwürschnitz, www.bamberger-natursteinwerk.de Lichtdecke: der Kluth, Hilden, www.bamberger-natursteinwerk.de Außenbeleuchtung: LED-Leuchten, Lanzmanufaktur, Simmertal, www.bamberger-natursteinwerk.de
db-Ortstermin
Am 11. Mai um 16 Uhr laden wir Sie ein, gemeinsam mit dem Projektleiter das Besucherzentrum des Heidelberger Schlosses zu besichtigen. Anmeldung bis 30. April unter: www.db-bauzeitung.de/ortstermin

Neustadt a. d. W./Heidelberg (s. 28)

Max Dudler
In Altenrhein (CH) geboren. Architekturstudium an der Städelschule in Frankfurt a. M. und der HdK in Berlin. Mitarbeit bei Oswald Matthias Ungers. 1986 Bürogründung mit Karl Dudler und Pete Welbergen. Seit 1992 eigenes Büro mit Niederlassungen in Berlin, Zürich und Frankfurt. Lehraufträge und Gastprofessuren u. a. in Venedig, Mantua, Dortmund und Wien. Seit 2004 Professur an der Kunstakademie Düsseldorf.
Rosa Grewe
2005 Architekturdiplom an der TU Darmstadt, zuvor Auslandsaufenthalte in den USA und in Mexiko. Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros, u. a. 2004-05 bei Albert Speer & Partner, Frankfurt. 2006-07 Volontariat bei der DBZ. 2008 Diplom der Freien Journalistenschule in Berlin. Seitdem Publikationen für verschiedene Verlage.
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