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Zeitgenössische Kultur?

Architektenszene in Peking
Zeitgenössische Kultur?

Jahrzehntelang wurde in China Architektur als Teil kommunistischer Ideologie entindividualisiert. Mit der Öffnung nach Westen suchen vor allem junge chinesische Architekten wieder Anschluss an die weltweit geführten Architekturdiskussionen, zugleich gilt es, zu einer kulturellen Identität beizutragen. In Peking konzentrieren sich die Probleme und Chancen eines rasanten Umbruchs. For decades in China, as part of the communist ideology, individuality in architecture was decried. With the opening to the West, young Chinese architects seek participation in the worldwide discussion on architecture and at the same time strive to contribute to a cultural identity. In Peking are concentrated the problems and opportunities of a headlong radical change.

Text: Eduard Kögel

Fotos: Bjoern Maser u. a.
Zum ersten Mal kam 1999 eine große Gruppe international arbeitender Architekten nach Peking – anlässlich eines UIA-Kongresses. Fünf Jahre später bereitet sich die Stadt wieder auf eine Großveranstaltung für die Bauwirtschaft vor: Die erste Architekturbiennale soll im September stattfinden (www.ABBeijing.com). Dazu werden zehntausend Architekten in Peking erwartet, und insgesamt sollen zwei Millionen Besucher auf zweihunderttausend Quadratmetern die neuesten Errungenschaften der Baubranche zu sehen bekommen. Die Schirmherrschaft für diese Veranstaltung übernimmt das Bauministerium zusammen mit dem Kulturministerium. Das Ereignis macht sehr deutlich, dass Architektur einen neuen Stellenwert erhalten soll.
In der antiurbanen Gesinnung der Kommunistischen Partei wurden nach 1949 alle Architekten degradiert und unter der Berufsbezeichnung Ingenieur (gongchengshi) zusammengefasst. Es dauerte mehr als dreißig Jahre, bis im Zeichen der ersten Reformen die Bezeichnung Architekt (jianzhushi) wieder zugelassen wurde. Mitte der neunziger Jahre verabschiedete das Bauministerium eine »Regelung zur Lizenzierung von Architekten«, und erst dank dieser Regelung konnten endlich auch wieder private Büros eröffnet werden.
Peking erlebt einen Bauboom sondergleichen, und die qualitativen Missstände der neueren Entwicklung sind unübersehbar. Langsam lösen sie eine Diskussion über die architektonische Kultur aus – natürlich wurde in all den Jahren zuvor auch debattiert, doch ging es dabei im wesentlichen um ideologische Fragen und weniger um einen inhaltlichen, offenen Diskurs.
Als 1999 gleichzeitig mit den offiziellen Großveranstaltungen des UIA-Kongresses junge chinesische Architekten ihre Werke in der Nationalgalerie zeigen wollten, wurde diese Ausstellung kurz vor ihrer Eröffnung in die studentische Abteilung des Kongresszentrums ausquartiert. Dort ging sie in der Vielzahl der vorgestellten Projekte schlichtweg unter. Dass die Ausstellung in der Nationalgalerie abgesagt wurde, lag nun nicht an der fehlenden Qualität der Projekte, sondern eher an der informellen Struktur der Organisation. Auf dem Kongress selbst wurde die Doktrin der akademischen Architektenwelt heftig diskutiert und in Frage gestellt.
Immerhin: 2001 gelang es mit Unterstützung der Qinghua Universität und der Zeitschrift World Architecture, zum hundertjährigen Geburtstagsjubiläum des bedeutenden Bauhistorikers LIANG Sicheng (1901 – 1972) eine Ausstellung in der Nationalgalerie zu organisieren, in der junge Architekten und Künstler eine freie Interpretation zu dessen Lebenswerk zeigten. Der Dunstkreis der Kunst ließ zu, was vor den versammelten internationalen Gästen zwei Jahre zuvor nicht in Frage kam. Heute kommen neue Impulse für die Architektur aus der Kunst, und umgekehrt bietet die Nähe zur Kunst neue Chancen für Architekten.
Als politisches Zentrum war Peking immer der Hort der nationalen Kultur. Weil Bau- und Kulturministerium sowie die nationalen Verbände – zum Beispiel die Architectural Society of China – hier ansässig sind, treffen die fest gefügten Strukturen der letzten Jahrzehnte und die freieren Positionen selbstständiger Architekten direkt aufeinander. Dabei kommt es keinesfalls zu einer offenen Auseinandersetzung, sondern es wird lediglich ausgelotet, wieweit die jeweils andere Seite die eigene Position zur Kenntnis nimmt und akzeptiert.
Den Fachmedien kommt dabei eine erhebliche Bedeutung zu, erst sehr langsam entwickelt sich hier in Peking die Disziplin der Architekturkritik. An der Qinghua Universität erscheint das Monatsmagazin World Architecture (WA), das von dem in Deutschland promovierten Professor WANG Lu herausgegeben wird; mit thematischen Schwerpunkten und monografischen Heften versucht World Architecture, die Diskussion außerhalb des Landes aufzugreifen. 2002 lobte diese Zeitschrift den ersten WA Chinese Architecture Award aus; eine international besetzte Jury, der Wilfried Wang vorsaß, vergab die Preise, und so wurde neben den staatlichen und institutionellen Architekturpreisen eine nur auf die architektonische Qualität bezogene Auszeichnung etabliert. Von den sechs ausgezeichneten Gebäuden stehen drei in Peking.
Nicht nur an der Qinghua Universität, sondern auch an der renommierten Peking Universität kann man seit einigen Jahren ein Aufbaustudium (Master) absolvieren. Der Gründer dieses Studiengangs, Yung Ho CHANG (1956), hat nach fünfzehn Jahren in den USA 1993 sein eigenes Büro Feichang Jianzhu (fcjz) eröffnet. Damit war er einer der ersten unabhängigen Architekten in Peking, der mit seiner ausländischen Erfahrung neue Ideen in die Diskussion einbringen konnte (Yung Ho CHANG: Pingod – Apple – Sales Center / Kunstmuseum, Bild 1). Andere, wie zum Beispiel der 1966 geborene WU Gang, der in Karlsruhe studierte, folgten (WU Gang: Asian Games Xinxin Club, Bild 2). Auch XI Qin, Jahrgang 1959, der nach seinem Studium in Frankreich bei Norman Forster in Hongkong gearbeitet hatte, brachte seine Erfahrungen mit in die Pekinger Diskussion ein (XI Qin: Nationales Institut für Rechnungsführung, Bild 3). Der einer älteren Generation angehörende Professor SHEN Sanling (Jahrgang 1942) arbeitete in den achtziger Jahren einige Zeit in Australien bei Philip Cox (SHEN Sanlin: Katholisches Theologie und Philosophie Institut in Peking, Bild 4).
Daneben gibt es Quereinsteiger wie den Künstler AI Weiwei, der während seiner Ausbildungszeit in New York lebte. Al Weiwei kam durch den Bau seines eigenen Hauses und später durch den Bau eines Atelier- und Galeriekomplexes mit Architektur in Berührung. Heute ist er künstlerischer Berater für das Nationalstadion, das Herzog & de Meuron für die Olympischen Spiele 2008 bauen (AI Weiwei und Ellen Vertommen: Chinese Art Archive and Warehouse, Bild 5).
Die Pekinger Architektenszene, in die hier nur ein beispielhafter, ausschnitthafter Einblick gegeben werden kann, verarbeitet die unterschiedlichsten Einflüsse und sucht in komplexen Rahmenbedingungen neue Leitwerte zwischen technischer Innovation und kultureller Identität. Die ökonomischen Bedingungen, das kaum vorstellbare Bautempo und die Produktionsmethoden spielen dabei eine ebenso wichtige Rolle wie die Frage nach den Einflüssen aus dem Westen oder aus der eigenen Tradition. Der kritische Diskurs in Peking wendet sich eindeutig der Suche nach einer zeitgenössischen Architektur zu.
Neben der jahrzehntelangen akademischen Diskussion um »westlichen Inhalt und chinesische Form« zeigt sich heute eine Vielfalt unterschiedlicher Ansätze, die deutlich von den individuellen Lebenswegen der Architekten geprägt ist. Mit der Individualisierung der Lebensform und mit der liberalisierten Wirtschaft hat sich auch ein leiser Diskurs um die Kultur der Architektur entwickelt. Wenn sich heute das Kulturministerium um die Architekten bemüht, wird erkennbar, dass auch die politisch Verantwortlichen deren Potenzial erkannt haben. Die offizielle Ignoranz gegenüber den jungen Büros, die in der Regel als Dienstleister im Entwurfsbereich ohne Ausführungslizenz arbeiten und nur in Zusammenarbeit mit einem staatlich lizensierten Büro auftreten können, wird aufgrund der Qualität ihrer Leistungen in Zukunft nicht mehr so einfach sein. . E. K.
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