1 Monat GRATIS testen, danach für nur 6,90€/Monat!
Startseite » Allgemein »

Unauffällig besonders

Umbau und Aufstockung zweier Mehrfamilienhäuser in Zürich (CH)
Unauffällig besonders

Städte verändern sich mit den Anforderungen, die die Gesellschaft an sie stellt. Auch die Bausteine, aus denen sie sich zusammensetzen, sind diesem Wandel unterworfen. Bei Sanierung und Erweiterung von zwei Stadthäusern in Zürich gelang es, auf ästhetisch hohem Niveau den Bestand zukunftsfähig zu machen und neuen urbanen Wohnraum zu schaffen.

  • Architekten: PARK Tragwerksplanung: Aerni und Aerni
  • Kritik: Martin Höchst Fotos: Dominique Marc Wehrli
»Eigentlich ist es fast unmöglich, als Privatmann in der Züricher Innenstadt Baugrund zu erwerben,« berichtet der Designer Frédéric Dedelley. Er ist einer der vier befreundeten Bauherren, die ihre Idee vom gemeinsamen Wohnen trotz Widrigkeiten verwirklicht haben. Fündig wurden sie schließlich im Selnauquartier, einer klassischen Stadterweiterung des 19. Jahrhunderts jenseits einer ehemaligen Stadtbefestigung westlich des historischen Zentrums. In nur je einer viertel Stunde erreicht man zu Fuß den Hauptbahnhof und das Ufer des Zürichsees. Diese zentrale Lage entsprach ganz dem Wunsch der Bauherren nach kurzen Wegen. Hier konnten sie zwei aneinandergrenzende Häuser eines Blockrands per Erbbaurecht für 61 Jahre übernehmen und ließen sie von PARK umbauen, miteinander verbinden und um zwei Geschosse erhöhen. Der Wegfall der Grundstückskosten ermöglichte die nötigen Investitionen für Umbau und Erweiterung. Die beiden in die Jahre gekommenen Häuser an der Ecke der kleinmaßstäblichen von Wohnen geprägten Gerechtigkeitsgasse und der stark befahrenen Selnaustraße bargen Potential aber auch Risiken. So stammt das ehemals dreigeschossige Eckgebäude von Ferdinand Stadler, einem der bedeutendsten historistischen Architekten der Schweiz. Darüber hinaus prüft in der Kernzone Zürichs ein städtisches Denkmalschutzgremium jede geplante Baumaßnahme auf ihre Verträglichkeit mit dem Stadtbild.
Dieser sensiblen Situation nicht gewachsen, fiel ein erster Entwurf anderer Planer bei der Baubehörde durch, da sich die vorgesehene Aufstockung stark vom Bestand absetzen sollte. Die daraufhin beauftragten Architekten von PARK, schlugen vor, »die beiden Bestandshäuser zusammen mit der Aufstockung zu einer Einheit zu verschmelzen, die sich ruhig und selbstverständlich in die Blockrandbebauung einfügt,« so der Architekt Peter Althaus.
Verbinden statt Trennen
Der neue Maßstab des Gebäudevolumens fügt sich geradezu unauffällig in den Blockrand an der Selnaustraße ein. Die neue Traufhöhe resultiert aus der des Nachbarhauses aus den 50er Jahren und bildet so einen durchgängigen Abschluss des Straßenraums. Dieser weitet sich an der Gerechtigkeitsgasse um den Vorplatz des ehemaligen Bezirksgerichtsgebäudes, in dem heute verschiedene soziale Einrichtungen untergebracht sind. Derart exponiert und anderthalb Geschosse höher als das anschließende Wohngebäude in der Gerechtigkeitsgasse setzt der Bau eine Marke an der Straßenecke.
Das neue in Anlehnung an benachbarte historische Schieferdächer mit glatten Faserzementschindeln gedeckte Dach tritt oberhalb der Traufe nur dezent in Erscheinung. An der Fassade sind die Unterschiede zwischen Bestand und Erweiterung, zwischen Erhalt und Eingriff so subtil gestaltet, dass es einige Zeit dauert, bis man sie entdeckt, falls überhaupt. Dieser gezielten Verunklärung ging eine aufmerksame Analyse des Gestaltungsvokabulars › › der Fassaden im Quartier voraus. Die erhaltenswerten Fensterlaibungen, Sockel und Gesimse der unteren drei Geschosse und der Balkon im 1. OG bilden in Anordnung, Proportion und Ausführung als gestaltbestimmende Fassadenelemente die Grundlage für die der Aufstockung. Die neuen Fassadenelemente wurden schlichter ausgeführt als ihre Vorbilder und derart ausgewogen platziert, dass die Grenze zum Bestand verschwimmt. Auch die eingesetzten Farben (s. S. 53) vermitteln zwischen unten und oben, rechts und links. So taucht das Grau des erhaltenen Natursteins der Fensterlaibungen in denen der Aufstockung wieder auf. Die Grenze zwischen Braun und Weiß an der Fassade in der Gerechtigkeitsgasse endet nicht am Stoß von Alt und Neu, was nur bei näherem Hinsehen an den unterschiedlichen Putzqualitäten zu erkennen ist. Vielmehr markiert die Farbe exakt die ehemalige Traufhöhe und legt so eine Spur zur Geschichte des Gebäudes. Die exponierte Ecksituation wird durch die Umkehrung der Farbanordnung und die versetzte Teilung zur Selnaustraße hin dynamisiert. Während sich die Fassade hier nach dem Umbau ohne Fensterläden zeigt, sind diese an der Gerechtigkeitsgasse nur noch einseitig doppelflüglig angebracht, was den vertikaleren Charakter des neuen Volumens betont.
Ein Treppenhaus weniger
Der Hauptzugang für die zusammengeschlossenen zwei Häuser erfolgt heute auf expliziten Wunsch der Bauherren von der verkehrsärmeren Gerechtigkeitsgasse aus. Die Flächen des überflüssig gewordenen zweiten Treppenhauses wurden den angrenzenden Wohnungen zugeschlagen. Im EG finden die Arbeitsräume zweier Bauherren, ein Antiquariat und ein Designstudio, ihren Platz. In den Grundrissen der Bestandswohnungen auf den folgenden zwei Etagen wichen nichttragende Wände einer offeneren Gestaltung. Der dritte und vierte Stock sowie das Dach sind schon aus Gewichtsgründen in Holzrahmenbauweise errichtet. Trotzdem mussten die Fundamente ertüchtigt und die Mauerkrone der verbliebenen Außenwände mit einem Betonkranz versehen werden, was unerwartete Zusatzkosten verursachte. Neben einer der insgesamt fünf zur Finanzierung des Projekts verkauften Eigentumswohnungen befinden sich hier oben die zwei sehr großzügigen, aber unterschiedlich organisierten Wohnungen der Bauherren.
Die sogenannte Platzwohnung im 4. Stock gewährt Ausblicke auf den städtischen Vorplatz des Gerichtsgebäudes. Sie öffnet sich weit, wie das Innere eines weitläufigen hellen Zelts bis unter das mehrfachgeknickte Dach. Angenehm gegliedert wird der Wohnraum durch einen Höhenversatz des Bodens. Aus der zweigeschossigen Wohnhalle der »Parkwohnung« sieht man über die Selnaustraße hinweg durch Baumwipfel bis zur Parkanlage des ehemaligen botanischen Gartens. Die interne exakt gearbeitete Treppe aus glasfaserverstärktem Kunststoff reiht sich inzwischen als weiteres Objekt in die moderne Einrichtung der Bewohner ein.
Die zurückhaltende Art des Materialeinsatzes des Äußeren wird konsequent im Inneren weitergeführt. Die Böden sind durchgängig als sichtbarbelassener Anhydritestrich (s. S. 53) ausgeführt. Geschliffen und geölt, ›
› nimmt er in den Wohnungen auch die Fußbodenheizung auf. Die Behandlung der inneren Wandoberflächen folgt der gleichen Logik: Schichtholzplatten sind weiß lasiert, Hochlochziegel geschlämmt. Kautschukbelag (s. S. 53), Geländer und Wangen der hölzernen Bestandstreppe in Hellgrau übernehmen die Farbe der ergänzten Sichtbetontreppe der Aufstockung. So fasst zwar die Farbe die Funktion der Bauteile zusammen, verweist aber gleichzeitig auf Bauart und Entstehungszeit. Was der Planer Peter Althaus als Ergebnis der »direkten Architektur« bezeichnet rührt auch daher, dass die Baumaßnahmen kostengünstig ausfallen mussten. Bauherren und Planer kamen überein, auf alles zu ver-zichten, was nicht zwingend für Entwurfskonzept und Nutzeranforderungen nötig war. Umso mehr Gewicht legten sie auf die Fortschreibung der Bestandsstruktur und eine durchdachte Detaillierung mit scheinbar konventionellen Materialien, was sich sichtbar gelohnt hat. So erhielt der Bestand zwar neue isolierverglaste Holzfenster, zugunsten der Gestalt der Fassade verzichtete man jedoch auf die Dämmung der Mauern. Dennoch hält das Gebäude in der Gesamtbilanz dank zeitgemäßer Heizungsanlage und guter Dämmwerte der Aufstockung die gesetzlichen Vorgaben ein.
Dieser Umgang mit Bestand und Erweiterung, bei dem alles ganz selbstverständlich ineinander greift, findet seinen gelungenen Abschluss im Dachgeschoss: Wenn sich die Aufzugstür öffnet, tritt man direkt auf eine beeindruckend große Dachterrasse mit Aussicht auf die Glarner Alpen hinaus. Dieser Freisitz, der der ganzen Hausgemeinschaft zur Verfügung steht, ist vom eingeschnittenen Dach, wie von einem Wall gegen den Straßenlärm geschützt. Das ebenfalls hier oben untergebrachte kleine Appartement für übernachtende Freunde des Hauses »sei ständig belegt«, ein Umstand, der einen nicht sehr überrascht. •
  • Adresse: Gerechtigkeitsgasse 2, CH-8001 Zürich Bauherr: Peter Bichsel, Frédéric Dedelley, Michael Hauser, Mark Müller Architekten: PARK Peter Althaus Markus Lüscher , Zürich Projektteam: Peter Althaus, Markus Lüscher, Gabi Eichenberger (PL), Anna Lehmann, Doris Haller, Anne Röhl, Stefan Jetten, Katharina Kiesbauer, Nikolas Waelli, Johannes Maier Vergabe und Bauleitung: atelier urbane, Zürich Tragwerksplanung: Aerni und Aerni, Zürich Holzbauplanung: Makiol & Wiederkehr, Beinwil am See Haustechnikplanung: HL-Technik, Zürich Bauphysik: Raumanzug, Daniel Gilgen, Zürich BGF: 2 197 m² BRI: 6 652 m³ Baukosten: ca. 3 Mio. Euro Bauzeit: Januar 2008 bis März 2009
  • Beteiligte Firmen: Fassadenfarbe: Sax-Farben, Urdorf, www.sax.ch Dacheindeckung: Eternit (Schweiz), Niederurnen, www.sax.ch Treppenbelag: nora systems, Weinheim, www.sax.ch Fließestrich: Kirchhofer Bodensysteme, Veltheim, www.kbs-ag-ch Aufzug: Schindler Aufzüge, Ebikon, www.sax.ch Gasbrennwertkessel: (Vescal) Walter Meier, Schwerzenbach, www.sax.ch Leuchten Treppenhaus: Flos, Brescia, www.sax.ch Schalter: Feller, Horgen, www.sax.ch Armaturen: Duravit, Hornberg, www.sax.ch
Weitere Informationen finden Sie auf dem Detailbogen, ab S. 86

Zürich (CH) (S. 48)
PARK Peter Althaus 1965 in Zofingen geboren. 1986-89 Philosophie- und Politologiestudium in Zürich. 1989-96 Architekturstudium an ETH Zürich und Columbia University, New York. 1991-2008 Mitarbeit u. a. bei Meili, Zürich, und Hagmüller, Wien. 2003/04 Assistenz an der ETHZ. Seit 2005 Büro mit Markus Lüscher.
Markus Lüscher 1969 in Bern geboren. 1989-96 Architekturstudium an ETH Zürich und TU Berlin. 1992/93 Mitarbeit bei OMA, Rotterdam. 2002/03 Assistenz an der ETH Zürich. 2003 Auslandsaufenthalt in London. 1996- 2004 Mitarbeit bei Gigon/Guyer Architekten, Zürich. Seit 2005 gemeinsames Büro mit Peter Althaus.
Martin Höchst (mh) 1968 in Herrenberg geboren. 1991/92 Lehre zum Hochbauzeichner. 2001 Architekturdiplom an der Universität Stuttgart. Seit 2001 Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros und selbstständige Tätigkeit. Seit 2009 Studium an der Freien Journalistenschule in Berlin und Praktikum bei der db, seit Juli 2010 Volontariat.
Tags
Aktuelles Heft
Titelbild db deutsche bauzeitung 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
MeistgelesenNeueste Artikel
3 Saint Gobain Glass
Eclaz

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de