1 Monat GRATIS testen, danach für nur 6,90€/Monat!
Startseite » Allgemein »

Trendfarbe oder Unfarbe?

Fragen an den Farbtrendforscher Axel Venn
Trendfarbe oder Unfarbe?

Die Zeiten, in denen neue Produkte ausschließlich in Schwarz oder Weiß auf den Markt kamen und alle Fassaden weiß verputzt wurden, sind vorbei. Doch welche Farbtöne kommen heute und warum zum Einsatz? – Ein Gespräch über Farbtrends und wie sie entstehen.

Interview: Ulrike Kunkel

Herr Venn, Sie sind Farbtrendforscher. – Kann man sagen, Sie bestimmen, was Trend wird?
Nun, das kann man so ausdrücken und auch wieder nicht. Eigentlich formuliere ich Trends, ich entscheide nicht darüber, ob sie entstehen – im Wesentlichen besteht meine Arbeit in der Entdeckung kommender Trends.
Wie gehen Sie bei Ihrer Arbeit vor?
Zum einen bin ich Mitglied in sogenannten Trendpanels. Man arbeitet dort mit Personen zusammen, die aus verschiedenen Bereichen kommen – Journalisten, Marketingleuten, Designern und Soziologen. Die Treffen finden meist zweimal im Jahr an verschiedenen Orten statt, wir sitzen zusammen und jeder trägt seine Zukunftsideen vor: Was wird »in« sein? Was wird uns beschäftigen? Sind wir eher auf Harmonie ausgerichtet oder auf Chaos und Dynamik? Welche Ereignisse stehen uns bevor? Was wird der Gesellschaft wichtig sein?
Diesem Austausch voran geht ein Scouten. Ich schaue also nicht in eine Glaskugel, sondern beobachte die Vergangenheit und die Gegenwart und gewinne darüber unter anderem Erkenntnisse für die Zukunft. Das Wissen über das Gestern und Heute ist das wichtigste Instrument jeden Scoutens. Aus der präzisen, leidenschaftlichen Beobachtung lernen wir, was sein wird; so kann man Zeitgeistströmungen erfassen.
Also beobachten und analysieren. Spielt Intuition auch eine Rolle?
Intuition ist auch immer dabei, aber darauf alleine kann man sich natürlich nicht verlassen. Das wäre zu unsicher, schließlich sind mit meiner Arbeit immer ökonomische Erfolge oder Misserfolge verknüpft. Es geht für meine Auftraggeber um viel Geld, darum liefere ich am liebsten exakte Punktlandungen.
In welchen Zyklen werden neue Farbtrends formuliert?
Alle halbe Jahr. Es hängt mit dem Jahreszeitenwechsel zusammen. Wir haben im Frühjahr andere Ideen, andere Vorlieben als im Winter. Egal, auf welches Produkt bezogen, es ist immer gut, diese unabdingbaren Wechsel als Aktionsbasis zu nutzen. Derjenige Käufer, der im Frühjahr/Sommer kauft, muss mit anderen Farben und Formen konfrontiert werden als jener, der sich im Herbst oder Winter entscheidet. Wir würden nie im Sommer etwas anschaffen, was im Winter besonders angesagt ist. Das heißt natürlich nicht, dass jeder alle halbe Jahr einem neuen Trend huldigt. Man nimmt nicht jeden Trend an, aber beinahe jeder nimmt teil, meist unterbewusst, indem er Veränderungen an sich und an seiner Umgebung vornimmt und dafür eignet sich Farbe durch ihre hohe Signalhaftigkeit besonders gut. Man hat mit Farbe sofort wahrnehmbar etwas verändert: Farbe taugt besonders gut als Innovations-, Bestätigungs- und Identitätsmerkmal.
Beeinflussen politische und gesellschaftliche Ereignisse den anschließenden Farbtrend?
Eher nicht. Sportliche Ereignisse zum Beispiel, selbst von der Größenordnung einer Fußball-WM, taugen überhaupt nicht zur Trendinszenierung. Sie sind zu kurz, zu vergänglich. Aber selbst vergleichbar einschneidende Ereignisse wie der Fall der Mauer reichen nicht aus, um Einfluss auf den nächsten Trend zu nehmen. Doch wissen Sie, welche Zäsur einschneidend genug war? Die Jahrtausendwende. Sie war auch eine Farb-, Form- und Materialzäsur, da sie zeitgleich Menschen auf der ganzen Welt beherrschte und vor allem auch beunruhigte. So wurden die Dinge plötzlich runder, die Farben und Formen der Fünfziger wurden wieder aufgenommen. Viele Produkte hatten diese fast naive, warmtonige oder sanfte, kühlere Pastelligkeit; Töne des Inkarnats waren dabei, eben alles, was Streichelcharakter hatte, war up to date.
Kommt es vor, dass sich die Farbtrendforscher über den nächsten Trend nicht einig sind?
Ja, das kann es schon geben. Es passiert, weil man sich sagt, ich möchte eine Alleinstellung erreichen, also vertrete ich eine andere Meinung. Doch das versucht jeder in der Regel nur einmal und dann nie wieder. Denn, ich sagte es schon einmal, Trends zu formulieren, geschieht in vielen Fällen unter ökonomischen Aspekten und wenn man sich zu oft irrt, dann ist man genauso schnell nicht mehr gefragt wie der falsch prognostizierte Trend.
Haben Sie sich schon einmal geirrt?
Das werde ich ungerne zugeben. Wenn ja, dann habe ich es längst vergessen.
Nicht nur im Möbeldesign, auch bei den Autofarben hat man den Eindruck, das Weiß wieder im Kommen ist. – Ist Weiß die neue / alte Trendfarbe?
Ja, das ist sicher eine zutreffende Beobachtung. Aber es ist ein anderes Weiß als jener Milchton der frühen Siebziger. Weiß bekommt heute Glitter- und Glanzzusätze, dadurch wird es viel intensiver, bekommt Tiefe und Differenzierung, Glamour und eine Art opalisierender Dreidimensionalität. Es kommen auch Metalltonwerte wieder, die farbig getönt sind. Zum Beispiel Bronze, Goldtöne, Platin, Edelstahlnuancen – häufig mit Weiß oder hellen Grauwerten vermischt – egal ob mattiert oder glänzend.
Woher kommt diese Tendenz?
Aus latenten Überdrusshaltungen. Ich denke, man kann das Schwarz als Autofarbe nicht mehr gut ertragen. Es diente jahrelang der Statusorientierung eines Autos; doch das Auto taugt als Statussymbol immer weniger, daher gibt es, Gott sei Dank, mehr dezente und rezente Spielräume bei der Farbwahl.
Lassen Sie uns vom Produktdesign auf die Verwendung von Farbe in der Architektur kommen. Bestehen grundsätzliche Unterschiede zwischen der Farbwahl für mobile beziehungsweise immobile Dinge?
Ja, die gibt es. Das liegt daran, dass jedes Produkt andere Trendwerte hat und eine andere Trenddauer. – Bei Fassaden kommen zum Beispiel die eher traditionellen Töne zurück. Wobei man sagen muss, dass Fassadenfarbigkeit insgesamt wenig trendbeeinflusst ist. Architekten mögen keine Trends. Farbe ist noch immer ein eher negiertes Merkmal von Architektur; das ist einerseits vielleicht gut, andererseits auch wieder schade. Aber die Farbe umweht der Ruf des Unberechenbaren, und sie entzieht sich zumeist auch tatsächlich einer kognitiven Ordnung – Farbe ist Illusion. Architekten mögen vor allem Materialien und setzen diese dann ein, um Farbe zu transportieren. Materialien sind in gewisser Weise konkreter und zumeist weniger emotional. Dabei haben Farben, Putze und Steine durchaus etwas gemeinsam: Die richtige Verarbeitung bei Putzen und Farben vorausgesetzt, altern auch sie in Würde; sie können mit der Zeit, wenn sie Patina ansetzen, interessanter und würdevoller werden. Bei Renovierungen werden die alten Gebäude dann jedoch oft zu kräftig herausgeputzt. Nehmen wir zum Beispiel die Fachwerkhäuser in den Altstadtkernen vieler kleiner Städte. Sie sind heute alle viel zu bleich, zu schön, zu edel und werden auf diese Weise ihrer Lebendigkeit und Authentizität beraubt. Sie werden durch Farbe »aufgehübscht«, und das sollte man mit Farbe nicht machen.
Lassen sich geschlechterspezifische Präferenzen für Farben ausmachen?
Ja, natürlich. Schon, weil acht bis neun Prozent der Männer farbenblind sind. Bei den Frauen sind es nur 0,2 bis 0,4 Prozent. Wenn also jemand geeignet für das Sehen und den Umgang mit Farbe ist, dann sind es Frauen. Frauen sind im Umgang mit Farben trainingserfahrener, da sie meist schon in jungen Jahren einen persönlicheren und aufgeschlosseneren Zugang zu Farben erlernten.
Gibt es nicht durchsetzbare Farben? »Unfarben«, die nie Trend werden könnten?
Die gibt es. Es sind allerdings vor allem Farb-Kombinationen: Blau mit kaltem Rosé beispielsweise. Aber auch einige Einzelfarben. So haben wir berechtigte Vorbehalte gegen Magenta, zumal, wenn es großflächig und häufig eingesetzt wird. Da kann man schon von einer Unfarbe sprechen. Zudem eignet sie sich nicht für die Bilderwelt des Mediums Fernsehen, Magenta blutet an den Rändern optisch aus. Ich würde – zumindest für die nächsten Jahre – auch die Finger von Braun lassen, zumal für Stadtbilder und Gebäude. Und natürlich verbieten sich viele zu dunkle Töne aus physikalischen Gründen. Schwarz und auch kräftige Töne, wie Rot und Lila und Reinblau sind aus assoziativen und kulturbedingten Signalwerten häufig riskant.
Und als Gegenstück zu »Unfarben«, gibt es ausgesprochene »Sympathieträger« unter den Farben?
Grün ist es jedenfalls nicht! Die synästhetisch-assoziative Bewertung von Grün ist nicht sympathisch. Als sympathisch empfinden wir freundliche Töne, die eine sanfte Pastelligkeit besitzen: von Lichtorange bis Gelb und Rosé, ein wenig Himmelblau und Viola und vielleicht mal ein zartes Meergrün, das sind die wahren Nuancen der Sympathie: rein, ungetrübt, lichtvoll und kindlich-lieblich. •
  • Das Interview führte Ulrike Kunkel am 14. Oktober 2008 in Stuttgart.
  • Axel Venn, Professor für Farbgestaltung und Trendscouting an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim, veröffentlicht auf www.Colortrend.de Hintergründe über aktuelle Trends, Farbgestaltung und Farbwahrnehmung. Er beschäftigt sich mit Farbmarketing und Farbstrategien; einer seiner Forschungsschwerpunkte sind semantisch- semiotische Farb-Aspekte.
Aktuelles Heft
Titelbild db deutsche bauzeitung 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
MeistgelesenNeueste Artikel
3 Saint Gobain Glass
Eclaz

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de