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Hafenbau

Technologie- und Forschungszentrum in Wismar
Hafenbau

Für den Bau des Gründerzentrums im Wismar wollte Jean Nouvel nicht die klassischen Seefahrtsmotive bemühen. Stattdessen ließ er sich vom Genius Loci des Hafens motivieren. Aus der Ferne betrachtet wirkt das Konglomerat aus Instituts- und Laborräumen für junge Forscher wie eine flache, rostige Ufermauer. For the Technology and Research Centre (Gründerzentrum) in Wismar Jean Nouvel wanted to avoid classic seafaring motifs. Instead he gained inspiration from the genius loci of the port. The conglomeration of instituts and laboratory rooms for the young researchers gives the effect of a low rusting sea wall.

Text: Falk Jaeger Fotos: Christian Richters

Besonders attraktiv ist die Seeseite der alten Hansestadt nicht. Nur ein kleines, sichelförmiges Hafenbecken schiebt sich an die Altstadt heran, ansonsten erstreckt sich Brachland zwischen Stadt und Wismarbucht, frei geräumtes ehemaliges Hafenareal, noch vor der Wende voller verrotteter Hallen, Stapelplätze, Kran- und Bahnanlagen. Eine winzige »Traditionsinsel« am Ende des Alten Hafens mit einer Hand voll Fischerkaten, zwei, drei Fischrestaurants und der Fischhalle liefert das idyllische Hafenambiente für die Touristen.
Urbanes Leben ans Wasser zu verlegen, den Hafen für die Bürger attraktiv zu machen, dafür fehlt der Stadt die Kraft, solange die
historische Altstadt noch selbst mit ihrem Leerstand zu kämpfen hat und die weggebrochene Industrie nicht durch zukunftssichere Branchen ersetzt ist.
Immerhin, vorn an der Bucht steht unübersehbar die riesige Halle der Aker MTW-Werft, in der die halbe Stadt arbeitet und Aida-Traumschiffe zusammenschweißt. Für Neuansiedlungen ist das Feld bereitet. Der frühere Holzhafen, eine sechzehn Hektar große Halbinsel zwischen Altem Hafen und Werfthafen, wurde von abgewirtschafteter Nutzung freigeräumt, hochwassersicher aufgeschüttet und »Technologiepark« getauft. Nur das denkmalgeschützte Lotsenhaus an der Spitze ist stehen geblieben, der Rest ist grüne Wiese und leere Straße und harrt der Ansiedlung zukunftsorientierter Unternehmen.
Den Anfang macht das Technologie- und Forschungszentrum TFZ, entwickelt von dem der gegenüberliegenden Fachhochschule angegliederten Technologie- und Gewerbezentrum Schwerin/Wismar. Jungen Firmen soll hier der Start mit günstigen Konditionen und in einer synergieträchtigen Umgebung erleichtert werden. Zur europaweiten Ausschreibung für die Architektur wurden große Namen zugeladen – Lord Foster selbstverständlich, Renzo Piano und Jean Nouvel. Der Franzose immerhin nahm teil, war prompt erfolgreich und entwickelte die Pläne, die vom Lübecker Architekturbüro Ziebell + Partner auf deutsche Normen getrimmt und realisiert wurden.
Wie Gründerzentren und Technologieparks bundesweit aussehen, ist hinreichend bekannt; Hafenatmosphäre verbreiten sie normalerweise nicht. Nouvel jedoch, bei dem man eigentlich mit blinkenden Aluminiumkuben, luziden Glaskulissen und extravaganten Formen rechnen musste, war fasziniert vom Genius Loci, von der exponierten Lage vorn an der Landspitze mit Blick hinüber zum neuen Holzhafen, zur Wismarbucht und zur Werft und ließ sich wahrhaft maritime Architektur einfallen. Freilich verzichtete er auf das seit den zwanziger Jahren bei Architekten beliebte Dampfermotiv, auf Le Corbusiers Maschinenästhetik und Scharouns Bullaugenmetaphorik. Er kehrte den Schiffen den Rücken und besah sich die Hafenbauten, er sah Kaimauern, Dalben und Fender, er sah Container- stapel, Fahnen- und Sendemasten und wählte sie als Elemente für seine Architektur. Wie eine Kaianlage sollte der Neubau wirken, der Ufermauer folgend die Landspitze besetzen, roh und rostig wie diese. Die Stahlbaufirma verweigerte jedoch die Gewährleistung für vorgerostete CorTen-Stahlplatten aufgrund des Seeklimas. So wurden rostbraune Stahlplatten vergütet und an den Fassaden montiert.
Der Bebauungsplan verlangte einen öffentlichen Weg entlang der Uferlinie, weshalb das Erdgeschoss zurückgesetzt ist und eine geschützte Arkade bildet. Mit der achtzig Meter hohen zyklopischen Werfthalle gegenüber wollte der Architekt nicht konkurrieren und beschränkte sich bei dem zweifach abgewinkelten Baukörper auf zwei Geschosse. Zusätzliche Technik- und Nebenräume und einen Konferenzbereich packte er oben aufs Dach in veritable Schiffscontainer – so sieht es jedenfalls aus. Doch die bunt bemalten Boxen sind nicht echt, sondern nachgebaut, weil Normcontainer nicht mit dem Achsmaß des Gebäudes übereingestimmt hätten.
Im Inneren geht es eher nüchtern zu. Die Stützen und Träger liegen offen, der rohe Stahl wurde lediglich geölt. Die Architekten haben aus der Not ein Prinzip gemacht. Die Leitungen sind unverkleidet und nach einem eigens entwickelten Farbkonzept gestrichen, die Fußböden aus dunklem Gummiasphalt gegossen. Es herrscht Laboratmosphäre, auch in den Büros. Institute des Forschungszentrums Wismar und neu gegründete Firmen erforschen, entwickeln und produzieren hier in enger Anbindung an die ingenieurtechnische Fachhochschule Kunststofftechnik, Lasertechnik, Sensorik und Software sowie Schiffstechnik, das ist dem Standort neben der Werft und der Architektur geschuldet.
Jean Nouvel liefert dazu das maritime Ambiente, jedoch keine peinliche architecture parlante, sondern assoziative Architektur von hoher Meisterschaft. Kein signifikanter Großbau ist entstanden, sondern ein Konglomerat von Bauteilen, wie sie eben in einem Hafen anzutreffen sind. Vor drei Jahren schon hatte er beim Entwurf eines Kongresszentrums für den Hafen der spanischen Stadt La Coruña die Ästhetik der Hafenkräne und Container durchgespielt. Den Charakter des Ortes kenntlich zu machen, ja zu verstärken, war dort sein Anliegen. In Wismar nun konnte er die Idee verwirklichen. Bauen am Wasser heißt hier, das Hafenambiente in Erinnerung zu halten und es wird interessant sein zu beobachten, ob es den Architekten der Nachbarbebauung im Holzhafen gelingt, den Ball aufzunehmen und die Halbinsel im selben Geist weiterzubauen. Verlierer ist das siebzig Jahre alte, denkmalgeschützte Lotsenhaus mitten auf dem Grundstück. Umringt von Glasfassaden steht das kleine Backsteinhaus ziemlich verloren und deplatziert im Hof des Neubaus und beherbergt nun, was könnte es anderes sein, die
Cafeteria des TFZ. Man hätte das Häuschen besser transloziert, vielleicht zum Alten Hafen hinüber zu seinesgleichen. Ab- und Wiederaufbau hätten aus Sicht des Denkmalschutzes einen geringeren Schaden verursacht. Die unbarmherzige Totalsanierung, das Herausreißen aus dem Kontext hat es vollständig verändert. F. J.


  • Bauherr: Technologie- und Gewerbezentrum e.V. Schwerin/Wismar; Wismar
    Architekten / Planer
    Arbeitsgemeinschaft: Atelier Jean Nouvel, Paris; Ziebell + Partner Architekten, Lübeck
    Mitarbeiter (Büro Nouvel): Alain Trincal, Jonathan Thornhill, Elisabeth Kather
    Mitarbeiter (Büro Ziebell): Joachim Grap, Yvonne Ben Araar, Lars-P. Knopp
    Tragwerksplaner: Inros Lackner, Rostock
    Gebäudetechnik: Ingenieurbüro Barkowski, Wismar
    Elektrotechnik: Ingenieurbüro Goosmann, Schwerin
    Planungszeit: 1998 – 2003 Baubeginn: 2001 Fertigstellung: 2003
    Nettogeschossfläche: 5700 qm Bruttogeschossfläche: 7700 qm
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