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Der Westen Südslawiens: Zwei Länder – (fast) eine Geschichte

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Der Westen Südslawiens: Zwei Länder – (fast) eine Geschichte

Die landläufigen Vorstellungen vom Balkan finden ihre Entsprechung eher in Bosnien oder Serbien und noch weiter südlich, weniger jedoch in Slowenien oder Kroatien. Die Geschichte dieser beiden traditionell katholisch geprägten Länder ist dagegen stark mit jener Mitteleuropas und des Mittelmeerraums verflochten; beide gehörten bis zum Ersten Weltkrieg zu Österreich-Ungarn. Von den neuen Staaten, die sich Ende der neunziger Jahre auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens bildeten, haben sie sich am erfolgreichsten konsolidiert und reformiert – Kroatien mit einiger Verzögerung, Slowenien dagegen sehr schnell.

Text: Bernhard Küppers

Zusammen mit anderen slawischen Stämmen besiedelten die Kroaten und Slowenen im 6. Jahrhundert Südosteuropa. Beide Völker fielen bei ihrer Christianisierung nicht unter den Einfluss der östlichen, sondern der römischen Kirche und gerieten auch nie zur Gänze unter die Türkenherrschaft auf dem Balkan, dafür aber in den Einflussbereich der Habsburger. Ein frühes Königtum der Kroaten war im Mittelalter unter ungarische Oberherrschaft gefallen, die auch später innerhalb des Habsburger-Reichs Bestand hatte – eine gewisse Autonomie Kroatiens blieb dabei unter einem Statthalter und mit eigenem Landtag erhalten. Die Slowenen lebten hingegen bis zur Errichtung des Staates Jugoslawien zumeist unter einer deutschsprachigen Oberschicht.
Die Kroaten entschieden sich beim Entstehen eines nationalen Bewusstseins im 19. Jahrhundert zur Normierung einer südslawischen Sprache, die sie mit den Serben teilten. Mit dem Zerfall Jugoslawiens wurde das Serbokroatische beziehungsweise Kroatoserbische aus politischen Gründen allerdings wieder in Kroatisch und Serbisch aufgespalten, ja sogar in Bosnisch und jüngst Montenegrinisch. Die Slowenen pflegten seit jeher ihre eigene Sprache, zu deren Verschriftlichung die Bibelübersetzungen von Reformatoren im 16. Jahrhundert wesentlich beitrugen.
Zum Ende des Ersten Weltkriegs entstand 1918 aus Teilen Österreich-Ungarns und des schon vorher untergegangenen Türkenreichs unter einem serbischen Königshaus der erste Staat Jugoslawien. Die Staatsbildung erfolgte unter aktiver Beteiligung einer »jugoslawischen« (das heißt südslawischen) Richtung bei den Kroaten. Der Staat hieß zwar anfangs »Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen«, vermochte die Kroaten aber nicht wirklich zu integrieren. Bei der Besetzung Jugoslawiens durch Deutschland und Italien 1941 waren es faschistische Ustaschas (Aufständische), die den ersten Unabhängigen Staat Kroatien ausriefen.
Der kommunistische Partisanenführer Josip Broz Tito, der als einer der Sieger aus dem Zweiten Weltkrieg hervorging und das zweite Jugoslawien schuf, war als Sohn eines Kroaten und einer Slowenin in Kroatien auf die Welt gekommen. Er herrschte, indem er nationale Gegensätze im Vielvölkerstaat sowohl unterdrückte als auch für seine Machtausübung nutzte. Besonders Slowenien, aber auch Kroatien entwickelten sich innerhalb von Titos grenzoffenem Sozialismus im Verhältnis zum restlichen Jugoslawien wirtschaftlich recht erfolgreich. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks ein Jahrzehnt nach Titos Tod fand dann Jugoslawien, das zwischen Ost und West laviert hatte, zu keiner neuen, demokratischen Verfassung des Gesamtstaats. Ein Jahr vor den Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens 1991 verließ der slowenische KP-Chef und spätere Präsident Sloweniens, Milan Kucan, gefolgt von der Delegation der Kroaten, den letzten Parteitag der Kommunisten Jugoslawiens.
Slowenien erlebte beim Zerfall des Vielvölkerstaats einen Zehn-Tage-Krieg mit der jugoslawischen Armee, blieb aber von den Schrecken ethnischer Vertreibungskämpfe verschont. Anders als in Kroatien gab es in dem von zwei Millionen Slowenen bewohnten Land schon damals keine bedeutende serbische Minderheit. Kroatien hingegen, mit einem beträchtlichen serbischen Bevölkerungsanteil, wurde unter seinem Staatsgründer Franjo Tudjman sogar auf doppelte Weise in die jugoslawischen Kriege von 1991–95 verwickelt. Auf dem eigenen Gebiet zerschlug es am Ende eine aufständische Republik der Krajina-Serben. Deren Vorfahren waren einst von Österreich an der »Militärgrenze« zum Osmanischen Reich als privilegierte Wehrbauern angesiedelt worden. Mit ihrem Exodus 1995 sank der Serbenanteil an den viereinhalb Millionen Einwohnern Kroatiens von über zwölf auf unter fünf Prozent. Tudjman hatte aber mit dem Belgrader Machthaber und Hauptverursacher der jugoslawischen Kriege, Slobodan Milošević, auch Geheimgespräche über eine Aufteilung Bosniens geführt. Die Kroaten, drittgrößtes Volk in Bosnien, gerieten unter diesen Umständen zeitweilig neben ihrem Krieg mit den Serben auch in einen mit den bosnischen Muslimen.
Seit 2004 gehört Slowenien der Europäischen Union an, Anfang 2007 wurde es als erstes dieser neuen EU-Mitglieder in die Zone des Euro aufgenommen. Seit dem 21. Dezember zählt es auch zu den Ländern der Schengen-Zone mit freiem Grenzverkehr untereinander. Mit Kroatien führt die EU seit 2005 Beitrittsverhandlungen, seit das Land daran mitwirkte, den General Ante Gotovina vor das Haager Tribunal für Kriegsverbrechen zu bringen.
Zwischen Slowenien und Kroatien ist zwar noch immer die Seegrenze an der Adria strittig. Zuletzt nahmen die Regierungen beider Länder aber in Aussicht, womöglich einen Schiedsspruch des Internationalen Gerichtshofs anzustreben.
Wie über andere Völker haben sich auch über Slowenen und Kroaten Meinungen gebildet, deren Wahrheitsgehalt bestenfalls relativ ist. Das Klischee von den Slowenen ist, dass sie fleißig und sparsam, wenn nicht sogar geizig seien. Von den Kroaten gibt es nur ein weniger bestimmtes Bild. Das mag auch daran liegen, dass sie unter regional sehr verschiedenen Umständen wie etwa in den Küstengebieten Dalmatiens oder der pannonischen Tiefebene in Slawonien leben. Nebenbei sei erwähnt, dass die Kroaten als berittene Söldner zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges das nach ihnen benannte Kleidungsstück der Krawatte in Europa einführten. •
Der Autor war von 1983 bis 2007 Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, bis 1992 in Moskau und anschließend auf dem Balkan. Derzeit lebt er in Wien.
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