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Triumpf der Ignoranz

Diskurs
Triumpf der Ignoranz

Triumpf der Ignoranz
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Es ist zu spät. Wer jetzt mit moralisch erhobenem Zeigefinger gegen das »erste deutsche Mountain Ressort« aufbegehrt, ausgerechnet auf dem Obersalzberg, Hitlers Sommerfrische-Sperrgebiet, hat versäumt, die Diskussion vor sechs Jahren voranzubringen. Mit der Einrichtung der Dokumentation Obersalzberg 1999 im ehemaligen Gästehaus der alpinen Machtzentrale hat der Bayerische Finanzminister Kurt Faltlhauser die Grundlagen für die folgende Beseitigung von Geschichte geschaffen. Der relativ bescheidene Lernort des Münchner Instituts für Zeitgeschichte war Voraussetzung für den Neubau eines Luxushotels auf »unbelastetem« Terrain: Der Persilschein für den Obersalzberg. Die papierne Aufklärung erlaubte zurückzukehren zum Alpentourismus der Vornehmen, Reichen und Schönen, den es in Berchtesgaden gab, bevor Hitler kam und Martin Bormann die Bergbauern und Villenbesitzer zum Verkauf nötigte. Anders als vom ARD Kulturmagazin »Titel, Thesen, Temperamente« am 16. Januar fokussiert, ist nicht der Bau des Luxushotels skandalös, sondern die Tatsache, dass vorher wichtige Geschichtszeugnisse beseitigt und der Boden »tiefbereinigt« wurden. Selbst eine Bürgerinitiative half nichts. Der Platterhof wurde abgerissen und mit einem Parkplatz zubetoniert. Damit verschwand die steinerne Chronik des Ortes: Denn der Platterhof beinhaltete das bereits 1382 beurkundete Steinhauslehen, weiß Florian M. Beierl vom Obersalzberg Institut zu berichten. 1877 erwarb Mauritia (genannt Moritz) Mayer das altehrwürdige Haus und richtete dort die erste Ferien-Pension auf dem Obersalzberg ein. Die Heimatschriftsteller Peter Rosegger, Richard Voß und Ludwig Ganghofer waren unter anderem dort zu Gast. Voß setzte seiner Wirtin sogar mit der Roman- figur Judith Platter in »Zwei Menschen« 1911 ein literarisches Denkmal. So wurde aus der Pension Moritz 1933 der Platterhof. Das war das Jahr, in dem Hitler das bis dato von ihm gemietete Haus Wachenfels aus den Buch-Tantiemen für »Mein Kampf« erwarb und zum Berghof umbauen ließ. Die NSDAP kaufte rundum 54 Grundstücke (290 ha) auf. Den Platterhof erwarb die Partei 1936 und baute ihn zu einem 150-Betten-Hotel für »verdiente Volksgenossen« um. Der Obersalzberg war nunmehr »Führersperrgebiet«, ein zweiter Regierungssitz, umgeben von den Villen Görings, Bormanns und Speers, unterminiert von Bunkern, geschützt von einem zwei Meter hohen Drahtzaun, bewacht von der SS. Am 25. 4.1945 bombardierten britische Luftverbände das Areal. Am 4. Mai kamen die Amerikaner. Die brisanten Ruinen wurden gesprengt und abgeräumt. Trotzdem suchen und finden Ewig-Gestrige bis heute Berghof-Rudimente und legen Blumen ab. Der Platterhof aber wurde 1953 von den Amerikanern als General Walker Hotel wiederaufgebaut. Zum Armed Forces Recreation Center gehörten bald Tennisplätze, eine Golfanlage auf Bormanns Grund und ein Skilift auf dem »Göringhügel«, dem Eckerbichel, der Adresse des neuen Inter-Conti-Hotels. Als die Amerikaner 1996 den Standort aufgaben, hieß es, ein Neuanfang in alten Gemäuern sei undenkbar. Die »strammen Arkaden« sollten nicht Kulisse für »Stramme Kameraden« werden. Historiker Beierl entdeckte beim Abbruch im Jahr 2000 noch die alten Mauern vom Steinhauslehen und eine Holzbalkendecke mit der Jahreszahl 1671. Der Platterhof wäre der ideale Ort für eine umfassende Obersalzberg-Dokumentation gewesen. 630 000 Besucher kamen in den letzten fünf Jahren zu der Kompensations-Dokumentationsstelle, die weder Seminarräume noch Übernachtungsmöglichkeiten bieten kann. Aber nun ist es zu spät über die Tabula-rasa-Politik zu klagen. Zu spät auch, sich über Landschaftsbau und Architektur zu erregen. Ein solch schwieriges Terrain hätte man nicht einer Firma Namens »Gewerbegrund«, einem Tochterunternehmen der Bayerischen Landesbank, überlassen dürfen, die gewohnt ist, Bürokomplexe zu generieren. Man hätte sich für den Obersalzberg einen anspruchsvollen Architektur-Wettbewerb gewünscht. Jetzt okkupiert eine Ringburg (Architekturbüro Kochta) den Eckerbichel, der dafür abgetragen wurde. Diese Immobilie ist weder landschaftsverträglich, noch geschichtskritisch. Sie portioniert nur das 360° Alpen-Panorama in 138 Luxussuitesegmente. »Zum Niederknieen« verspricht die Hotelwerbung, die tunlichst vermeidet, den mit Räuchereiche, Onyx und Verde Dolomit ausstaffierten Erholungsort beim Namen zu nennen. Ira Mazzoni

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