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Näher am Rhein

Diskurs
Näher am Rhein

Das neue Kölner Vorzeige-Viertel »Rheinauhafen« fasziniert Immobilienentwickler und Architekturfreunde, es lockt prosperierende Unternehmen und zahlungskräftige Privatleute, denen nicht nur der Blick auf den Strom, sondern auch eine prestigeträchtige Adresse wichtig ist; der Uferbereich hat sich zu einem beliebten Ausflugsziel entwickelt. Insgesamt also ein gelungenes Projekt … Und das ist in einer Stadt mit einer langen Geschichte von großen Plänen, die am Ende in schmalster Form verwirklicht oder gleich im Papierkorb versenkt wurden, schon fast eine Sensation.

~Christian Hümmeler

Diese Entwicklung konnte niemand mit halbwegs realistischem Blick vorausahnen, als in den späten sechziger Jahren die ersten Ideen zur Umgestaltung des zunehmend vor sich hindämmernden Kölner Hafens aufkamen. Da war mal die Rede vom »Welthandelszentrum«, mal von einer »Museumsinsel«, dann sollte es ein »Freizeitparadies« sein, zwischenzeitlich auch ein »China-Handelszentrum« oder ein orientalischer »Grand Basar«. Schließlich wurde aber tatsächlich so seriös geplant, dass die Ergebnisse des 1992 durchgeführten städtebaulichen Ideenwettbewerbs in ihren Grundzügen gebaute Form annahmen. Die Büros Bothe Richter Teherani aus Hamburg und Alfons Linster aus Trier gewannen seinerzeit den Wettbewerb und kombinierten anschließend dank privater Initiative ihre Ideen zu einem Konzept, dessen markanteste Elemente drei gleichförmige Bügelbauten direkt am Ufer waren. Zwar hatte die Stadt ursprünglich die Weiterentwicklung der Entwürfe des zweiten Preisträgers favorisiert, doch auf Anregung eines Mitglieds des Kölner Gestaltungsbeirats entwickelten die Sieger zusammen mit den Wettbewerbsteilnehmern Busmann+Haberer Architekten sowie mit Erich Schneider-Wessling einen inoffiziellen Gegenentwurf, der sich bei der Politik schließlich durchsetzen konnte. Zwar wurde die vorgesehene »Brückenstadt« – drei Fußgängerbrücken über einem Hafenbecken sollten die bald Kranhäuser genannten Bügelbauten mit dem angrenzenden Severinsviertel verbinden – in dieser Form nicht umgesetzt, der Erhalt der meisten Altbauten aber und die vorgesehene Nutzungsmischung aus Büros, Wohnungen und Gastronomie ist Realität geworden. Zwei der Kranhäuser sind bereits fertig und bezogen, das dritte, ein reines Wohn-Hochhaus, wächst in die Höhe. In ihrer Grundform sind alle drei gleich: Die obersten fünf Stockwerke sind um knapp fünfzig Meter in Richtung Rhein verlängert und stützen sich auf einen schmalen Erschließungskern. Mit den unteren Geschossen bilden sie einen Winkel, der ein kleines bisschen als Reminiszenz an El Lissitzkys »Wolkenbügel« verstanden werden darf – letztlich verweisen Form und Name aber auf die einstige Nutzung des Areals als Warenumschlagplatz.
Mit ihrer massiven Präsenz – man hätte sie sich durchaus filigraner, eleganter vorstellen können – dominieren die jeweils rund sechzig Meter hohen Kranhäuser den Anblick des neuen Hafens, egal aus welcher Perspektive. Das gefällt nicht jedem: Vor allem aus den südlichen Stadtvierteln kommt Kritik, weil die Türme von hier aus tatsächlich den Blick auf den Dom verstellen. Zu den prominentesten Kritikern zählt Gottfried Böhm: »Ohne die Qualität in Frage zu stellen, kann man doch sagen, dass die Massigkeit den dortigen Maßstab sehr sprengt«, beklagte er kurz vor Vollendung des ersten Kranhauses. Auch die Frage, ob die (öffentliche) Fläche unter den Auslegern tatsächlich sinnvoll genutzt wird, ist noch offen.
Der Mehrheit der Kölner aber gefallen die Türme – schon während der Rohbauphase wurde die Baustelle jedes Wochenende von einem neugierigen Publikum, Bauzäune und Absperrungen ignorierend, in Beschlag genommen. Und auch in der Politik bestand stets Einigkeit darüber, dass entweder alle drei Häuser kommen oder keines. Schließlich hatte man die Fundamente bereits in der anderthalb Kilometer langen Tiefgarage, die der Grundstückseigentümer, die städtische Tochtergesellschaft HGK (Häfen und Güterverkehr Köln AG) 2002/03 als Vorleistung unter dem gesamten Gelände errichtete, eingebracht. Die durchgehende unterirdische Garage sorgt dafür, dass der Rheinauhafen über der Erde weitgehend autofrei bleibt – und sie ist gleichzeitig Teil des Hochwasserschutzes: Ab einem Rheinpegel von 11,30 Meter (»Jahrhundert-Hochwasser«) wird geflutet.
Eine vom Betreiber gewünschte nächtliche Betonung der Konturen wurde von der Stadt mit Hinweis auf das eigens beschlossene Beleuchtungskonzept verweigert. Angestrahlt werden dürfen lediglich die historischen Bauwerke auf dem Areal, etwa der Bayenturm als Überrest der mittelalterlichen Stadtbefestigung. Die Neubauten auf dem Gelände sollen sich dagegen nicht durch ihre Außenbeleuchtung in den Vordergrund drängen, was auch bei Nacht für eine zurückhaltend-noble Anmutung des Areals sorgt.
Tagsüber ist es vor allem die durchgängige, von den Düsseldorfer Landschaftsarchitekten Fenner Steinhauer Weisser entworfene Freiraumgestaltung, die mit Basaltpflaster, Betonplatten und Stahl, mit markanten Leuchten und einer sparsamen Möblierung, die einzelnen Abschnitte und Gebäude des Hafens überzeugend verbindet und dabei in ihrer grobkörnigen Anmutung durchaus an die einstige industrielle Nutzung zu erinnern vermag. Denn zwischen den aktuellen Neubauten und den Überresten aus dem Mittelalter finden sich auf dem Gelände – und gerade das macht einen nicht geringen Teil seines Reizes aus – zahlreiche Bauten aus der Entstehungszeit des Hafens.
Prominentestes Beispiel ist das vom Kölner Büro Kister Scheithauer Gross umgestaltete Danziger Lagerhaus von 1909, wegen seiner zahlreichen Giebel als »Siebengebirge« bekannt. Kölns erster großer Eisenbetonbau war über Jahrzehnte Teil der »Nationalen Notreserve«, die hier in Form von Getreidevorräten für den Ernstfall lagerte. Nach der Wiedervereinigung fiel diese Rolle weg, eine neue Nutzung des rund 22 Meter tiefen und im Innern nur schwer zu belichtenden Gebäudes war nicht leicht zu finden. Gemeinsam mit dem Denkmalschutz gelang es den Architekten dennoch, ein tragfähiges Konzept für den Umbau zu Wohnungen zu entwickeln. Dank neuer Fensteröffnungen, eingeschnittener Loggien mit faltbaren Glaswänden (Balkone hatte der Denkmalschutz untersagt) und perforierter Metallschirme, die die Dachfenster der neuen Maisonettewohnungen verbergen sollen (ein Trick, der nicht wirklich überzeugt) konnte immerhin der Bau als solcher gerettet werden – der Verlust der charakteristischen Silhouette nämlich hätte die Südhälfte des Rheinpanoramas nachhaltig beschädigt.
Weiter nördlich gibt es ebenfalls Beispiele für gelungene Umnutzung des Bestands. So gestalteten Dörte Gatermann und Elmar Schossig bereits im Jahr 2000 die Gebäude des alten Hafenamtes um, während die Revitalisierung der »Halle 11«, einer Zollhalle von 1898 mit eindrucksvollem Kreuzrippengewölbe im Erdgeschoss, erst seit kurzem abgeschlossen ist. Nach den Plänen des Kölner Büros Jaspert Steffens Watrin Drehsen verwandelte sich das reichlich ramponierte Lagerhaus in einen kombinierten Büro- und Wohnungsbau, bei dem die rheinseitige Fassade (diese Front war im Zweiten Weltkrieg durch einen Bombentreffer zerstört worden) als modernes Element aus den an den übrigen Seiten erhaltenen Altbau heraussticht.
Es sind vor allem diese Anstrengungen, den Bestand überall dort weitgehend zu erhalten, wo es der Zustand der Altbausubstanz zuließ, die den Kölner Rheinauhafen von anderen Konversionsprojekten ähnlicher Größe unterscheiden. Dabei spielte neben dem Denkmalschutz auch die Fantasie der Investoren und Architekten eine Rolle: Dass man etwa einen Speicherbau wie den an das »Siebengebirge« angrenzenden, ursprünglich fensterlosen Getreidespeicher »Silo 23« aus den dreißiger Jahren gerettet hat, zeugt von einem gewissen Mut. Der Abriss war bereits beschlossene Sache, als Kister Scheithauer Gross sich doch zu einem Umbau entschlossen. Heute finden sich an Stelle des einstigen Silos elf Büroetagen hinter vorgesetzter Fensterfassade, die frühere Abfüllstation für das Getreide im Erdgeschoss dient nun als Restaurant. Und so funktionieren die Altbauten als Klammern, die die neuen Elemente des Hafens zusammenhalten. Das sieht auch Kölns Stadtkonservatorin so: »Hier zeigt sich, dass man ein kontrastreiches, aber dennoch behutsames Miteinander von Alt und Neu auch in einem Gebiet umsetzen kann, das bislang rein gewerblich genutzt wurde«, sagt Renate Kaymer. Es sei im Rheinauhafen gelungen, sehr viel historische Substanz zu erhalten. Dabei war allerdings – siehe die Dachblenden im Siebengebirge – mancher Kompromiss erforderlich.
Doch auch die Neubauten sind von durchaus unterschiedlicher Qualität: Es gibt Sehenswertes wie die vom Kölner Büro Oxen + Römer und Partner geplante »Wohnwerft 18.20«, die durch geschichtete Module und tiefe Einschnitte zur Rheinseite hin eine eindrucksvoll skulpturale Wirkung entfaltet. Auch das »KAP am Südkai«, entworfen von KSP Engel und Zimmermann, fertiggestellt im Oktober 2004 und damit Auftakt für die Hauptbauphase, ist mit seinem verglasten Turm ein würdiger Abschluss des Hafengeländes im Süden. Zu den weniger gelungenen Bauten zählt dagegen das effektheischend geschwungene »RheinauArtOffice« an der stadtseitigen Hafenkante. Hier residiert allerdings der Softwarehersteller Microsoft mit seiner NRW-Niederlassung – und damit einer der Hafennutzer, von denen man sich eine starke Magnetwirkung auf weitere potenzielle Mieter verspricht.
Dabei gibt es bislang keine größeren Leerstände im Rheinauhafen – schon gar nicht in den Wohnbauten, die etwa ein Drittel des gesamten Projektes ausmachen. Die Nachfrage war trotz durchgängig hoher Preise immens. Überhaupt ist der Stadt das Glück hold geblieben bei ihrem Vorzeigeprojekt, allen Diskussionen und Debatten im Vorfeld zum Trotz: Nachdem man sich einmal für das grundsätzliche Konzept entschieden hatte, stellte trotz langwieriger Diskussionen über die Ausgestaltung kaum jemand mehr die Pläne grundlegend in Frage. Und die HGK erwies sich letztlich zusammen mit der für die Vermarktung des Geländes zuständigen Gesellschaft »Modernes Köln« als wesentlicher Motor der Hafenbebauung – etwa durch die Vorab-Errichtung der Tiefgarage. Möglicherweise können die städtischen Tochtergesellschaften schon bald von ihren Erfahrungen profitieren: Nach dem großen Erfolg des Rheinauhafens werden in der Stadt die Stimmen, die auch den direkt gegenüber, am östlichen Rheinufer gelegenen Deutzer Hafen – der allerdings noch in Betrieb ist – umnutzen wollen, immer lauter. Dieses Projekt hätte dem Rheinauhafen in jedem Fall eines voraus: den vollen Blick auf Stadt und Dom. •
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