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Was die Architektengenerationen wieder zusammenführen könnte: Leidenschaft und Eigenverantwortlichkeit

Was die Architektengenerationen wieder zusammenführen könnte
Mehr Leidenschaft!

Mehr Leidenschaft!
Gehören Sie zu der Generation, die der Meinung ist, »die Jungen« würden weniger wagen als früher? Oder zu jener Altersgruppe, die sich von ihren Arbeitgebern bei ihren Aufgaben allein gelassen und überfordert fühlt? Es mag überraschen, aber beides lässt sich auf einen gemeinsamen Ursprung zurückführen:
Es geht um die Art und Weise, wie unser Bildungssystem uns die spielerische Art des Lernens, die im menschlichen Wesen seit Kindestagen verankert ist, austreibt.

Während das Begreifen der Welt selbstbestimmt und durch Ausprobieren beginnt, setzt die Schule auf zu rationale Informationsvermittlung und trainiert den Kindern ihren natürlichen Forschertrieb systematisch ab. Spätestens mit dem Bachelor und Master sind die Chancen selbstbestimmten Lernens auch von den Hochschulen weitgehend verbannt worden. Wie kann also etwas wiedererlernt werden, das statt täglichem (Ab-)Arbeiten die Kreativität und eigenverantwortliches Handeln fördert und einen Mehrwert für Büro und Gesellschaft bietet?

Wer für die Ausbildung des eigenen Profils keine Zeit eingeräumt bekommt, kann keine eigene Haltung entwickeln und verstehen, wo er wirklich hingehört. Und ohne Haltung – egal wie ausgeprägt – kann man auch in seiner Arbeit nicht viel Sinnvolles beitragen. Bei der Stellensuche stehen dann maximal der Standort des künftigen Arbeitgebers und das zu erwartende Honorar im Fokus – der kleinstmögliche Nenner für eine Zusammenarbeit. Identifikation mit dem Büro oder der Aufgabe kann so kaum entstehen, Frustration und »innere Kündigung« sind abzusehen. Im Arbeitsalltag selbst kommt man gar nicht erst in den Spielmodus, der für das geheimnisvolle Ding Kreativität so unerlässlich ist, sondern versucht, ohne Umwege auf das Ziel zuzusteuern. Der Termin wird wichtiger als der Inhalt, Kreativität »erntet« man fix bei Pinterest. In unserer Beratungstätigkeit als Studio für Konzeption und Gestaltung, die uns den Blick von außen auch auf die Abläufe in Architekturbüros ermöglicht, erkennen wir immer wieder, dass viele Entwürfe nicht über eine rein formale Ableitung der Aufgabe hinausgehen. Es fehlt an Zeit und Ruhe, um ein ganzheitliches Bild der Aufgabe und ihrer Möglichkeiten zu entwickeln. Auch gestandene Architekten unterliegen diesem Druck.

Ein Perspektivwechsel, eine Veränderung der Wahrnehmung »vom Logos zum Holos« [1], vom rational bestimmten Handeln zum Agieren mit Blick für das Ganze, bietet da ungeahnte Potenziale – sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber. Es geht um einen mutigen Blick weg von erlernten und vermeintlich bewährten Mustern, Arbeitsabläufen, intellektuellen Haltungen usw., um im Anschluss ganz neu hinschauen zu können. Damit kann es möglich werden, dem Unbehagen gegenüber den momentan gültigen Systemen, das immer mehr Menschen in jeder Generation spüren, etwas entgegenzusetzen, um grundsätzlich etwas zu verändern. Es geht nicht darum, wieder einmal am Status quo herumzudoktern, sondern ihn tatsächlich behutsam, Stück für Stück, Blick für Blick zu ersetzen. Ein erster Schritt dorthin ist das Wiedererlernen der Neugier im Alltag und der Wille zu eigenverantwortlicher Entwicklung. Doch wo genau soll man hinschauen, wo anfangen?

Ein Blick auf das bekannteste erfolgreiche System des »Wirtschaftens« – die Natur – bietet Inspiration auf sämtlichen Ebenen. Dort ist alles mit allem verbunden – uns natürlich eingeschlossen. Der österreichische Unternehmer und Forstwirt Erwin Thoma hat dies früh erkannt. Er sah, dass ein Baum, sobald er die Größe erreicht hat, die ihm das Überleben ermöglicht, auf Kooperation »umschaltet«. Bäume agieren als Gemeinschaft. Sie warnen sich gegenseitig vor Schädlingen, versorgen sich über ein komplexes System gegenseitig mit Informationen und Nährstoffen. Aus seinen Erkenntnissen zog Thoma Rückschlüsse für seinen Umgang mit Mitarbeitern und Partnern – »Alles, was du teilst, vermehrt sich« – und konnte sogar ein Produkt entwickeln (»Holz 100«) [2], mit dem er heute abfallfreie, energieautarke Häuser ganz aus Holz baut, die ohne Chemikalien, Dämmstoffe und komplizierte Technik auskommen.

Auch was den Umgang mit Mitarbeitern betrifft, lohnt sich der ganzheitliche Blick. Viele Talente gehen verloren, weil sie nicht gefördert, sondern die Mitarbeiter auf ihr primäres Betätigungsprofil im Arbeitsvertrag reduziert werden. Das hat enorme Reibungsverluste zur Folge. Durch achtsames Betrachten, Reflexion und vorurteilsloses Fragen fühlen Menschen sich erkannt, verstanden und eingebunden. Sie spüren Vertrauen und lernen, dies wieder zurückzuspielen – Vertrauen generiert Vertrauen. Ein Geschäftsführer, der dieses Verständnis lebt, begegnet jedem Mitarbeiter auf Augenhöhe. Er trägt Verantwortung, er lebt vor und schafft ein förderliches Milieu. Erst so kann eine nachhaltige Dynamik entstehen. »Verborgene Fähigkeiten« zu fördern, bildet die Quelle vieler neuer Ansätze, Arbeitsfelder und daraus resultierender Projekte. Daraus wiederum entsteht langfristig ein gemeinsames Anliegen, eine gemeinsame Mission. Daraus entwickelt sich eine sich selbstständig regenerierende Energiequelle – aus einem Unternehmen entwickelt sich eine Organisation. Sie ist die erste Stufe hin zum Organismus – jenem erfolgreichen System, das uns aus der Natur bereits bestens bekannt ist. Die Beobachtung der Natur birgt Inspiration auf mehreren Ebenen – ob aus der Perspektive des Ingenieurs, des Künstlers oder des Wissenschaftlers.

~Patrick Voigt

[1] Ervin Laszlo: Macroshift, Insel Verlag 2003
[2] www.holz100.at

  • Der Autor begleitet mit seinem Studio für Konzeption und Gestaltung, 22quadrat, Kunden in der Ausbildung einer ganzheitlichen Sichtweise und beim Übertrag auf Raum und Mitarbeiter.
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