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Freiraum für die Zivilgesellschaft

Am Kap der Guten Hoffnung wird der Begriff Design erweitert
Freiraum für die Zivilgesellschaft

Kapstadt ist »World Design Capital« des Jahres 2014. Viele der Projekte zielen jedoch nicht auf Produktdesign, sondern auf Umgestaltung des Lebensraums und sozialen Wandel.

~Kai-Uwe Scholz

Kapstadt ist ein Coup gelungen: Nach Helsinki trägt 2014 die südafrikanische Millionenmetropole den alle zwei Jahre vom Internationalen Designerverband ICSID vergebenen Titel »World Design Capital« (WDC). »Live Design. Transform Life«, lautet der vollmundige Claim. Doch seien wir ehrlich: Das, was man unter Design im landläufigen Sinne vor Augen hat, ist in der Stadt am Kap recht überschaubar. Ist Design in der finnischen Hauptstadt in diversen Museen, Galerien, Shops und Hotels omnipräsent, so fällt in Südafrika eher Kunsthandwerk ins Auge.
Das ist sofort im zentrumsnahen Stadtteil Woodstock zu sehen, dem Kapstädter Renommierbezirk in Sachen Design. Dort haben sich auf früheren Industrieflächen zahlreiche Kreative niedergelassen. Der Stadtplan »Woodstock Design District« lädt zu einem Spaziergang ein: Im »Woodstock Exchange« (Albert Road 66) hat die Möbel-Manufaktur Pedersen + Lennard Produktionsräume und Showroom samt Café eingerichtet, im selben Komplex werden vor den Augen der Kunden Lederwaren gefertigt, individuelle Fahrräder montiert, wird Schmuck und Schnitzwerk verkauft. Ähnlich geht es in der Old Biscuit Mill zu (Albert Road 375). Dort findet man auch die Design-Hochschule »Cape Town Creative Academy« und die »Test Kitchen«, eines der besten Restaurants der Stadt. Doch ist die Design-Konzentration auch hier eher dünn.
Ein anderes Bild bietet sich im Designgeschäft »Stable« mitten im Zentrum (Loop Street 65): Hier stechen Möbel von James Mudge, Leuchten von Framed und Accessoires von Wiid.design hervor – allesamt lokale Labels, deren Produkte auch dem kritischen Blick von außen standhalten. »Vor einigen Jahren gab es so etwas wie ›südafrikanisches Design‹ gar nicht«, sagt Betreiber Aidan Bennetts, »alles relativ neue Entwicklungen.« Habe Südafrika seinen Reichtum bisher v. a. in Farmland und Bodenschätzen gesehen, beginne jetzt kreative Energie zu sprudeln.
Ein weiterer Lichtblick: das Designhotel Villa Zest, das der Deutsch-Amerikaner Kevin Gerlach im Stadtteil Green Point eingerichtet hat. Elegant schmiegt sich das Gebäude an den Abhang zwischen dem Signal Hill und der Waterfront. Vom Balkon über dem Pool geht der Blick direkt aufs Meer. In den Wänden eingelassene Vitrinen präsentieren bunte Plastikradios und Vintage-Kameras aus den 70er Jahren.
Solch gekonnte Kombination von Architektur und Design hätte man sich von dem neuen Design Museum erwartet, das auf dem Stadtplan des »Wallpaper City Guide Cape Town« schon eingezeichnet ist. Architekt Mokena Makeka hatte dafür einen spektakulären – allzu spektakulären – Bau entworfen, in dem es weniger um Produktdesign als um »Lebensthemen« wie Nachhaltigkeit gehen sollte. Stattdessen wird nun an anderem Standort (gegenüber dem International Convention Center) nur ein Teilbereich der neuen Institution entstehen: die »Water Cathedral«, die 2015 zum »Lebensthema Wasser« eröffnet werden soll. »Viele WDC-Projekte hinken dem Zeitplan bis zu einem Jahr hinterher«, konzediert Makeka. Doch macht der Architekt bleibenden Erfolg des WDC-Jahrs gar nicht von derartigen Einzelobjekten abhängig: Als »World Design Capital« propagiere Kapstadt einen sozialen, ja emanzipatorischen Designbegriff, der die Lebenswelt der Menschen weitreichend verändern, der das Erbe der Apartheit überwinden, der Zukunft gestalten soll. Gleichsam als Zündfunken sollen weit gestreute Pilotprojekte dienen.
Einer der ersten Schritte in diese Richtung war schon die Sanierung des Bahnhofs mit Blick auf die Fußall-WM 2010. Makekas Design Lab hat dort buchstäblich aufgeräumt; heute sieht das Gebäude aus, als sei es immer eine transparente, offene, Drehscheibe einer modernen Gesellschaft gewesen. In Wirklichkeit war es eine gebaute Dokumentation der Rassentrennung: Die repräsentative Hauptfront war ausschließlich »Weißen« vorbehalten, mit exklusivem Zugang zu ihren eigenen Waggons. Die farbige Bevölkerung durfte nur einen kleinen, rückwärtig gelegenen Zugang nutzen und blieb selbst auf der Gleisbrücke durch Gitter von den anderen Reisenden getrennt.
Vom Sofakissen bis zum Städtebau
»Nur um Produktdesign kann es in Kapstadt nicht gehen«, antwortet auch Mugendi M’Rithaa, ICSID-Vorstandsmitglied und kommender Präsident des Designerverbands auf die Frage, wie der Claim »Live Design. Transform Life« zu verstehen sei. Ergonomisch und ästhetisch noch so vollendet gestaltete Duschköpfe, Parfümflakons oder Kaffeebecher würden die Lebenswirklichkeit in 90 % der Welt überhaupt nicht verändern, gezielte Eingriffe in das Stadtbild und urbane Strukturen aber sehr wohl, so der Kapstädter Professor für Product und Universal Design. Damit greift M’Rithaa die These des Architekten Hermann Muthesius von vor 100 Jahren auf, dass Gestaltung den gesamten menschlichen Lebensraum »vom Sofakissen bis zum Städtebau« in den Blick nehmen müsse.
Was das bewirken kann, lässt sich an der »Victoria & Alfred Waterfront« ablesen. Das einstige Hafengebiet wurde in eine Hauptattraktion der Stadt verwandelt. In trauter Eintracht sind heute hier »Capetonians« und Kapstadt-Besucher bis tief in die warme Nacht unterwegs, flanieren und amüsieren sich, essen und trinken in den zahllosen Outdoor-Etablissements, shoppen in Bookstores, Modetempeln, Supermärkten, Souvenir-Shops und steigen womöglich in einem der direkt am Wasser gelegenen Hotels ab. Zug um Zug wurden historische Bestände wie der alte Glockenturm seit den 90er Jahren durch neue Gebäude im alten, viktorianischen Stil ergänzt. Mit der Waterfront sei das »weltweit gelungenste Hafenerneuerungsprojekt« umgesetzt worden, meint der Architekturkritiker Roman Hollenstein – nicht zuletzt, weil sich Einheimische wie Touristen auf den Piers, Plätzen und Brücken rund um die Hafenbecken in einem sicheren Ambiente ohne Straßenkriminalität bewegen. Mit Mauern, Elektrozäunen, Überwachungskameras und Bewegungsmeldern gesicherte Hochsicherheitswohnanlagen der Reichen befinden sich gleich um die Ecke. Doch Kapstadt will sich öffnen.
»Wir wollten die architektonische Bunkermentalität der Apartheit aufbrechen und offene Räume schaffen«, sagt Eitan Karol, Chef des gleichnamigen Architekturbüros, der integrale Bestandteile des Quartiers entwarf (und zusammen mit gmp auch für das Kapstädter WM-Stadion verantwortlich zeichnet). Wo zu Apartheid-Zeiten abweisende Mauern und vergitterte, opake Fenster geplant worden seien, würden jetzt Freiflächen zum Nähertreten einladen und großzügige Glasflächen Durchblick gewähren. Die Belebung des öffentlichen Raums sorge zugleich für Sicherheit, so Karol. Damit entstehe Freiraum für die Zivilgesellschaft.
Genau das stecke auch hinter dem WDC-Konzept »People Make Places«, bestätigt Bulelwa Makalima-Ngewana, Chefin der Stadtentwicklungsagentur Cape Town Partnership. Stolz präsentiert die Stadtplanerin Initiativen wie Platzkonzerte auf dem Greenmarket Square und kostenlose WLAN-Hotspots in Townships oder auch im ›
› Company’s Garden, dem Central Park von Kapstadt. Was sich in Europa als völlig unspektakulär ausnehmen würde, hilft hier, die immer noch tief in die Köpfe eingegrabene Segregation zu überwinden – zwischen Schwarz und Weiß, aber auch über soziale und kulturelle Unterschiede hinweg. »Bridging the Divide« (das Trennende überwinden) heißt ein anderer WDC-Claim. Es geht um die Wiedergewinnung des öffentlichen Raums, um den Wandel von Mentalitäten, Schaffung einer offenen, kommunikativen Atmosphäre in der Stadt.
»Design kann Katalysator sozialen Wandels sein«, meint Mugendi M’Rithaa. Die Apartheid hat großen Teilen der Bevölkerung das Vertrauen genommen, Probleme ihres sozialen Daseins selbst anpacken und Lösungen selbst gestalten zu können. Mit dem erweiterten Design-Begriff kann den Menschen dafür wieder Werkzeug in die Hand gegeben werden. Das lässt sich auch in Townships erleben – etwa in Langa, einer der ältesten Wohnsiedlungen für die schwarze Bevölkerung.
Von sichtbarer und fühlbarer Gestaltung
In der Harlem Street von Langa (dt.: Sonne), fallen alle paar Schritte an den Häusern angebrachte, selbstgemalt aussehende Gedenkplaketten für Kapstädter Berühmtheiten ins Auge. Die Bedeutung der tellerartigen Tafeln liegt in ihrem überraschenden Informationsgehalt: Hier wurde ein gefeierter Jazzpianist geboren, dort wuchs ein bekannter Cricketspieler auf und aus dem unscheinbaren Häuschen am Ende der Straße stammt eine Kapstädter Schönheitskönigin! Ist das Armutsviertel eine Art Prominentenbezirk?
»Ja«, sagt Tony Elvin, der in Langa ein ungewöhnliches Stadtentwicklungsvorhaben initiiert hat. Der »Social Entrepreneur« will das geografisch in der Mitte, aber sozial und touristisch abseits liegende Viertel ins Bewusstsein von Bewohnern und Besuchern heben. »Wir haben Dutzende berühmter Namen entdeckt, deren Lebensgeschichten mit Langa verbunden sind und Besucher anziehen«, berichtet Elvin. Früher gehörten Ausflüge in die Townships zum sogenannten »Armutstourismus«. Jetzt können die Sightseeing-Busse neuentdeckte und neugeschaffene Sehenswürdigkeiten anlaufen. In unmittelbarer Nachbarschaft ist das Maboneng Arts Experience Project entstanden, eine Kunstaktion, die Wohnhäuser innen und außen in Galerien verwandelt. Schon hat sich in der Harlem Street mit kleinen Restaurants sowie »Bed & Breakfast«-Angeboten eine touristische Infrastruktur gebildet.
Klar, dass mit diesen Entwicklungen handfeste Vorteile verbunden sind. Dass dadurch auch eine andere Atmosphäre entsteht, zeigt sich sogleich: »Chris Hani, Politician, lived here«, steht auf einer der Plaketten. Hani, populäre Figur neben Nelson Mandela, hatte also nicht nur einen guten Draht zu den Bewohnern der Townships – er war selber einer von ihnen. Während der Besucher noch überlegt, ob er Haus und Tafel wohl fotografieren dürfe, kommt ihm die Bewohnerin mit überströmender Freundlichkeit entgegen: »Come on, take a photo, dear«, lädt sie ein. – So wird der Wandel in der »World Design Capital« Kapstadt nicht nur sichtbar, sondern auch spürbar. •
  • Der Autor arbeitet als Redakteur in Hamburg, als freier Autor publiziert er zu Architektur, Design und kulturhistorischen Themen.
  • www.wdccapetown2014.com http://langaquarter.co.za www.wdccapetown2014.com http://woodstockexchange.co.za www.wdccapetown2014.com http://coffeebeansroutes.com Der »South Africa Architectural Guide« von Nicholas Clarke und Roger Fisher gibt einen Überblick über die Baugeschichte, und somit auch die politische Geschichte, der vier größten Metropolen Kapstadt, Durban, Pretoria und Johannesburg. In engl. Sprache, 250 Seiten, über 700 Abb., Softcover, 28 Euro, DOM publishers, Berlin 2014
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