Diskurs
»Flüchtlingszelt oder Penthouse«
Bauherren müssen über den Tellerrand hinauszuschauen
~Roland Pawlitschko
Um es gleich vorwegzunehmen: Der Abend des BDA Bayern – Untertitel »Wo liegt der Münchner Wohnungsstandard der Zukunft?« – servierte keine allgemeingültigen Antworten auf die von manchem Zuhörer erwartete Frage, wie sich Architekten konkret bei der Unterbringung der seit September zu Abertausenden in München eingetroffenen Flüchtlinge einbringen können. Die Beiträge von Hilde Léon (léonwohlhage) und Roderick Rauert (LBBW Immobilien Capital) und die anschließende Diskussion mit dem Publikum brachten aber sehr wohl einige wesentliche soziale Problempunkte zur Sprache, die sich quer durch den gesamten heutigen Wohnungsmarkt ziehen. Was müssen Wohnungsbauten leisten, wenn die Grundstücke innerhalb der Stadtgrenzen nicht nur immer knapper, sondern auch immer teurer werden? Wie soll man mit Bauvorschriften und Normen z. B. in Bezug auf Standardmöblierungen in Schlafzimmern umgehen, wenn die Menschen vielfach nicht mehr mit Doppelbetten, Nachttischen und 3-m-Kleiderschränken leben?
Allein die drei Münchner Projekte von léonwohlhage zeigten dabei fast die gesamte Bandbreite des heutigen Wohnungsbaus: auf der einen Seite »The Seven« [1] mit Luxuswohnungen in einem ehemaligen Heizkraftwerk am Rand der Altstadt, auf der anderen Seite die Schallschutzbebauung am Mittleren Ring sowie die Wohnanlage in der ehemaligen Funkkaserne [2], die von der Mischung aus überwiegend geförderten Mietwohnungen, Studentenwohnungen, Pflegewohnungen, einem Familienzentrum und einer Kindertagesstätte lebt.
Offene Wohnungsgrundrisse, bodentiefe Fenster, gemeinsam genutzte Dachterrassen und vorgefertigte »Cubes«, in denen auf extrem platzsparende Weise Bad, Gäste-WC, Küche und Hauswirtschaftsraum integriert sind, zeugen vom experimentellen Charakter der vom Architekturbüro Allmann Sattler Wappner geplanten LBBW-Wohnanlage »Friends«. Dieses Projekt am oberen Rand des mittleren Preissegments im Eigentumswohnungsbau ist nicht nur deshalb von Bedeutung, weil sich der Bauherr sehr intensiv und analytisch mit den heutigen Wohn- und Lebensgewohnheiten der Menschen auseinandergesetzt hat, sondern auch, weil damit das bislang eher farblose Quartier am Hirschgarten aufgewertet wird.
Wenn zum Schluss der gut besuchten Veranstaltung auch viele Fragen offen blieben, so konnten die Besucher doch eins mit nach Hause nehmen: Die Qualität eines jeden Wohnungsbauprojekts hängt maßgeblich davon ab, wie gut es Bauherren und Architekten immer wieder aufs Neue gelingt, ganzheitlich zu denken, den Status quo zu hinterfragen und über ihren Tellerrand hinauszuschauen.
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