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Ein Angebot, das man ablehnen darf

Diskurs
Ein Angebot, das man ablehnen darf

Wer an Hamburg denkt, denkt an den Hafen und an die Landungsbrücken. Doch alles, was man von dort aus sieht, sind zwei überaus beliebig gestaltete Musical-Theaterbauten. Millionen von Besu-

~Claas Gefroi

chern haben schon von den historischen Schiffsanlegestellen auf die andere Seite der Norderelbe geschaut in Erwartung von Werften, Kränen und Containerbrücken. Wie es der Musicalkonzern Stage Entertainment geschafft hat, mitten im Hafengebiet und noch dazu in dieser prominenten Lage an allen Planungsinstanzen vorbei seine Tempel für die leichte Muse zu platzieren, wird ein Normalsterblicher nie erfahren – man hatte wohl einen ganz kurzen Draht ins Rathaus. Um die Theater zu erreichen, setzen die Besucher bislang gemütlich mit bereitstehenden Barkassen über.
Mit dem erhöhten Gästeaufkommen des erst kürzlich errichteten zweiten Theaterbaus schien diese Transportmöglichkeit den Betreibern nicht mehr adäquat, v. a. wohl zu teuer. Die Stage Entertainment verbündete sich mit dem österreichischen Seilbahnbauer Doppelmayr und diente den Hamburgern eine Seilbahn über die Elbe an, selbstverständlich nicht eigennützig, sondern um den sogenannten Sprung über die Elbe (die Entwicklung der Stadt von der Innenstadt auf die Elbinsel mit Wilhelmsburg und von dort bis nach Harburg) mit einem neuen, umweltfreundlichen Verkehrsmittel voranzutreiben. Und das Allerschönste: Der Hamburger Steuerzahler würde mit keinem Cent belastet, weil die Kosten von 35 Mio. Euro ausschließlich durch Fahrgelder zu finanzieren wären.
Doch die Argumente der Betreiber verfingen nicht – selbst Laien verstanden, dass eine nur 1,45 km lange Trasse, die auf St. Pauli im Alten Elbpark oberhalb der Landungsbrücken startet, über die Norderelbe führt und bei den Theatern in Steinwerder bereits endet, den Hamburger Süden oder das bevölkerungsreiche Wilhelmsburg gar nicht erreicht. Und so erschien trotz allen Trommelns einer investorennahen (und -gelenkten?) Initiative das Projekt vielen Hamburgern als das, was es auch ist: eine Touristenattraktion und ein Zubringer für zwei Entertainmenthallen, also ein Geschäft ohne jeden weiteren Nutzen für die Stadt und ihre Bewohner. Der Widerstand wuchs und formierte sich in einer Bürgerinitiative. Monate wogte der Streit, ausgetragen in der lokalen Presse, aber auch in den sozialen Netzwerken, hin und her. V. a. die St. Paulianer, ohnehin mit Touristenrummel, Massenevents und Verdrängung geschlagen, wehrten sich gegen eine weitere Disneyfizierung ihres Stadtteils. Auch das Parlament des betroffenen Bezirks Mitte sprach sich gegen das Projekt aus. Die von der ehemaligen CDU-Senatorin Herlinde Gundelach angeführte Pro-Initiative gab jedoch nicht klein bei und initiierte, begleitet von Plakatkampagnen, Veranstaltungen und jeder Menge Freikarten für die noch gar nicht existierende Seilbahn, erfolgreich ein Bürgerbegehren, dem das Bezirksparlament jedoch nicht stattgab. Die Seilbahnbefürworter nutzten nun die nächste und zugleich höchste Form der Bürgerbeteiligung in Hamburg und meldeten einen Bürgerentscheid an, dessen Ergebnis für die Politik bindend ist. Bei dieser Abstimmung entscheiden normalerweise alle Bürger der Stadt, doch da der Senat vorher die Zuständigkeit für das Projekt wegen vorgeblich fehlender »gesamtstädtischer Bedeutung« an den Bezirk delegierte, durften nur die dortigen 200 000 Abstimmungsberechtigten entscheiden. Der Hintergrund war klar: Im Rathaus sah man das Projekt durchaus ebenfalls kritisch, wollte sich mit diesem heiklen Thema aber (auch angesichts der Bedeutung des Musicalgeschäfts für die Stadt) nicht die Finger schmutzig machen. Verlieren die Seilbahnfreunde, löst sich ohnehin alles in Wohlgefallen auf, gewinnen sie, bleiben zumindest Bürgermeister und Senat schuldlos. Kurz vor der Abstimmung machten die Seilbahninvestoren überraschend ein weiteres unmoralisches Angebot und versprachen, im Falle eines Baus der Seilbahn dem Bezirk mindestens 10 Mio. Euro für gemeinnützige Zwecke zu spenden. Doch auch dies verfing nicht und die Bürger von Hamburg-Mitte schickten die Seilbahnpläne mit fast Zweidrittelmehrheit in die Wüste, respektive Berge. Die Erleichterung in der Stadt war groß. Was bleibt, ist die Empörung darüber, mit welcher Dreistigkeit zwei Unternehmen sich die Zustimmung der Bürger zu einem Projekt kaufen wollten, das nicht der Stadt, sondern ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen dient. Dass sie sich, unter Umgehung der üblichen politischen Entscheidungsprozesse, einer (vermeintlichen) Bürgerinitiative bedienten um einen Bürgerentscheid zu initiieren und noch dazu versuchten, mit Geldgeschenken die Bürger auf ihre Seite zu ziehen, ist schlichtweg skandalös. Die Bewohner des Bezirks Mitte haben diesen Plan bravourös durchschaut und vereitelt. Doch wer weiß, ob dies bei einem anderen Projekt an einem anderen Ort ebenfalls der Fall sein wird. Es zeigt sich hier ein bislang kaum öffentlich wahrgenommenes Problem: Bei geschickter Anwendung können mit Partizipation nicht nur Partikularinteressen durchgesetzt, sondern auch das Planungs- und Baurecht ausgehebelt werden. Hätte sich die Initiative durchgesetzt, wäre an allen Verwaltungsinstanzen vorbei ein großmaßstäblicher Eingriff in das städtische Gefüge erfolgt, ohne die Auswirkungen auf das Stadtbild, den Verkehr etc. zu prüfen und abzuwägen. Wenn Mitbestimmung auf solche Art missbraucht werden kann, ist es Zeit darüber nachzudenken, ihre gesetzlichen Grundlagen zu modifizieren. Bürgerbeteiligung darf kein Einfallstor für die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen unter Umgehung des Baurechts werden.
Der Autor ist u. a. als Architekturkritiker sowie Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Hamburgischen Architektenkammer tätig.
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