Architektur: Holzer Kobler Architekturen
Tragwerksplanung: IFB Frohloff Staffa Kühl Ecker
Kritik: Robert Uhde
Fotos: Jan Bitter, Holzer Kobler Architekturen
Mit seinem breiten Sandstrand, seiner einzigartigen Strandbrücke, den typischen Pfahlbauten, »Giftbuden« genannt, sowie seiner heilenden Schwefelquelle zählt St. Peter-Ording zu den beliebtesten Seebädern an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste. Als weitere touristische Attraktion vor Ort hat die Gemeinde zuletzt eine hochwertig gestaltete Naturerlebnis-Promenade entlang des Deichs entstehen lassen. Der nach Plänen der Berliner Landschaftsarchitekten Uniola realisierte Grünzug ist geprägt durch den Wechsel von offenen Wiesen und Gehölzabschnitten. Kleine Installationen, verschiedene Aufenthaltsbereiche sowie zahlreiche Spiel- und Erholungsangebote laden zum Entdecken und Lernen ein und nehmen dabei auf vielfältige Weise Bezug auf den Nationalpark Wattenmeer.
Offene Holzbauweise
In einem zweiten Bauabschnitt und als südlicher Endpunkt der Promenade ist vor wenigen Wochen das »Erlebnis-Hus« eröffnet worden. Der 21,40 m hohe, nach Plänen des Berliner Büros Holzer Kobler Architekturen umgesetzte Entwurf überrascht durch seine aufgeständerte – und somit flutsichere – Holzbauweise, deren experimentelle Umsetzung fast schon an einen temporären Abenteuerspielplatz denken lässt. Auf fünf luftigen Ebenen mit einer Bruttogeschossfläche von 2 950 m² finden sich unterschiedlichste Möglichkeiten für eine abwechslungsreiche Zeit mit der ganzen Familie. Sämtliche Funktionen, vom Spielhaus über Verwaltung, Tourismusinformation und Restaurant bis hin zu Sanitäranlagen, sind in fünf unterschiedlich großen Quadern untergebracht, die an unterschiedlichen Positionen in die sichtbar gebliebene Tragwerksstruktur aus Holz eingeschoben sind.
Charakteristisch für die Architektur sind außerdem die großen Panoramafenster sowie die offenen Treppen, Durchgänge und Aussichtsplattformen, die den Besucherinnen und Besuchern neben ausreichend Wind um die Ohren auch einen freien Blick auf die angrenzenden Salzwiesen, den Strand, die Nordsee und über die Halbinsel Eiderstedt ermöglichen. Als Windschutz im Terrassenbereich des Restaurants wurden rosa bis violett getönte Brüstungen aus Glas integriert.
Im allseitig offenen EG sowie im Außenbereich des mit Landes- und Bundesmitteln geförderten Holzhybridbaus stehen den Besuchenden zunächst unterschiedliche in die Holzmatrix integrierte Spielgeräte und Spielflächen sowie eine anspruchsvolle Halfpipe zum Skaten zur Verfügung. In den beiden darüber liegenden Ebenen hat neben einem Büroraum auch das bislang im Ortsteil St. Peter Dorf gelegene und jetzt umgezogene Spielhaus für alle eine neue Heimat gefunden. Der doppelgeschossige Raum mit dem riesigen, insgesamt 16,5 x 6,6 m großen Panoramafenster und dem mit einem strapazierfähigen grauen Linoleumbelag bedeckten Boden bietet nicht nur eine große Auswahl an Spiel- und Klettermöglichkeiten sowie kleinere Ruhebereiche, sondern umfasst auf seiner oberen Ebene auch eine offene Galerie mit luftiger Küche, in der Familien gemeinsam kochen oder backen können. Zusätzlich wird ein vielfältiges Veranstaltungsprogramm für drinnen und draußen angeboten. Die Auswahl reicht von Bastelstunden und Kreativwerkstätten bis hin zu Theateraufführungen oder Konzerten.
Im 2. OG erwartet die Besucherinnen und Besucher eine neue Zweigstelle der örtlichen Tourismus-Zentrale. Mit integriert haben die Planer hier auch eine kleine Leseecke sowie einen öffentlich nutzbaren Arbeitsplatz mit Computer und mit attraktiver Aussicht über die neue Promenade und auf den Strand. Eine Etage höher haben die Verantwortlichen ein Restaurant vorgesehen, das allerdings erst im nächsten Jahr eröffnen wird. Und auf der vierten und fünften Ebene findet sich eine offene Plattform mit 360°-Aussicht, die noch weiter oben auch Zugang zu einer 56 m langen Rutsche bietet. Letztere führt durch den kompletten Pfahlbau bis ganz nach unten.
Für eine optimierte Erschließung sind sämtliche Ebenen über Außentreppen, über einen zentralen Treppenhauskern sowie barrierefrei über einen Fahrstuhl miteinander verbunden. Zusätzlich integriert wurde ein öffentlich nutzbarer Sanitärbereich. Ergänzt wird das Konzept durch einen offenen Steg, der vom 1. OG des Neubaus direkt zu dem auf gleicher Höhe gelegenen Fußweg auf der Deichkrone führt. Am Kreuzungspunkt von Steg und Deich gibt es auch eine kleine Aussichtsplattform, die schon von Weitem auf dem Deich das Haus markiert. Die gesamte Haustechnik wurde im EG platziert und dort wiederum zum Schutz gegen Hochwasser teilweise aufgeständert.
Wettbewerb im Vorfeld
Aufgrund der großen Bedeutung des Projekts für den Ort und der sensiblen Grundstückslage im Übergang zu den Salzwiesen und zum Sandstrand hatte die Gemeinde im Vorfeld des Projekts einen Wettbewerb ausgelobt, in dem sich Holzer Kobler Architekturen gegen Entwürfe regionaler Büros behaupten konnten: »Die Aufgabe bestand darin, eine nachhaltig ökologische und architektonisch einprägsame Lösung zu entwickeln, die zur Attraktivität des Orts beiträgt und die Besucherinnen und Besucher aller Altersgruppen und Hintergründe dazu einlädt, gemeinsam Zeit zu verbringen«, fasst Geschäftsführerin und Projektbetreuerin Andrea Zickhardt von Holzer Kobler Architekturen die Vorgaben der Gemeinde zusammen.
Als Antwort auf das vielschichtige Anforderungsprofil ist den Planern ein filigraner Entwurf in offener, frei bewitterter Holzbauweise gelungen, der sich mit seiner markanten Aufständerung ganz explizit auf die traditionelle Strandhaustypologie vor Ort bezieht. Als große Herausforderung gestaltete sich dabei die Höhe des Gebäudes: »Denn von der Landseite her sollte der Neubau durchaus als Landmarke erscheinen, während er von der Strandseite her trotz seiner imposanten Höhe aufgrund des dazwischenliegenden Deiches deutlich kleiner wirkt, sodass er die naturnahe Umgebung nirgends dominiert«, wie Andrea Zickhardt erklärt.
Offene Tragstruktur aus Holz
Verstärkt wird die Einbindung in die Natur durch den fließenden Übergang zwischen innen und außen sowie durch die halboffene Struktur des Baus: »Die Konstruktion besteht aus einem orthogonalen Tragwerk mit einem Achsraster von 4,5 x 4,5 m und mit 26 x 26 cm starken Stützen und 20 x 40 cm starken Trägern aus Brettschichtholz (Sibirische Lärche), das durch zusätzliche Diagonalverstrebungen aus Stahl zusätzlich ausgesteift ist«, beschreibt Andrea Zickhardt den Aufbau. »Darin eingebunden sind an unterschiedlichen Positionen die fünf massiven, zwischen 9,4 x 6,5 und 18,7 x 17,4 m großen und bis zu 7,8 m hohen Kuben aus Brettsperrholz.« Die verschiedenen Kuben sind außenseitig von einer mit weißer »Schwedenfarbe« beschichteten Fassade aus Fichtenholz umgeben. Im Zusammenspiel mit den großflächigen Aluminiumfenstern ist eine abwechslungsreich untergliederte Gebäudestruktur mit unterschiedlichsten Funktionen entstanden, die sich nahtlos in die maritime Umgebung einfügt.
Versteift wird die Holzkonstruktion durch einen 7,3 x 5,3 m großen Stahlbetonkern mit Aufzug, Treppenhaus und Infrastrukturräumen: »Im Ergebnis besteht die Konstruktion aber dennoch zu 80 % aus Holz und entspricht damit dem Anspruch der Gemeinde, ein zukunftsfähiges Gebäude mit hoher Nachhaltigkeit umzusetzen«, erklärt Andrea Zickhardt. Optimiert wird die positive Ökobilanz durch die hohe Flexibilität und die hohe Recyclingfähigkeit der verwendeten Materialien: »Denn aufgrund der matrixartigen Struktur des Gebäudes wäre es bei Bedarf einerseits ohne großen Aufwand möglich, den Bau zu erweitern oder andererseits die einzelnen Elemente zu demontieren und an anderer Stelle für einen anderen Neubau wiederzuverwenden.«
Ein entscheidender Faktor bei der Wahl des Materials Holz war die lange Erfahrung der Gemeinde St. Peter im Umgang mit ihren Pfahlbauten: »Eine große Herausforderung ist v. a. die salzhaltige Luft hier vor Ort, die für eine vergleichsweise schnelle Bewitterung sorgt«, erklärt Andrea Zickhardt. »Jeder andere Bauherr hätte da beim Stichwort Holz sofort abgewunken.
Aber hier vor Ort wussten die Beteiligten ganz genau, worauf sie sich einlassen und welche speziellen Maßnahmen zur Pflege erforderlich sind.« Das gleiche Problem stellte sich anschließend auch bei der Ausbildung der Knotenpunkte mit ihren bis zu 80 cm langen Stahlschwertern: »Am Anfang hatten wir überlegt, die Verbindungen komplett abzudecken, um sie gegen Feuchtigkeit zu schützen«, blickt Andrea Zickhardt zurück. »Nach intensiver Beratung mit verschiedenen Spezialist:innen haben wir dann aber beschlossen, die Konstruktion so offen wie möglich auszubilden, sodass der Wind die anfallende Feuchtigkeit aufnehmen kann und eventuelle Schäden sofort sichtbar sind.« Die steife Brise beim Gang durch das Erlebnis-Hus erfreut also nicht nur die Tourist:innen , sondern sie sorgt letztlich auch für einen optimierten Korrosionsschutz. Im Verbund von sichtbar belassener Konstruktion und radikal offener Architektur ist ein mutig-experimentelles Gebäude entstanden, das sich offen in den Wind stellt, eines, das sich einbringt und das sich ohne Vorbehalte zu seinem Standort bekennt: ein Entwurf, so »friesisch herb« wie seine Umgebung.
Unser Kritiker Robert Uhde hat den Vor-Ort-Termin am Meer genossen. Zur Benutzung der riesigen Rutsche konnte er sich allerdings nicht durchringen. Beim nächsten Mal wird er einfach hinuntersausen. Ganz bestimmt!
- Standort: Fritz-Wischer-Straße 1, 25826 St. Peter-Ording
Bauherr: Tourismus-Zentrale St. Peter-Ording, St. Peter-Ording
Architektur/Generalplanung: Holzer Kobler Architekturen Berlin GmbH, Berlin
Projektleitung: Andrea Zickhardt, Max Kaske, Philip N. Peterson
Mitarbeitende: Ingo Böhler, Heike Zeschke, Sebastian Hübsch, Julia Kull
Bauleitung (LPH 8): Assmann Beraten + Planen GmbH, Hamburg; Roland Pape
Tragwerksplanung: IFB Frohloff Staffa Kühl Ecker Beratende Ingenieure, Berlin; Andreas Hertel
Landschaftsarchitektur/Generalplanung: Uniola AG Landschaftsarchitektur Stadtplanung, Berlin; Andreas Kotlan, Yvonne Schwerk
Gebäudetechnik-Planung: Ingenieurbüro Pahl und Jacobsen Technische Gebäudeausrüstung, Heide; Horst Pahl
Elektroplanung: Ingenieurbüro für Elektrotechnik GDP PartmbB, Thöming, Sieck, Kagelmann, Büdelsdorf; Jürgen Mond
Bauphysik: Müller-BBM GmbH, Berlin; Michael Pfister
Lichtdesign: Lichtvision Design Berlin, Berlin; Carla Wilkins
Brandschutzplanung: brandschutz plus GmbH, Berlin; Reinhard Eberl-Pacan, Flavio Villani
BGF: 2 950 m²
BRI R: 5 815 m³
BRI S: 2 865 m³
BRI: 8 680 m³
Baukosten (Brutto, Architektur und Freiflächen): 12,6 Mio. Euro
Bauzeit: April 2021 bis Juni 2023
- Beteiligte Firmen:
Holzbau: Terhalle Holzbau GmbH, www.terhalle.de
Brettschichtholz-Stützen und -Träger der Außenwände: Sibirische Lärche, Mayr Melnhof Holz, www.mm-holz.com
Brettsperrholz-Außenwände und Deckenplatten: Fichte, Stora Enso, www.storaenso.com
Beschichtung Holzfassade: Schlammfarbe, Falu Vapen Schweiz , www.schwedenfarben.ch
Tür- und Fensterbeschläge: FSB, www.fsb.de
Innenbodenbelag, Linoleum: Marmoleum Concrete, Forbo, www.forbo.com
Akustikdecke, Holzwolleplatten: Cewood Fine, Cewood, www.cewood.com
Elektroschalter: LS 990, Aluminium, Jung, www.jung.de
Holzer Kobler Architekturen
Andrea Zickhardt
Architekturstudium an der FH Potsdam, Master. Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros, u. a. bei Sou Fujimoto, Tokio und Ludloff Ludloff Architekten, Berlin. Seit 2016 Mitarbeit bei Holzer Kobler Architekturen, seit 2019 Mitglied der Geschäftsleitung, Büroleitung Berlin.
Max Kaske
Architekturstudium an der TU Wien und am KIT, 2016 Master. Stipendium an der aac-Academy for Architectural Culture in Hamburg und Teheran. Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros, u. a. Grüntuch Ernst Architekten, Berlin, HG Merz Architekten, Stuttgart, und am Deutschen Archäologischen Institut, Istanbul. Seit 2017 Mitarbeit bei Holzer Kobler Architekturen, Berlin.
Robert Uhde
Studium der Kunst und Germanistik in Oldenburg. Erstes Staatsexamen. Ausbildung zum Fachredakteur für Architektur bei der Verlagsgruppe Rudolf Müller in Köln. Seit 1997 freier Autor für Fachzeitschriften und Tageszeitungen. Eigenes Büro in Oldenburg.