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Pavillon »Blaue Stunde« in Berlin von modulorbeat

Blau machen
Pavillon »Blaue Stunde« in Berlin

Der lange Jahre brach liegende Spreepark Berlin wird nach und nach zu neuem Leben erweckt. Im Rahmen der nötigen Sicherungsmaßnahmen wurde das Restaurant entkernt und die früher verborgene Tragstruktur erstrahlt in neuem, leuchtend blauem Glanz.

Architektur: modulorbeat

Kritik: Anke Geldmacher
Fotos: Jan Kampshoff, euroluftbild.de/Lothar Willmann

Ab 1969 gab es einen ständigen Rummelplatz im Plänterwald, in unmittelbarer Nähe zum Treptower Park in Berlin: Der »VEB Kulturpark« war der einzige Freizeitpark der damaligen DDR. Ab 1992 wurde er dann im wiedervereinten Berlin als Spreepark betrieben, bis 2001 die Betreiber Insolvenz anmelden mussten. Darauf folgte eine wilde Zeit, in der die damalige Pächterfamilie nicht nur mit Geld, sondern auch einzelnen Fahrgeschäften nach Peru umzog oder wohl eher flüchtete. 2014 kaufte das Land Berlin die Liegenschaft zurück. Seit 2016 ist die landeseigene Grün Berlin GmbH zuständig und dabei, dem Park wieder Leben einzuhauchen. Seit 2020 finden bereits einzelne Veranstaltungen und Führungen statt, bis 2026 ist die komplette Wiedereröffnung geplant. Die Herangehensweise erinnert ein wenig an eine Hochzeit: etwas Altes, etwas Neues, etwas Geliehenes, etwas Blaues. Alt ist der Park an sich und insbesondere einige erhaltene Teile, wie z. B. das Eierhäuschen, das neben Gastronomie auch Ausstellungs- und Wohnräume für Künstler:innen beherbergt. Neu sind zahlreiche Interventionen von Künstler:innen, betreut und organisiert vom Spreepark Art Space. Dieser untersucht, wie Stadt- und Freiraumentwicklung einerseits und Kunst andererseits voneinander profitieren können. Es gibt einzelne Kunstaktionen, aber auch dauerhafte Projekte, zu denen u. a. die Blaue Stunde gehört. Geliehen hatten sich die früheren Betreiber einiges an Geld. Und Blau erstrahlt das ehemalige Schnellrestaurant, die sogenannte Mero-Halle. Namensgebend dafür war der Meroknoten: ein Raumfachwerk, bei dem Stahlrohre in vorgegebenen Winkeln in kugelförmigen Verbindungselementen zusammengesetzt werden. Viel mehr als diese Struktur und die Bodenplatte ist auch nicht übrig vom Bestandsgebäude. Verantwortlich zeichnet das Büro modulorbeat aus Münster, das nach eigenen Angaben irgendwo zwischen Kunst, Architektur und Urbanismus angesiedelt ist. Und »dazwischen« befindet sich auch das Gebäude, das in Anlehnung an die Dämmerung als Zwischenzustand und Transformation den Namen »Blaue Stunde« trägt.

Grundlage war ein Rahmenplan der Arbeitsgemeinschaft Latz + Partner – Riehl Bauermann unter Mitarbeit von LOMA architecture landscape urbanism, der bereits eine Entkernung der Halle vorsah, diese aber anhob und u. a. auch eine neue Bodenplatte plante. Diese Anlehung an den Rahmenplan mag manch eine:r kritisch sehen, aber ganz ehrlich: Bleibt man nah am Masterplan, ist es geklaut; macht man es anders, ist es ignorant. Allen recht machen kann man wohl es nie.

Nicht-Bauen als Bauaufgabe

Modulorbeat stieg 2020 ein. Da stand bereits fest, dass die Halle so nicht zu halten ist und zumindest die Tragstruktur zu sichern wäre, wollte man sie weiterhin nutzen. Dach und Wände wurden entfernt, der Boden jedoch blieb drin. Es sind keine wirklichen archäologischen Spuren, aber Zeugen der Vergangenheit. So kann man anhand der Lücken im roten Fliesenboden heute noch sehen, wo sich früher die Toiletten befanden, oder erahnen, wo in der Küche großes Gerät stand oder Rohre verliefen. Die eine oder andere Unebenheit wird bei Regen sichtbar, wenn sich Pfützen bilden, in denen sich die Konstruktion spiegelt. Die Blaue Stunde interagiert immer wieder unterschiedlich mit ihrer Umgebung. Je nach Tages- und Jahreszeit wirkt die Farbe etwas anders, zwischen geplantem und angelegtem Grün bahnt sich Spontanvegetation ihren Weg, die Vorhänge wehen im Wind. Gerade dieses Improvisierte und Experimentelle macht den Charme dieses (Nicht-)Gebäudes aus.

Die besagte und namensgebende Farbe ist nicht nur ein Blickfang, sondern in erster Linie dringend nötiger Korrosionsschutz. Die Tragstruktur wurde an manchen Stellen ertüchtigt und ergänzt und anschließend enzianblau gestrichen. »Natürlich hätten wir auch eine andere Farbe nehmen können. Rot war irgendwie naheliegend, hat man jetzt aber auch oft gesehen. Blau fanden wir einfach gut und passt in den Park hinein«, so Jan Kampshoff, einer der zwei Gründer von modulorbeat. Insgesamt ist das Projekt von einem sehr angenehmen Pragmatismus geprägt. »Wenn ich keinen Innenraum brauche, baue ich auch keinen«, erklärt Kampshoff die komplette Abwesenheit von Wänden. Dieses Nicht-Bauen muss man sich erst einmal trauen. Aber wo ist das besser möglich als in einem Berliner Freizeitpark, der noch dazu vom Spreepark Art Space explizit als Forschungs- und Entdeckungsprojekt gedacht ist? Modulorbeat sieht darin auch weniger eine architektonische als eine kuratorische Aufgabe: »Es ist im Prinzip alles schon da. Wir verknüpfen und vernetten und machen den Raum wieder nutz- und erlebbar«, beschreibt Kampshoff seine Rolle. Und sie waren keineswegs untätig: Sie teilten die Halle bzw. das, was von ihr übrig blieb, in zwölf gleich große Quadrate auf – ein wenig wie ein Spielfeld. Die Blaue Stunde ist Spielwiese, Experimentierfeld, Erprobungsraum. Als »Spielmaterial« stellten sie fünf gerade und drei runde Bänke auf, hängten drei Vorhänge, die innerhalb ihres Rasterstücks verschiebbar sind, auf und setzten der Konstruktion zwei transluzente Kunststoffdächer auf. So sind manche der Quadrate stärker abgetrennt als andere. Der Raum passt sich an, je nach Nutzung. Wenn der Spreepark ab 2026 regulär geöffnet ist, wird hier vermutlich entspannt Pause gemacht und vom Blauen ins Grüne geschaut.

Temporär als Chance

Ursprünglich war die Blaue Stunde als temporäre Lösung geplant. Manchmal überzeugen die Übergangslösungen dann aber so sehr, dass sie bleiben dürfen – so wie hier. Auf die Frage, was man denn nun noch ändern wolle oder müsse, um es dauerhaft zu nutzen, waren sich Betreiber und Architekt recht einig: Ach, also eigentlich nix, oder? Gegebenenfalls könnte man die hölzerne Unterkonstruktion der zwei Kunststoffdächer austauschen, da sie nicht unbedingt auf Langlebigkeit ausgelegt war. Hier kann man noch nachlegen, muss man aber (noch) nicht. Dieser Mut zum Experiment tut gut. Vermutlich liegt da auch die Chance. Hätte man das Projekt von vornherein langfristig angelegt, wäre manches vielleicht gar nicht möglich gewesen.


db-Redakteurin Anke Geldmacher kennt den Spreepark noch als Freizeitpark aus ihrer Kindheit. Mehr als 20 Jahre nach ihrem letzten Besuch kehrte sie zurück und entdeckte ihn mit Architekt Jan Kampshoff neu.


  • Standort: Kiehnwerderallee, 12437 Berlin
    Bauherr: Spreepark Art Space / Grün Berlin GmbH, Künstlerische Leitung: Katja Aßmann
    Architektur: modulorbeat, Münster
    Mitarbeiter: Jan Kampshoff, Marc Günnewig, Manuel Heck, Emma Kortstegge, Yannick Schulze
    Baukosten: keine Angabe
    Bauzeit: 2021 bis April 2022

modulorbeat


Jan Kampshoff

Architekturstudium an der Münster School of Architecture. 2004 Büro mit Marc Günnewig. 2009-15 wissenschaftliche Mitarbeit an der Universität Kassel. Lehrauftrag an der Bergischen Universität Wuppertal, University of Auckland und Universität Innsbruck. Seit 2017 Gastprofessur an der TU Berlin.


Marc Günnewig

Architekturstudium an der Münster School of Architecture. 2004 Büro mit Jan Kampshoff. Wissenschaftliche Mitarbeit an der TU Berlin und RWTH Aachen. Lehrauftrag an der University of Auckland. 2010-14 Lehrauftrag an der Münster School of Architecture. 2011-15 Lehrauftrag an der Universität Kassel. Seit 2023 Vertretungsprofessur an der Bergischen Universität Wuppertal.


Anke Geldmacher (~ag)

Architekturstudium in Potsdam und Berlin, Abschluss 2012 (M. Sc.). Mitarbeit in mehreren Architekturbüros und einer PR-Agentur. Seit 2015 Redakteurin der db deutsche bauzeitung.

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