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Vom Möbelkaufhaus zum Radiosender in Olmütz | Atelier 38

Baukultur geht auf Sendung
Umnutzung eines Möbelhauses zum Radiosender in Olmütz

Der Radiosender Olomouc (Olmütz) sendet seit einem Jahr aus einem ehemaligen Möbelkaufhaus. Diesen Stahlbetonskelettbau sanierte Atelier 38 so, dass die ursprüngliche Raumqualität ablesbar bleibt. Das Ergebnis überzeugt trotz einiger unlösbarer Widersprüche.

Architektur: Atelier 38
Tragwerksplanung: Marpo

Kritik: Anne Isopp
Fotos: BoysPlayNice, Atelier 38

In Tschechien muss laut Gesetz jede Kreisstadt eine eigene lokale Radiostation haben. So auch Olmütz, eine 100 000-Seelen-Stadt in der osttschechischen Provinz Mähren. Olmütz ist bekannt für seine barocken Brunnen, für seine Universität, die zweitälteste Tschechiens, und für den Olmützer Quargel, einen Sauermilchkäse mit Rotschmiere.

Seit 75 Jahren sendet man von hier. Anfangs waren es nur zwei Stunden am Tag als Lückenfüller für die benachbarten Radiostationen in Brno (Brünn) und Ostrava (Ostrau), bis man bald zu einem tagesfüllenden lokalen Programm überging.

Der Radiosender Olmütz war bis vor etwa einem Jahr in einem Haus direkt am Hauptplatz zur Miete untergebracht. Nicht nur das Haus, auch die Studios waren in die Jahre gekommen. »Es war dunkel und eng«, erinnert sich Josef Podstata an seine Anfänge vor zehn Jahren beim lokalen Radiosender Olmütz. Heute leitet er das Olmützer Lokalradio und das der benachbarten Region Ostrava. Da das tschechische Radio als staatliche Einrichtung nicht in eine kommunale Immobilie investieren darf, begab man sich auf die Suche nach einer eigenen und fand ein Gebäude, deren Besonderheit viele in Olmütz schon vergessen hatten: das ehemalige Möbelhaus Klein.

Ein früher Stahlskelettbetonbau

Das Möbelhaus Klein war eines der ersten Stahlbetonskelettbauten der Region, 1911 vom tschechischen Architekten Christoph Glaser erbaut. Auf einem sehr schmalen, aber lang gestreckten Grundstück befand sich hinter einer Art-déco-Fassade ein moderner Innenraum mit einem lang gezogenen, glasüberdachten Atrium, einer großzügigen Treppenanlage und einem damals modernen Lastenaufzug. Das Einkaufen war ein Erlebnis. Daran erinnert sich auch Josef Podstata: »Ich war hier mit meinen Eltern einkaufen. Daran habe ich mich aber erst wieder erinnert, als das Oberlicht freigelegt wurde. Dass es dieses tolle Atrium hier gibt, hatten viele in der Stadt vergessen.« Vor dem Verkauf der Immobilie an den Radiosender war hier ein Secondhandladen zur Miete untergebracht. Die Ladenbetreiber hatten, um sich vor der Kälte zu schützen, das Atrium über dem dritten OG mit einer Schicht Mineralwolle abgehängt. Dadurch kam kein Tageslicht mehr herein und das Oberlicht konnte man auch nicht sehen.

Den Innenraum kann man sich auch heute noch gut als Möbelhaus vorstellen. Als Wienerin wird man unweigerlich an das Möbelkaufhaus Leiner in der Mariahilferstraße erinnert, das trotz vieler Proteste vor Kurzem abgerissen wurde. Auch hier gab es einen glasgedeckten Innenhof mit schmiedeeisernen Geländern. Für das Haus in Olmütz orientierte sich Architekt Christoph Glaser aber, so schreibt es Atelier 38, an einem anderen Wiener Kaufhaus, dem berühmten Herzmansky Warenhaus. Dessen Gründergebäude ist auch heute noch mit seiner Art-déco-Fassade in einer Seitenstraße der Mariahilferstraße zu bewundern. In Olmütz hingegen wurde die Fassade im Zweiten Weltkrieg so stark beschädigt, dass sie durch eine im Sinne des Funktionalismus gestaltete Keramikfassade mit Bandfenster ersetzt wurde. Entworfen hat diese der Architekt Jaroslav Česal. Inzwischen steht in metallenen Lettern auf der Keramikfassade Český Rozhlas geschrieben, was auf Deutsch: Tschechischer Rundfunk heißt.

Das ehemalige Kaufhaus und heutige Rundfunkgebäude liegt nur etwa 100 m Luftlinie vom alten Standort entfernt, in einer kurzen Stichstraße. Vom Hauptplatz kommend, kann man das Haus leicht übersehen, da es um wenige Zentimeter aus der Flucht zurückweicht und von den anderen Häusern verdeckt wird. Steht man vor dem Gebäude, sieht man im EG durch geschosshohe Verglasungen rechts in den Empfangsbereich hinein und links in ein Bürozimmer. Früher befanden sich hier die verglasten Schauvitrinen. Dazwischen liegt die Eingangstür. Ein Stichgang führt in das zentrale Atrium, das Herzstück des Gebäudes. Betritt man das Atrium, wird der Blick automatisch nach oben gezogen. Das Atrium hat die Form eines lang gezogenen Ovals. Das EG und die beiden darüberliegenden Geschosse dienten dem Möbelhaus als Verkaufsfläche. Das 3. und 4. OG waren Büroetagen. Als Trennung zwischen den beiden Nutzungsarten liegt auch heute noch ein Stahlrost, der früher mit Glasbausteinen belegt war. Heute wird das EG für Ausstellungen und manchmal auch für Konzerte genutzt.

So nah wie möglich am Original

Den Bestand an die Bedürfnisse eines Radiosenders anzupassen war räumlich, statisch und brandschutztechnisch keine leichte Aufgabe, zumal auch in diesem Fall wie in Tschechien bei öffentlichen Aufträgen üblich der preisgünstigste Planungsanbieter beauftragt wurde. So war es ein Glücksfall, dass die Architekten von Atelier 38 zum Zug kamen. Sie gingen einfühlsam und geschickt mit dem Bestand um.

»Die größte Herausforderung bestand darin«, sagt Tomáš Bindr von Atelier 38, »Zellenbüros in einem frei fließenden und gleichzeitig engen Raum unterzubringen und dabei die Wirkung des zentralen Raums zu erhalten.«

Im Gebäudeteil zur Straße hin sind heute die Büros untergebracht, im rückwärtigen Gebäudeteil die Studios. Ursprünglich wollten die Architekten den rückwärtigen Teil des Gebäudes abreißen und durch einen Neubau ersetzen, mit dem sie die Anforderungen an die Studios leichter hätten erfüllen können. Aus Kostengründen jedoch blieb der Altbau erhalten und die Aufnahmestudios wurden als Haus-im-Haus-Lösung in den Bestand integriert.

Schwierig zu nutzen sind v. a. die Flächen entlang der Längsseiten des Atriums. Da das Grundstück sehr schmal ist, haben die Flächen an manchen Stellen kaum mehr als 3 m Raumtiefe.

Das ursprünglich offene Treppenhaus wurde aus Brandschutzgründen komplett eingehaust. Die Treppenhauswand reicht direkt an das Atrium heran. Aber nicht nur hier kommen ergänzte Wände dem Geländer des Atriums nahe. Die Architekten haben jedoch diese neuen Wände immer, vom Atrium aus betrachtet, hinter der bestehenden Stahlbetonkonstruktion platziert und mit einer Fuge abgesetzt, sodass man die alte Skelettstruktur immer noch gut ablesen kann. Die neu eingezogenen Wandscheiben wirken an manchen Stellen fast wie Vorhänge – als könnte man sie hinter dem Geländer einfach vor- und zurückziehen, insbesondere dort, wo sie, der ovalen Form des Atriums folgend, ebenfalls gebogen sind und nicht bis zur nächsten Stahlbetonstütze gezogen sind, sondern einen Spalt offen lassen. Besonders gut sieht man das von der mittleren der drei über das Atrium führenden Brücken. Diese liegt im 3. OG und ist die Lieblingsbrücke des Radiodirektors. Von hier aus hat man auch wirklich einen guten Überblick. In jedem Geschoss flankieren geschlossene Wände das Geländer, wechseln sich dann mit verglasten Wänden und zum Atrium hin offenen Räumen für Teeküchen und Sitzecken ab. Wer allerdings einmal um das Atrium herumgehen will, muss dafür also einige Türen öffnen und wieder schließen.

Den Bestand ertüchtigen

Im Zuge der Sanierung musste v. a. die Tragfähigkeit der Stahlbeton-Rippendecken erhöht werden. Die Architekten ersetzten jede zweite Rippe durch einen Stahlträger. Diese Träger wurden zur Hälfte in die Deckenplatten eingelassen und aus Brandschutzgründen mit Gipskartonplatten ummantelt.

Die Decke des 1. OGs wies so viele Beschädigungen auf, dass sie komplett erneuert werden musste. Ansonsten wurden die Bewehrungen gereinigt und mit Reprofiliermörtel saniert. Risse in den Decken wurden kartiert, wo nötig verfüllt oder durch Einkleben von Bewehrung »genäht«. Teilweise wurde die Konstruktion auch mit Carbonlamellen verstärkt. In allen Etagen wurden Terrazzoböden eingebracht. Die Architekten orientierten sich auch hierbei eng am ursprünlichen Zustand von 1911. Heute laufen unter den Decken offene Kabeltrassen mit bunten Leitungen. Diese bringen Farbe in das konsequent weiß gehaltene Innenleben. Das Glasdach wurde ebenfalls erneuert und mit einer Dreischeibenverglasung versehen.

»Während des Entwurfsprozesses haben wir uns bemüht, die sichtbare Tragstruktur des Hauses zu erhalten und die Integrität und skulpturale Qualität des zentralen Raumes nicht zu zerstören«, erzählt Tomáš Bindr von Atelier 38.

Radio muss berühren

Es ist großartig, dass das Gebäude eine neue Nutzung gefunden hat. Und doch bleibt einem nicht verborgen, dass dafür der eine oder andere Kompromiss erforderlich war. Der Widerspruch, aus einem offenen Verkaufsraum Zellenbüros zu machen, lässt sich auch nicht ganz aufheben. In den oberen Etagen wird dieses Manko durch die vielfältigen Blickbeziehungen und das Wechselspiel von offenen, verglasten und geschlossenen Bereichen aufgehoben, nicht aber im EG. Diese Fläche ist bis auf eine Nische fast vollständig umschlossen. Es bleibt nur die Fläche des Atriums und dieser wirkt dadurch weniger wie ein Aufenthaltsraum als vielmehr wie ein Durchgangsraum.

Noch steht das oberste Geschoss leer. Hier befindet sich zur Straße hin ein Bereich, der aus dem sonstigen räumlichen Rahmen fällt. Die darüber liegenden Deckenuntersichten der Dachkonstruktion steigen von der Straßenfassade her steil auf, um dann flach zum Oberlicht hin wieder abzufallen. Doch fehlt es hier an Tageslicht. Zwar zeigen Bilder der ursprünglichen Fassade von 1911 ein Rundfenster, die Stadt aber erlaubte keine zusätzlichen Fensteröffnung an der Nachkriegsfassade von Jaroslav Česal. Es würde sich sicherlich eine Lösung finden, um die Ansicht von der Straße zu erhalten und dem Raum dennoch Tageslicht zu gewähren. Nun soll stattdessen ein Aufnahmestudio eingebaut werden. Aber das Wichtigste ist, davon ist Josef Podstata überzeugt, dass das Haus was mit den Menschen macht. Von dunklen engen Räumen kommend, arbeitet die Belegschaft nun schon seit etwa einem Jahr an diesem transparenten und auch ungewöhnlichen Ort. »Das Radio muss nah am Menschen sein. Radio muss berühren«, sagt er. Deshalb sei dieses Haus auch genau das richtige für sie als lokales Radio.


Unsere Kritikerin Anne Isopp (links) wurde von dem Radiodirektor Josef Podstata (rechts) durch das Gebäude geführt.


  • Standort: Pavelčákova 2/19, CZ-779 00 Olomouc

    Bauherr: Český rozhlas, Prag
    Architektur: Atelier 38, Ostrava; Tomáš Bindr, Martin Struhala, Hana Staňková, Pavel Malček
    Tragwerksplanung: Marpo, Ostrava; Radan Sležka, Martin Sležka
    Akustikplanung: AVT Group, Prag; Martin Vondrášek
    Raumakustikplanung: AVT Group, Prag; Karel Motl
    Elektroplanung: Elektro projekce, Ostrava; Ondřej Křemen, Hana Matušková
    HLK-Planung: Atelier 38, Ostrava; Lukáš Onderka;
    CM Projekt, Brünn; Marek Cabal
    Brandschutzplanung: JakFire, Skotnice; Jaroslav Kutač
    Überbaute Fläche: 642 m²
    Nutzfläche: 2 270 m²
    BRI: 12  324 m³
    Baukosten: 2,76 Mio. Euro Konstruktion, 240 000 Euro Ausstattung
    Planung: 2019-20
    Bauzeit: September 2020 bis Mai 2022

Atelier 38


Tomáš Bindr

1992-99 Architekturstudium an der TU Brünn. Seit 2003 eigenes Büro. 2007-18 Lehrauftrag an der TU Ostrava.


Martin Struhala

Architekturstudium an der TU Ostrava, 2017 Diplom. Seit 2010 Mitarbeit im Atelier 38.


Hana Staňková

Architekturstudium an der TU Ostrava, Diplom 2018. 2018-21 Mitarbeit im Atelier 38.


Pavel Malček

Architekturstudium an der TU Ostrava, 2017 Diplom. 2016-19 Mitarbeit im Atelier 38. Seit 2019 Mitarbeit bei DMAE architects.


Anne Isopp

Architekturstudium in Graz und Delft. 1999-2003 Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros in Hamburg. 2003-05 Architekturstudium an der Donau-Universität Krems, Master. Seit 2005 freie Architekturjournalistin. 2005-16 österreichische Korrespondentin für die A10. 2009-20 Chefredaktion Zuschnitt. Seit 2020 Chefredaktion ARCH.

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